Die Alperton Community School grenzt direkt an die U-Bahn-Gleise. Dahinter liegen verlassene Industriebaracken. Gegenüber ist ein Bungalow ausgebrannt. Vor dem Schultor fahren rote Doppeldeckerbusse im Minutentakt. Diese Ecke des Londoner Bezirks Brent ist bekannt dafür, dass hier Jugendgangs ihr Unwesen treiben.
Es ist keine einfache Umgebung, in der die Schüler von Andria Zafirakou leben. Für viele von ihnen ist sie mehr als eine Lehrerin.
"She's like my mum."
Sie ist wie eine Mutter für mich, sagt der Neuntklässler Naseem, der mit ein paar Freunden aus der Schule kommt. Warum?
"Because she actually does, she does treat me like my mum."
Sie kümmert sich eben um mich wie eine Mutter, sagt er.
Sie kümmert sich eben um mich wie eine Mutter, sagt er.
Die Gewinnerin des Global Teacher Prize
Und das hat Zafirakou weltberühmt gemacht. Für ihren Einsatz für die Kinder ist die 39-jährige Londonerin zur besten Lehrerin der Welt gekührt worden. Im März setze Zafirakou sich gegen 30.000 Mitbewerber durch und gewann den Global Teacher Prize, für den der in Dubai ansässige Bildungsunternehmer, Milliardär und Philanthrop Sunny Varkey eine Million Dollar ausgelobt hatte.
Im Schulgebäude bahnt die sogenannte beste Lehrerin der Welt sich ihren Weg durch eine Gruppe Schüler, die nach dem Unterricht einen Tischtennisklub besuchen. Der Titel sei ihr nicht ganz geheuer, sagt sie. Allein an ihrer Schule gebe es so viele bessere Lehrer als sie. Nebenan in der Sporthalle nehmen ein paar Jungen und Mädchen Boxtraining.
Andria Zafirakou wechselt immer wieder ein paar Worte mit Kindern, die sie trifft.
"Du musst eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Ich will sie kennenlernen und wissen, wie sie ticken. Was inspiriert sie? Wenn ich Interesse zeige, merken sie dass ich ihnen vertraue. Und wenn ein Kind mir vertraut, tut es alles, um mich glücklich zu machen. Und mich macht es glücklich, wenn sie etwas erreichen."
"Sie haben ein hartes Leben"
1.600 Schülerinnen und Schüler hat die Alperton Community School. Die Kinder sprechen über 35 verschiedene Sprachen. Andria Zafirakou, deren Familie aus dem griechischen Teil Zyperns stammt, kann in den meisten zumindest ein paar Worte sagen. Zafirakou wurde selbst in Brent geboren und lebt hier nach wie vor. Sie unterrichtet seit 13 Jahren an der Schule.
Brent ist einer von zwei Bezirken der Hauptstadt, in denen ethnische Minderheiten in der Mehrheit sind und Kinderarmut besonders weit verbreitet ist. Einige von Zafirakous Schülern leben mit fünf Familien in einem Haus, das für ein oder zwei Familien ausgelegt ist. Viele versorgten nach der Schule jüngere Geschwister und bekämen ihre spät arbeitenden Eltern manchmal gar nicht zu Gesicht, berichtet die Lehrerin.
"Sie haben ein hartes Leben. Manchmal sehe ich sie morgens und merke gleich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dann frage ich sie und höre, dass ihr Vermieter die Familie vor die Tür setzen will und der Vater kein Geld verdient. In dem Alter sollten sie Spaß haben, frech sein, sich entdecken. Aber auf mich macht es manchmal den Eindruck, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern."
Zafirakou glaubt nicht an eine zu strenge Hand
Viele neue Schulen, die in den vergangenen Jahren in sozial benachteiligten Stadtbezirken entstanden sind, versuchen soziale Probleme vor den Schultoren zu lassen. Einige von diesen Academies und Free Schools haben strikte Verhaltensregeln eingeführt und bestrafen Fehltritte rigoros. Das soll Schülern die Stabilität bieten, die sie zu Hause oft nicht haben.
Die Alperton Community School ist ebenfalls eine Academy, doch sie und vor allem Andria Zafirakou sind ein Gegenentwurf zum neuen Glauben an alte Tugenden. Auch Zafirakou will ihren Schülern Sicherheit bieten und sie zu Bestleistungen animieren. Aber sie glaubt nicht an eine zu strenge Hand und will auch persönliche Probleme der Kinder nicht ausblenden.
"Und ich bin nicht sicher, ob ich diese Einstellung mag, dass man das, was zu Hause passiert, zu Hause lässt. Denn was da los ist, kann einen Einfluss darauf haben, wie Kinder sich in der Schule verhalten. Ich muss doch wissen: Wie geht es dir, kommst du zurecht? Und wenn nicht, was kann ich tun, damit du mit dem umgehen kannst, was zu Hause passiert?"
Kunst als Schlüssel zu anderen Fächern
In anderen Schulen müssen Schüler nachsitzen, wenn sie zu spät zum Unterricht kommen. Bei Andria Zafirakou kann es vorkommen, dass sie betroffenen Schülern erst einmal ein Frühstück organisiert. Sie spricht mit Angehörigen und drückt auch mal ein Auge zu, wenn Kinder ausfallend werden – an vielen anderen Schulen undenkbar. Und noch etwas macht Andria Zafirakou anders: Sie animiert die Kinder mit einem Fach zu Bestleistungen, das anderswo höchstens eine Nebenrolle spielt: Kunst.
"Sie können sich eine Stunde auf eine Arbeit konzentrieren, sich darin verlieren. Das ist schwierig für viele Schüler. Sie müssen mit Werkzeugen arbeiten, mit Fehlern umgehen. Sie brauchen Neugier, Kreativität. Das sind genau die Fähigkeiten, die sie auch in anderen Fächern brauchen."
Tatsächlich zeigen die Schüler auch in Mathe oder Englisch beachtliche Leistungen. Im landesweiten Vergleich zählt Alperton, was die Leistungsentwicklung der Schüler angeht, zu den besten fünf Prozent.
Andria Zafirakou will ihr Preisgeld dafür einsetzen, dass Kunst auch anderswo eine größere Rolle im Lehrplan spielt und von der Politik mehr wertgeschätzt wird. Sie arbeitet mit einer Kunsthochschule zusammen und hat den bekannten Künstler Armando Alemdar davon überzeugt, an ihrer Schule zu unterrichten.
Am Nachmittag macht Zafirakou, die hier fast den ganzen Tag eine zweite Mutter für so viele Kinder ist, sich auf den Weg, um ihre eigenen beiden kleinen Töchter von der Grundschule abzuholen.
"And I'm going to be late, so goodbye, then I'd be a bad mum."
Sie verabschiedet sich rasch und springt in ihr Auto. Sonst kommt sie noch zu spät, sagt sie, dann wäre sie eine schlechte Mutter. Und das will auch die beste Lehrerin der Welt nicht sein.