Der Schulhof der Michaela Community School ist karg. Früher, als die Schule noch ein Bürogebäude war, parkten hier Autos. Ein paar Jungen in blau-grauen Schuluniformen spielen Basketball auf dem Asphaltboden. Auf einer Bank am Schulzaun sitzen Mädchen und reden. Die Pause auf dem Hof ist die einzige Zeit des Schultages, in der die Schülerinnen und Schüler laut sein dürfen und reden können, was sie wollen. Das fröhliche Durcheinander endet jäh mit einem Pfiff aus der Trillerpfeife.
Unter den Kommandos ihrer Lehrerinnen und Lehrer haben die Jugendlichen nun 30 Sekunden, um sich nach Jahrgängen geordnet sauber in Zweierreihen aufzustellen.
"25 seconds!"
"You've got to be quicker, come on!"
"You've got to be quicker, come on!"
Wer nicht schnell genug in seine Reihe eilt, wird ermahnt. Sobald alle in Reih und Glied stehen, beginnen die Lehrer mit einem Mittagsappell:
Miss Clear herrscht ihre Schüler an
"You've shown us that you're not very good."
Bisher zeigt ihr uns nur, dass ihr nicht besonders gut seid, herrscht Miss Clear ihre Zehntklässler an. Deren Testergebnisse seien miserabel.
"We know you can do better than that."
Aber sie, die Lehrer, wüssten, dass sie es besser können. Wir stehen auf eurer Seite, ruft Miss Clear, bisher bestätigt ihr allerdings nur die, die behaupten, dass die Zehntklässler dumm seien, und uns lasst ihr ziemlich blöd dastehen.
Die Michaela Community School im nordwestlichen Londoner Stadtteil Wembley hat sich in den vier Jahren ihres Bestehens den Ruf erarbeitet, die strengste Schule Großbritanniens zu sein. Die Schulleiterin und Gründerin Katharine Birbalsingh kokettiert damit, dass sie sich selbst "Tiger Teacher" nennt, angelehnt an den Begriff "Tiger Mums" für Mütter, die ihre Kinder mit besonders harter Hand erziehen:
"Was Michaela als Schule von anderen unterscheidet, ist, dass unsere Lehremethoden sehr traditionell sind. Unser Motto lautet: Arbeite hart, sei freundlich. Wenn wir die Kinder dazu bringen, das beides zu tun, sind wir erfolgreich."
Zu viel Nachsicht schadet nur, findet die Leiterin
Schulleiterin Birbalsingh will aufräumen mit dem, was sie als die Dogmen und Wirrungen linker und progressiver Schulpolitik ausgemacht hat, die sie einst selbst praktiziert hat: individualisiertes Lernen, Gruppenarbeit und viel Nachsicht – zu viel ihrer Ansicht nach – mit benachteiligten Schülern, die nicht mitkommen. Zeitverschwendung, die zu Lasten besonders der Kinder gehe, deren Eltern sich nicht um ihre Bildung kümmern, findet Birbalsingh.
"Lehrer verstehen sich da als Lernhilfen, laufen zwischen Gruppenarbeitstischen umher und sorgen dafür, dass die Schüler an ihren Aufgaben arbeiten. Das ist aber kein Lehren. Alles, was man dabei tut, ist eine Form von Babysitting."
Nach der Standpauke auf dem Hof eilen die Schüler in die Kantine. Sie sprechen keinen Ton, während sie die Treppen hochgehen. Reden ist verboten auf den Fluren der Schule. Wie eine geölte Maschine gehen die Jugendlichen in Reihen aneinander vorbei, die erste Mittagsschicht heraus aus der Kantine, die zweite hinein, treppauf, treppab, links und rechts, anhalten, weitergehen.
Nach anderthalb Minuten ist der Wechsel abgeschlossen. Die Siebt- und Achtklässler versammeln sich zum gemeinsamen "Family Lunch" um ihre Tische und brüllen im Chor das viktorianische Gedicht "Invictus" von William Ernest Henley:
"I am the master of my fate, I am the captain of my soul."
