"Es gibt verschiedene Ebenen, wie man Karl May lesen kann, auf der einen Ebene natürlich als Unterhaltungsschriftsteller. Man kann auf einer weiteren Ebene sehr viel über den Autor erfahren. Man kann aber auf einer dritten Ebene auch sehr viel über die Zeit erfahren."
Karl May in seine Zeit einbetten, ist ein Anliegen der Ausstellung. Welche Vorstellungen hatten die Deutschen im späten 19. Jahrhundert von fernen Ländern? Welche Sehnsüchte waren mit dieser Ferne verbunden? Der Kurator und Vorsitzende der Karl-May-Gesellschaft, Dr. Johannes Zeilinger, gibt Auskunft:
"Was strömte damals auf die Leute ein? Einmal natürlich in Deutschland, in den Völkerschauen, dann konnte man Illustrierte lesen, dann Gemälde, das wird auch gezeigt. ... Bilder, die uns in der Heimat die Fremde näher brachten. ... Viele dieser Nordamerikaromane Mays beschäftigen sich ja immer wieder auch mit dem Schicksal deutscher Auswanderer, die von Old Shatterhand gerettet werden."
Er war einer der erfolgreichsten Abenteuerschriftsteller des 19. Jahrhunderts. Er hätte sogar der beste sein können, schrieb der Philosoph Ernst Bloch einmal, wäre er kein armer, verwirrter Proletarier gewesen. Denn 7 Jahre hatte Karl May, der 1842 als fünftes Kind einer armen Weberfamilie geboren wurde, im Gefängnis verbracht. Endlich, als er schon weit über 30 war, fasste er in der Gesellschaft Fuß. Er wurde Redakteur, dann freier Schriftsteller. Unternahm "imaginäre Reisen" - so auch der Titel der Ausstellung. Reisen im Kopf: durch den Vorderen Orient, durch den Wilden Westen, durch Afrika. Professor Helmut Schmiedt, Literaturwissenschaftler an der Universität Koblenz leitet im November ein Symposium zur Ausstellung. Für ihn sind die Phantasiereisen Karl Mays ein "utopischer Gegenentwurf gegenüber den realen Verhältnissen" des wilhelminischen Deutschlands, ein "gigantischer Tagtraum von Freiheit und Unabhängigkeit".
"Sie reisen ja über Hunderte Kilometer durch Länder, durch ganze Kontinente. Die Heldentaten und Bewegungen durch den freien Raum sind auch Reaktionen auf die vielfältigen Einschränkungen und Misserfolge, die er in seinem Privatleben gehabt hat."
Private Misserfolge waren vielleicht auch der Grund, warum May sich zu gern mit seinen Helden identifizierte. Der Autor ist "Kara Ben Nemsi", "Karl, Sohn des Deutschen" - der Held der Orientromane. Old Shatterhand wiederum, der Held der Prärie, ist ein gescheiterter Lehrer und kehrt regelmäßig in seine Heimat - Sachsen - zurück, um seine Abenteuer aufzuschreiben. Dort wird er dann auch von Winnetou besucht. Und der hört, ein Glas Bier in der Hand, gerührt dem Dresdener Gesangsverein zu, in dem sein Blutsbruder singt.
"Er hatte so vier, fünf Jahre in seinem Leben, wo er öffentlich wie privat gesagt hat, doch seine Bücher geben im wesentlichen wirklich Erlebtes wieder und er sei in all diesen Ländern gewesen und habe all diese famosen Taten begangen."
Winnetou in Dresden, Dresdener im Wilden Westen. Auch in der exotischen Welt Karl Mays findet sich viel Heimatliches. In Amerika treffen sich ausgewanderte Sachsen. Im Sudan zitiert Kara Ben Nemsi Schillers Glocke, spielt in exotischen Städten auf Klavier und Orgel.
Und auch die Eingeborenen sind gar nicht so fremd, besonders die Edelsten von ihnen. Winnetou, jene Lichtfigur der Mayschen Romane, macht das deutlich: Lange schon skalpiert er keine Feinde mehr, vermag französisch zu parlieren, liest Gedichte und stirbt schließlich beim Ave Maria mit dem Bekenntnis zum Christentum. So sehr May sich also auch mit den Indianern gegen die Weißen solidarisiert, so sehr formt er die Rothäute nach europäischem Bild - und nimmt ihnen damit ihr Recht auf Anderssein.
"Er hat in der Einleitung zu Winnetou auch gesagt, das sei eigentlich ein Gesetz, dass das so ablaufe, dass der Schwächere dem Stärkeren weichen müsse ..., dass die kulturelle Entwicklung so sein müsse, dass man sich von einer primitiven Stufe zu einer höheren Stufe entwickle.... Wenn man genau bei ihm hinsieht, sind auch die Indianer bei ihm die besten, die am ehesten europäischen Idealen entsprechen.... , insofern hat der den darwinistischen Vorstellungen angehangen, nur er hat geklagt, dass man den Indianern nicht die Zeit gelassen habe, sich so zu entwickeln, wie es wünschenswert wäre."
