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Oliver Hauschke: "Schafft die Schule ab"
Was tun, wenn die Schule nicht reformierbar ist?

Schüler müssten viel stärker auf eine digitalisierte Welt, auf einen ganz anderen Umgang mit Wissen und Lerntechniken vorbereitet werden, fordert der Lehrer Oliver Hauschke in einer Streitschrift. Doch die Schulen ließen sich nicht oder nur zu langsam reformieren. Sein Fazit: Schafft die Schule ab!

Von Armin Himmelrath |
Eine alte Schultafel mit Aufschrift Heute kein Unterricht.
Ist kein Unterricht besser als das Lernen nach veralteten Lehrplänen? (imago/imagebroker)
Oliver Hauschke braucht noch nicht einmal zwei Seiten, um festzustellen, dass Schulen "Teil eines Systems sind, das von Grund auf falsch ist". Man solle sie einfach "abschaffen", fordert er schon im Vorwort, und zwar mit nicht weniger als einer "Revolution", einem Umsturz. Wer so etwas schreibt, nachdem er über 20 Jahre lang selbst als Lehrer im System gearbeitet hat, muss enttäuscht sein, desillusioniert, vielleicht verbittert. Oliver Hauschke sitzt auf seiner Terasse. Wie groß ist sein Frust?
"Mich ärgert vor allem, dass Schulen, so wie sie jetzt sind – also die Mehrheit der öffentlichen Schulen – sich nicht reformieren lassen oder zu langsam in die Reform gehen", sagt Oliver Hauschke, und es klingt weniger nach Frustration als nach Fassungslosigkeit. Denn in seiner Zeit als Lehrer und Schulleiter habe er immer wieder erleben müssen, dass es zwar viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, wie Unterricht besser gemacht werden könnte. Und dass es auch Modellschulen gibt, die zeigen, wie das praktisch aussehen kann. Aber:
"Wir kriegen diese Erfahrung einfach nicht in Unterrichtskonzepte umgesetzt, in wirklich andere Schulen. Wir haben immer noch die Schulen, wie ich zur Schule gegangen bin, wie meine Eltern zur Schule gegangen sind. Und die kleinen Feinheiten, die immer alle anpreisen – ‚Ja, da hat sich doch was getan! Wir machen nicht immer nur lehrerzentriert, wir haben Gruppenarbeit!’ – das sind aber immer nur Kleinigkeiten, die passieren."
Mit diesen Kleinigkeiten aber, so Oliver Hauschke, gebe es kaum Fortschritte – und die Schulen bleiben immer weiter hinter dem Anspruch zurück, Kinder auf die Zukunft vorzubereiten.
Schul-Lernstoff wird schnell vergessen
Das erinnert ein wenig an die Debatte, die eine Kölner Abiturientin vor einigen Jahren lostrat: In einem Tweet hatte sie beklagt, dass sie zwar Gedichte in mehrere Sprachen interpretieren könne, aber trotz des Abiturs kaum in der Lage sei, einen Miet- oder Versicherungsvertrag auszufüllen. Oliver Hauschke zeigt da ein gewisses Verständnis.
"Wir sehen ja auch, dass am Ende nach dem Abitur oder auch nach dem Realschul- oder Hauptschulabschluss die Bildung nicht nachhaltig ist. Das, was man in der Schule gelernt hat, ist nach wenigen Monaten, Jahren zu 90 Prozent weg. Und das darf nicht sein. Dann ist Schule meines Erachtens Lebenszeitverschwendung für unsere Kinder."
Keine Frage, Oliver Hauschke teilt ziemlich aus in seinem Buch. Und er kommt zu einem klaren Schluss: Schüler müssen viel stärker auf eine digitalisierte Welt, auf einen ganz anderen Umgang mit Wissen und Lerntechniken vorbereitet werden – also auf Themen wie den Umgang mit komplexen Informationen, auf die Bewertung von Nachrichten, aber auch auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Hier ist das Buch angesichts der Klima-Debatte erfrischend aktuell.
"Und wenn Schule das nicht leisten kann, dann gehört sie abgeschafft – und muss durch irgend Etwas ersetzt werden – Lernorte, Lernwerkstätten, irgendwas – das diese Aufgabe erfüllt."
Eltern können Schulsystem verändern
Den wichtigsten Hebel für den notwendigen Wandel, sagt Oliver Hauschke, hätten dabei die Eltern in der Hand. Im praktischen Schulalltag sei ihr Einfluss zwar begrenzt, aber bei der Veränderung des Systems seien sie die entscheidenden Akteure. Gerade dieser Ruf nach mehr Elterneinfluss auf den Schulalltag dürfte bei Hauschkes Ex-Kollegen auf ziemliche Skepsis stoßen – was der Autor wiederum als Beweis für die Reformunfähigkeit des Systems aus sich selbst heraus deutet.
"Die Eltern müssen politisch Druck machen, die müssen Veränderungen wollen, die müssen sagen: ‚So wollen wir unser Kind nicht unterrichtet haben. Wir wollen andere Dinge! Es gibt andere Möglichkeiten!’ Und müssen den Schulen, den Lehrkräften, der Politik, den Verantwortlichen sagen: ‚Wir wollen das anders!’"
Seine Aufforderung an die Eltern ist deshalb klar: Mischt euch ein und fordert eine stärkere Orientierung am Kind. Das liest sich stark wie eine Rückbesinnung auf pädagogische Konzepte, die in den Siebziger und Achtziger Jahren schon einmal diskutiert wurden – verbunden mit einer starken inhaltlichen Ausrichtung auf den modernen, digitalisierten Alltag. Genau solche Schulen mit größeren Freiheiten und stärkerer Nutzwertorientierung wünsche er sich, sagt der Lehrer Oliver Hauschke, der selbst zehnfacher Vater ist. Und übersieht dabei vielleicht ein bisschen, dass nicht alle Eltern auch tatsächlich schulpädagogische Kompetenzen mitbringen. Die Gefahr jedenfalls besteht, dass dann die Helikoptereltern den Schulalltag noch stärker zu beeinflussen versuchen als sie das heute schon tun. Das Buch dürfte deshalb vor allem in den Lehrerzimmern für heftige Debatten sorgen. Den Streit mit seinen Kolleginnen und Kollegen nimmt Hauschke in Kauf – wenn damit nur endlich der Umsturz an den Schulen losgetreten wird.
Oliver Hauschke: "Schafft die Schule ab", mvg-Verlag, 224 Seiten, 16,99 Euro.