Am 24. Februar hebt eine Boeing Dreamliner aus der französischen Hafenstadt Nizza ab. An Bord: Roman Abramowitsch. Der russische Oligarch befürchtet zu dem Zeitpunkt, dass die Behörden seine Assets, also etwa seinen Privatflieger, beschlagnahmen wollen. Im Zuge des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine werden überall in Europa nach und nach die Reichsten der Reichen aus dem Land des Aggressors unter Druck gesetzt.
Abramowitsch taucht in Berichten besonders häufig auf, denn der 55-Jährige ist der Posterboy der Oligarchie. In der frühen postsowjetischen Zeit zu Reichtum gekommen, ist er einer der ersten Milliardäre, der gezielt gen Westen ausschwärmt: Cote d‘Azur, Colorado, London. Abramowitsch kauft nicht nur Jachten, Flugzeuge und Villen, sondern 2003 auch den Fußballklub Chelsea, mit dem er zweimal die Champions League gewinnt. Mittlerweile strebt er notgedrungen einen Verkauf an.
Abramowitsch, Usmanow, Demin und Co.
Doch Abramowitsch ist nicht der einzige russische Fußballinvestor in Westeuropa. Da wäre etwa Alischer Usmanow, ein Geldgeber des englischen Erstligisten Everton.
"Usmanow hat sich öffentlich noch stärker als Abramowitsch mit Putin verbündet. Abramowitsch hat sich immer sehr zurückgehalten, keine Interviews, nur sehr wenige öffentliche Statements. Und er hat über die Jahre hinweg eine Verbindung zu Putin bestritten. Währenddessen geht Usmanow viel offener mit seiner Unterstützung von Putin und dessen Unternehmungen um", sagt Jonathan Northcroft, Journalist der britischen Zeitung "Sunday Times".
Der Milliardär hält offiziell keine Anteile an Everton, hat aber über seine Holdingfirma USM die Namensrechte für das Trainingsgelände gekauft und sollte auch am Bau eines neuen Stadions mitwirken. Mittlerweile hat Everton alle Sponsorenverträge mit USM sowie anderen Usmanow-Unternehmen auf Eis gelegt.
Wenn die Oligarchen-Frau die Pausenansprache macht
Der Dritte im Bunde in England ist Maxim Demin, der Eigentümer des Zweitligisten AFC Bournemouth. Seine Verbindungen in die Politik seiner Heimat bleiben nebulös. In Bournemouth, einer Küstenstadt im Süden, die viele reiche Russen anzieht, ist Demin jedoch präsent - ebenso wie seine Frau Irena schon mal während der Halbzeitpause in der Kabine der Mannschaft auftaucht, um eine Ansprache zu halten.
Vergleichbar mit Demin ist Dmitri Rybolowlew, der Besitzer der AS Monaco und von Cercle Brügge. Mit dem Beginn seines Engagements im Fürstenstaat, der ein beliebtes Domizil unter Oligarchen ist, werden immer wieder Vergleiche zu Abramowitsch gezogen.
Northcroft sagt: "Er wirkte wie so eine Art jüngere, aufregendere, mediterrane Version von Abramovich.“ Aber Rybolowlew wird nicht zum engsten Kreis des Kremls gezählt. Ähnlich verhält es sich auch mit Valery Oyf, dem Besitzer des niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim. Anders ist das bei Iwan Sawwidis, dem der griechische Club PAOK gehört und der seit vielen Jahren eine enge Verbindung zu Putin hält.
Chelsea schuldet Abramowitsch zwei Milliarden Pfund
Aus Sicht der Klubs und ihrer Anhänger herrscht aktuell große Unsicherheit. Denn die Klubs könnten als Assets der Eigentümer gewertet und damit im Falle von weiteren Sanktionen eingefroren werden. Man dürfte als Besitzer kein Geld mehr mit ihnen verdienen, also auch keinen Weiterverkauf tätigen.
Daran glaubt Christoph Breuer, Ökonom der Deutschen Sporthochschule Köln, aber nicht:
"In Bezug auf das Sportbusiness sehe ich es nicht so, dass es dort umgesetzt wird. Die Ligen oder die Klubs selbst wollen versuchen, die russischen Investoren rauszuhaben. Ich denke, Abramowitsch selbst hat jetzt die Intention, möglichst ungeschoren davonzukommen im Hinblick auf sein Image in der Londoner Stadtgesellschaft, sodass er sozusagen freiwillig den Verkauf seiner Anteile forciert. Eigentlich dürfte das nicht möglich sein, wenn man da konsequent Asset-Freezing anwenden würde.“
Interesse an Chelsea bekundet unter anderem ein Konsortium um den Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss sowie den US-Investor Todd Boehly. Aber sie sind mit Abramowitsch Forderungen nicht einverstanden. Denn Chelsea schulde laut Wyss dem Russen zwei Milliarden Britische Pfund. Der Klub verfüge aber über keine Mittel. Sprich: Ein neuer Eigentümer müsste Abramowitsch eigentlich mit dieser Summe entschädigen.
Der Sport wird aus den Oligarchen einen Lerneffekt ziehen
Wo auch immer die Klubs landen, es wird Konsequenzen geben im europäischen Fußball, sagt Christoph Breuer: „Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass im Sportbusiness auch Lerneffekte stattfinden. Wir haben immer Lerneffekte im Sportbusiness gehabt. Beispielsweise wurden Sponsoringverträge angepasst, nachdem es zunehmend Dopingfälle gab. Und ähnlich ist für Investorenlösungen im Sportbusiness zu antizipieren, dass zukünftig stärker auf Aspekte wie Menschenrechte oder Einklang mit westlichen Wertevorstellungen geachtet wird."
Keine guten Aussichten für die russischen Oligarchen, die sich - wie im Fall von Abramowitsch - schon zwei Jahrzehnte im europäischen Fußball tummeln. Ihre Zeit scheint abzulaufen.