In seinem späten Jahren wandte May sich mehr und mehr den "Menschheitsfragen" zu. Er wurde Pazifist und wollte die Menschen vom "Bösen" zum "Guten" erheben. In seinem zweiteiligen Roman "Ardistan und Dschinnistan", der auf einem fernen Stern spielt, durchlaufen die Menschen eine Entwicklung vom niederen, gewalttätigen hin zum höheren, zum Edelmenschen, hin zu einem Reich der Brüderlichkeit.
"Es war ja so das ab 1900 Karl May nicht mehr nur Unterhaltungsschriftsteller sein wollte, sondern versuchte die Gefilde der Hoch- und Kunstliteratur zu erklimmen."
Mit zweifelhaftem Erfolg, meint Helmut Schmiedt:
"Viele kritische Leser haben es nicht ernst genommen. Es ist auch ein zeittypisches Denken. Der Gedanke der Veredlung und des Fortschreitens, Sich-in-eine-bessere-Welt-Bewegens ist etwas, was die Kulturgeschichte der Zeit durchzieht und man kann sicher entfernt auch an Nietzsches Übermenschen denken. Das hat May versucht auf seine Weise zu gestalten. "
1912 starb Karl May. Seine Werke wurden in 33 Sprachen übersetzt, sie erreichten eine Gesamtauflage von mehr als 200 Millionen. Mittlerweile gehen die Auflagen zurück. Heutige Abenteuer spielen im mystischen Kontinent Mittelerde des "Herrn der Ringe" oder in den Galaxien von "Star Wars" oder in den magischen Parallelwelten "Harry Potters". Und mit Winnetous legendärer "Silberbüchse" ließen sich wohl kaum die Schlachten moderner Computerspiele schlagen.
"Diese Ausnahmestellung, die er über Jahrzehnte gehalten hat, die hat er verloren und ich denke, das wird auch nicht wiederkommen."
Und dennoch - Karl Mays Helden bleiben populär. Sie leben weiter durch Karl-May-Filme, jährlich stattfindende Karl-May-Festspiele, Satiren wie "Der Schuh des Manitu" , Zeichentrickserien wie "WinneToons". Und nicht zuletzt durch die Berliner Ausstellung, die dem "Mythos Winnetou" einen ganzen Raum widmet.
"Winnetou wird einer der bleibenden Gestalten Karl Mays sein, ähnlich wie in anderen Nationalliteraturen gibt es Moby Dick oder Don Quichotte, die jeder kennt, aber kaum jemand gelesen hat."
Karl May in seine Zeit einbetten, ist ein Anliegen der Ausstellung. Welche Vorstellungen hatten die Deutschen im späten 19. Jahrhundert von fernen Ländern? Welche Sehnsüchte waren mit dieser Ferne verbunden? Der Kurator und Vorsitzende der Karl-May-Gesellschaft, Dr. Johannes Zeilinger, gibt Auskunft:
"Was strömte damals auf die Leute ein? Einmal natürlich in Deutschland, in den Völkerschauen, dann konnte man Illustrierte lesen, dann Gemälde, das wird auch gezeigt. ... Bilder, die uns in der Heimat die Fremde näher brachten. ... Viele dieser Nordamerikaromane Mays beschäftigen sich ja immer wieder auch mit dem Schicksal deutscher Auswanderer, die von Old Shatterhand gerettet werden."
Er war einer der erfolgreichsten Abenteuerschriftsteller des 19. Jahrhunderts. Er hätte sogar der beste sein können, schrieb der Philosoph Ernst Bloch einmal, wäre er kein armer, verwirrter Proletarier gewesen. Denn 7 Jahre hatte Karl May, der 1842 als fünftes Kind einer armen Weberfamilie geboren wurde, im Gefängnis verbracht. Endlich, als er schon weit über 30 war, fasste er in der Gesellschaft Fuß. Er wurde Redakteur, dann freier Schriftsteller. Unternahm "imaginäre Reisen" - so auch der Titel der Ausstellung. Reisen im Kopf: durch den Vorderen Orient, durch den Wilden Westen, durch Afrika. Professor Helmut Schmiedt, Literaturwissenschaftler an der Universität Koblenz leitet im November ein Symposium zur Ausstellung. Für ihn sind die Phantasiereisen Karl Mays ein "utopischer Gegenentwurf gegenüber den realen Verhältnissen" des wilhelminischen Deutschlands, ein "gigantischer Tagtraum von Freiheit und Unabhängigkeit".
"Sie reisen ja über Hunderte Kilometer durch Länder, durch ganze Kontinente. Die Heldentaten und Bewegungen durch den freien Raum sind auch Reaktionen auf die vielfältigen Einschränkungen und Misserfolge, die er in seinem Privatleben gehabt hat."