Ich bin der Herr meines Schicksals, ich bin der Kapitän meiner Seele, lauten die letzten Silben. Nelson Mandela zitierte einst aus dem Gedicht. Nun soll es den Kindern aus armen, bildungsfernen Familien in Wembley als Mantra dienen.
Gesprächsthema beim Mittagessen wird vorgegeben
Selbst beim Mittagessen erhalten die Schüler eine Aufgabe: Jeden Tag gibt ein Lehrer ihnen ein neues Thema, über das sie bei Tisch reden sollen.
"And if we’re not talking about the subject, the teachers will come around and give us a demerit…"
Wenn ein Lehrer mitbekommt, dass sie über etwas anderes reden, erhielten sie ein Demerit, einen Strafpunkt, berichtet Parissa, eine schmale Achtklässlerin mit dunklen Haaren.
"Or in the class when we're not looking at the teacher, if you aren't following the rules, basically, you get a demerit, and two, you get a detention, and three, you get sent off the class."
Auch wenn sie im Unterricht nicht die Lehrer anblickten, erhielten sie eine Verwarnung. Bei zwei Demerits folge Nachsitzen, drei Demerits bedeuteten den Ausschluss vom Unterricht.
Die Kinder lernen die Regeln in einem einwöchigen Kurs, bevor die Schule beginnt. Bootcamp heißt so etwas in der Michaela School – wie beim Militär.
"This is for 100 percent attandance."
Am Revers trägt Parissa eine goldene 100 für einhundertprozentige Anwesenheit, darunter eine bronzene Nadel, die zeigt, dass sie eine Menge Merits gesammelt hat, Leistungspunkte für vorbildliches Verhalten oder gute Noten. Die sind auch in anderen britischen Schulen Standard.
Am Revers trägt Parissa eine goldene 100 für einhundertprozentige Anwesenheit, darunter eine bronzene Nadel, die zeigt, dass sie eine Menge Merits gesammelt hat, Leistungspunkte für vorbildliches Verhalten oder gute Noten. Die sind auch in anderen britischen Schulen Standard.
Strenges Regime, um Orientierung zu bieten
Aber der Unterricht an der Michaela-Schule ist ein ständiger Wechsel aus Lob, Tadel und Strafe - mit beachtlichen Folgen: Im Englischunterricht einer achten Klasse herrscht konzentrierte Ruhe, wie in allen Unterrichtsstunden hier.
"And three, two, one, hands up! Who would like to have a go? And this would definitely be merit-worthy."
Die Lehrerin hat ihren Schülern einige Sekunden Zeit gegeben, um eine Frage in Zweiergruppen zu besprechen. Dann zählt sie von drei herunter und fordert die Jungen und Mädchen auf, sich zu melden. Fast alle Hände gehen in die Höhe. Frontalunterricht, wiederkehrende Anweisungen, Auszeichnungen und Strafen sollten den Schülerinnen und Schülern Orientierung bieten, sagt Katharine Birbalsingh:
"Wenn sie ein Lob bekommen, wissen sie, was das heißt, wenn sie einen Tadel bekommen, wissen sie auch, was das heißt."
"Immer eine weitere Chance, es gut zu machen"
Frustriert sei sie aber dennoch, wenn sie einen Tadel erhalte, berichtet Parissa:
"I do get quite upset. Obviously, I don't cry…"
Sie weine natürlich nicht gleich, sagt die Achtklässlerin, aber sie rege sich schon auf.
"But then we need to remember there's always another opportunity to do well."
Aber dann erinnere sie sich stets daran, dass es ja immer eine weitere Chance gibt, es gut zu machen.
Aber dann erinnere sie sich stets daran, dass es ja immer eine weitere Chance gibt, es gut zu machen.