Auf den Feldern außerhalb des Dorfes Burin im Westjordanland steht Serge Buki auf einer Leiter und fährt mit einem roten Rechen durch die Äste eines Olivenbaums. Grüne Oliven fallen auf die Plastikplane. Später wird er sie aufsammeln und in einen Sack packen. Serge Buki ist einer von sechs jüdischen Israelis, die dem palästinensischen Bauern Ahmad Kadus heute bei der Ernte helfen. Trotz der Gewaltwelle und der zahlreichen Angriffe auf Israelis trauen sie sich dieser Tage hierher. Sie sind Freiwillige der Menschenrechtsorganisation Rabbis for Humans Rights, also: Rabbiner für Menschenrechte, die jedes Jahr mit anpacken. Serge, der seit fünf Jahren mitmacht, ist wie viele der Helfer nicht religiös. Das Projekt hat ihn dennoch überzeugt:
"Jemand hat mir von der Gruppe Rabbis for Human Rights erzählt, und das klang für mich so merkwürdig, dass ich mir das selbst ansehen wollte. Was ich dann sah, war etwas ganz anderes als das, was man sonst erlebt. Zu sehen, dass auch religiöse Menschen davon überzeugt sind: Alle Menschen haben gleiche Rechte."
Denn das ist nicht selbstverständlich: Radikale jüdische, meist sehr gläubige Siedler versuchen immer wieder, die Palästinenser bei der Ernte zu behindern oder die Felder zu zerstören. Für die Palästinenser sind das aber nicht nur irgendwelche Bäume. Die Oliven machen laut Weltbank 15 bis 19 Prozent der hiesigen landwirtschaftlichen Produktion aus. An Orten, wo es zu Problemen mit den Siedlern kommen könnte, helfen die Rabbis for Human Rights:
"Wir sind hier neben dem Dorf Burin, und das liegt zwischen den beiden Siedlungen Yitzar und Har Bracha. Das sind zwei sehr aktive Siedlungen. Wenn sie könnten, würden die Siedler es nicht zulassen, dass die Palästinenser ihre Oliven pflücken. Dass wir als Juden hier sind, hält wiederum die Siedler davon ab, die Palästinenser zu stören. Wir haben schließlich auch Handys, können alles filmen oder die Armee anrufen, die dann kommt und uns hilft."
"Für die Seele der Religion kämpfen"
Die Siedlung Yitzhar ist bekannt für ihre radikalen Bewohner, die vor Gewalt gegen Palästinenser nicht zurückschrecken. Oft sind es junge Männer, die davon überzeugt sind, Gott habe dem jüdischen Volk dieses Land hier versprochen. Sie nennen es Judäa und Samaria, so wie es auch in der Bibel heißt. Die Rabbis for Human Rights kennen die Bibelstellen. Doch sie glauben auch an die Menschenrechte. Die rund 130 Rabbiner verschiedener jüdischer Strömungen setzen sich deshalb nicht nur für soziale Gerechtigkeit innerhalb Israels ein, sondern auch dafür, dass Palästinenser ihr Land bewirtschaften können. Direktor Arik Aschermann, ein Reformrabbiner, trägt einen Vollbart und eine gehäkelte Kippa. Er ist nicht naiv, vielmehr hadert er regelmäßig mit seinem Glauben.
"Es gibt Tage, da wache ich morgens auf und denke, dass John Lennon recht hatte, dass wir besser dran wären in einer Welt ohne Nationalismus und ohne Religion. Im Laufe der Geschichte war Religion so oft Auslöser für Konflikte, für Blutvergießen und Missverständnisse. Aber für diejenigen von uns, die an Gott glauben, lässt sich Religion ja nicht einfach abschalten wie ein Licht. Eine Möglichkeit ist daher, für die Seele unserer Religion zu kämpfen, vor allem in einer Gegend wie dieser hier, wo Religion so eine treibende Kraft ist, die bestimmt, was die Menschen hier tun: von morgens nach dem Aufstehen, bis abends, wenn sie schlafen gehen. Und wenn wir das Feld den Extremisten überlassen, dann steht uns noch mehr Ärger bevor."
Radikale auf beiden Seiten
Auch auf palästinensischer Seite gibt es Radikale, die für einen Boykott Israels plädieren oder mit Messern auf Israelis losgehen. Solche Ansichten teilt der 58-jährige Ahmad Kadus nicht. Er sitzt auf dem Boden unter den Bäumen und sortiert die Oliven. Die besonders Knackigen wird er einlegen. Aus dem Rest wird Öl gepresst. Schon sein Vater hat hier Oliven angebaut.
"Viele Menschen in Israel wollen mit uns in Frieden leben und auch wir wollen friedlich mit ihnen zusammenleben. Als Palästinenser wissen wir, dass nicht alle Siedler sind, nicht alle uns angreifen wollen. Aber die meisten werden immer rechter, und das ist ein schlimmer Zustand. Wir wissen aber auch, dass einige das nicht wollen und sich gegen die Regierung stellen."
Rabbi Arik Ascherman sieht sich selbst nicht als politischen Aktivisten. Aber er ist einer, der für Aufruhr sorgt. Erst vor einem Monat machte er Schlagzeilen, weil er Siedler davon abbringen wollte, Olivenbäume von Palästinensern anzuzünden. Ein 17-jähriger Israeli ging mit einem Messer auf ihn los, warf ihn zu Boden und brach ihm einen Finger. Zugestochen hat er nicht. Anstatt sich in Gefahr zu bringen, könnte Rabbi Arik Ascherman sich auch zurücklehnen, eine Gemeinde in seiner Heimatstadt Jerusalem leiten und sich mit internen religiösen Fragen auseinandersetzen. Doch er will seinen Glauben anders leben.
"Rabbi David Forman, unser Gründer, hat einmal einen offenen Brief an das Rabbinat in Israel geschrieben und gesagt: Wie kommt es, dass das religiöse Establishment in diesem Land sich nur darum sorgt, ob die Ruhe am Schabbat oder die Kaschrut-Vorschriften, also die jüdischen Speisegesetze, eingehalten werden? Wo sind Rabbiner wie Abraham Joshua Heschel? Er war einer, der sich seinerzeit mit den brennenden moralischen Fragen der Gesellschaft befasst hat, aus rabbinischer Sicht. Für uns ist er ein Vorbild."