Private Misserfolge waren vielleicht auch der Grund, warum May sich zu gern mit seinen Helden identifizierte. Der Autor ist "Kara Ben Nemsi", "Karl, Sohn des Deutschen" - der Held der Orientromane. Old Shatterhand wiederum, der Held der Prärie, ist ein gescheiterter Lehrer und kehrt regelmäßig in seine Heimat - Sachsen - zurück, um seine Abenteuer aufzuschreiben. Dort wird er dann auch von Winnetou besucht. Und der hört, ein Glas Bier in der Hand, gerührt dem Dresdener Gesangsverein zu, in dem sein Blutsbruder singt.
"Er hatte so vier, fünf Jahre in seinem Leben, wo er öffentlich wie privat gesagt hat, doch seine Bücher geben im wesentlichen wirklich Erlebtes wieder und er sei in all diesen Ländern gewesen und habe all diese famosen Taten begangen."
Winnetou in Dresden, Dresdener im Wilden Westen. Auch in der exotischen Welt Karl Mays findet sich viel Heimatliches. In Amerika treffen sich ausgewanderte Sachsen. Im Sudan zitiert Kara Ben Nemsi Schillers Glocke, spielt in exotischen Städten auf Klavier und Orgel.
Und auch die Eingeborenen sind gar nicht so fremd, besonders die Edelsten von ihnen. Winnetou, jene Lichtfigur der Mayschen Romane, macht das deutlich: Lange schon skalpiert er keine Feinde mehr, vermag französisch zu parlieren, liest Gedichte und stirbt schließlich beim Ave Maria mit dem Bekenntnis zum Christentum. So sehr May sich also auch mit den Indianern gegen die Weißen solidarisiert, so sehr formt er die Rothäute nach europäischem Bild - und nimmt ihnen damit ihr Recht auf Anderssein.
"Er hat in der Einleitung zu Winnetou auch gesagt, das sei eigentlich ein Gesetz, dass das so ablaufe, dass der Schwächere dem Stärkeren weichen müsse ..., dass die kulturelle Entwicklung so sein müsse, dass man sich von einer primitiven Stufe zu einer höheren Stufe entwickle.... Wenn man genau bei ihm hinsieht, sind auch die Indianer bei ihm die besten, die am ehesten europäischen Idealen entsprechen.... , insofern hat der den darwinistischen Vorstellungen angehangen, nur er hat geklagt, dass man den Indianern nicht die Zeit gelassen habe, sich so zu entwickeln, wie es wünschenswert wäre."
In seinem späten Jahren wandte May sich mehr und mehr den "Menschheitsfragen" zu. Er wurde Pazifist und wollte die Menschen vom "Bösen" zum "Guten" erheben. In seinem zweiteiligen Roman "Ardistan und Dschinnistan", der auf einem fernen Stern spielt, durchlaufen die Menschen eine Entwicklung vom niederen, gewalttätigen hin zum höheren, zum Edelmenschen, hin zu einem Reich der Brüderlichkeit.
"Es war ja so das ab 1900 Karl May nicht mehr nur Unterhaltungsschriftsteller sein wollte, sondern versuchte die Gefilde der Hoch- und Kunstliteratur zu erklimmen."
Mit zweifelhaftem Erfolg, meint Helmut Schmiedt:
"Viele kritische Leser haben es nicht ernst genommen. Es ist auch ein zeittypisches Denken. Der Gedanke der Veredlung und des Fortschreitens, Sich-in-eine-bessere-Welt-Bewegens ist etwas, was die Kulturgeschichte der Zeit durchzieht und man kann sicher entfernt auch an Nietzsches Übermenschen denken. Das hat May versucht auf seine Weise zu gestalten. "
1912 starb Karl May. Seine Werke wurden in 33 Sprachen übersetzt, sie erreichten eine Gesamtauflage von mehr als 200 Millionen. Mittlerweile gehen die Auflagen zurück. Heutige Abenteuer spielen im mystischen Kontinent Mittelerde des "Herrn der Ringe" oder in den Galaxien von "Star Wars" oder in den magischen Parallelwelten "Harry Potters". Und mit Winnetous legendärer "Silberbüchse" ließen sich wohl kaum die Schlachten moderner Computerspiele schlagen.
"Diese Ausnahmestellung, die er über Jahrzehnte gehalten hat, die hat er verloren und ich denke, das wird auch nicht wiederkommen."
Und dennoch - Karl Mays Helden bleiben populär. Sie leben weiter durch Karl-May-Filme, jährlich stattfindende Karl-May-Festspiele, Satiren wie "Der Schuh des Manitu" , Zeichentrickserien wie "WinneToons". Und nicht zuletzt durch die Berliner Ausstellung, die dem "Mythos Winnetou" einen ganzen Raum widmet.
"Winnetou wird einer der bleibenden Gestalten Karl Mays sein, ähnlich wie in anderen Nationalliteraturen gibt es Moby Dick oder Don Quichotte, die jeder kennt, aber kaum jemand gelesen hat."