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Oliver Schäffski: Gendiagnostik in Versicherung und Gesundheitswesen

Als Boombranchen mit großem gesellschaftlichen Veränderungspotential gelten vor allem Informationstechnologie und Telekommunikation. Häufig unterschlagen wird die Biotechnologie. Auch sie wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten große Auswirkungen auf unsere Lebensbedingungen haben. Ausgehend von dieser These hat sich der Versicherungswissenschaftler Oliver Schöffski mit der sogenannten "Gendiagnostik" auseinandergesetzt. Die zentrale Frage seiner Arbeit lautet: Wie wirkt sich die Einführung genetischer Tests auf die Versicherungen und das Gesundheitswesen aus? Ludger Fittkau hat die Arbeit von Oliver Schöffski unter die Lupe genommen:

Lutger Fittkau |
    Eine Analyse aus ökonomischer Sicht - so lautet der Untertitel des Buches. Der Autor geht davon aus, dass der Markt für Gentests prinzipiell riesig ist: Vor allem Frauen und Paare, die ans Kinderkriegen denken und sich Sorgen um die Gesundheit ihres Nachwuchses machen. werden weltweit die besten Kunden sein, so der Autor Oliver Schöffski.

    Oliver Schöffski: "Da entsteht ein gigantischer Markt. Man muss sich das so vorstellen, dass heutzutage nicht mal mehr ein Bluttest notwendig ist, sondern es reicht der sogenannte Mundschleimhaut-Abstrich, d.h. man nimmt ein Wattestäbchen, rubbelt das ein bißchen an der Innenseite der Wange lang und hat dann genügend abgestorbene Zellen, die untersucht werden können. Um das zu machen, brauche ich nicht mehr zum Arzt zu gehen, sondern es reicht aus, wenn ich 'nen Test in der Apotheke kaufe, dann diesen Wattestab wieder einreiche und bekomme dann später per Post das Ergebnis mitgeteilt."

    Immer wieder blickt Schöffski über den Atlantik, um die Dimensionen des wachsenden Marktes mit genetischen Tests zu erfassen. In den USA wird der Markt für Tests zur Ermittlung sogenannter " klassischer" Erbkrankheiten wie Chorea Huntington oder Down-Syndrom auf ein jährliches Volumen von etwa 2,8 Millionen Tests geschätzt. Bei den Volkskrankheiten wie Krebs oder Alzheimer geht man sogar von 16,2 Millionen Gentests aus, die jährlich allein auf dem US-amerikanischen Binnenmarkt abgesetzt werden können. Dabei werden mehr und mehr Tests direkt an die Bevölkerung verkauft, ohne das jemals eine genetische Beratung durch einen Arzt stattgefunden hat, stellt Olliver Schöffski fest.

    Oliver Schöffski: "Das ist natürlich 'ne ganz problematische Sache. Weil: Es ist natürlich die Frage, was macht man, wenn man plötzlich ein positives Ergebnis hat. Positiv heißt in diesem Fall, man hat eine erhöhte Disposition, eine bestimmte Krebsart zu bekommen, und dann stellen sich also bestimmte Alternativen. Und es bis heute nicht ganz klar, was denn überhaupt die günstigste Alternative ist. Im Beispiel des Brustkrebses gibt es heutzutage in den USA schon Fälle, wo sich Frauen präventiv die Brust abnehmen lassen, nur weil sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, die vererbbare Form des Brustkrebs zu bekommen. Und Ärzte warnen vor diesen Maßnahmen."

    Humangenetiker verknüpften deshalb bisher weltweit die Anwendung genetischer Tests an eine intensive Beratung. Doch mit dieser Praxis wird es nach Auffassung von Oliver Schöffski bald vorbei sein.

    Oliver Schöffski: "Das wird sich aber in nächster Zukunft so nicht mehr durchsetzen lassen, Die humangenetische Beratung ist sehr aufwendig, sehr kostenintensiv, sehr zeitintensiv. Schon heute arbeiten die Humangenetiker an ihrer Kapazitätsgrenze, und wenn die Tests erst einmal allgemein preiswert und eventuell sogar anonym verfügbar sind, über Krankenkassen, über Apotheken, übers Internet , dann wird die genetische Beratung nicht mehr so die Rolle spielen, wie das heute noch gewünscht wird."

    Für die Verbreitung der Gentests werden neben den potentiellen Testpersonen selbst vor allem Versicherungsunternehmen, Arbeitgeber und Ärzte sorgen, so Schöffski. Das wird weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen haben- in den USA gibt es bereits den Begriff der "genetischen Diskriminierung" am Arbeitsplatz und in der Versicherungsbranche:

    Oliver Schöffski: "In den USA ist die gesamte Situation etwas anders, sehr viel marktwirtschaftlicher, sehr viel kapitalistischer orientiert als hier in Deutschland. Und dort ist beispielsweise der Krankenversicherungsschutz, aber auch der Lebensversicherungsschutz sehr stark an den Arbeitsplatz gebunden. Das bedeutet, wenn ich ein schlechtes Gen-Ergebnis habe, einen schlechten Gentest abgelegt habe, dann kann es sein, dass ich meinen Arbeitsplatz verliere, dann kann es sein, dass ich keinen Versicherungsschutz bekomme, Krankenversicherungsschutz oder Lebensversicherungsschutz, und diese Fälle wurden für die USA inzwischen schon dokumentiert."

    Beunruhigen muss ein solcher Befund auch deshalb, weil nach Auffassung des Autors diese Entwicklung zwangsläufig über kurz oder lang auch hier einsetzen werde. Schöffski zeigt am Beispiel der Versicherungsbranche, dass auch gesetzliche Regelungen zur Kontrolle der genetischen Diagnostik ins Leere laufen können, wenn sie nicht vor vorne herein international sind. Der Grund: Das Geschäft mit privaten Kranken- oder Lebensversicherungen ist bereits globalisiert - Politik und Recht hinken wie so oft hinterher. Selbstverständlich könne der Gesetzgeber in Deutschland die Anwendung von Gentestes in der Arbeitswelt und im Versicherungswesen strikt reglementieren, so Schöffski.

    Oliver Schöffski: "Das Problem ist nur, dass Deutschland keine Insel mehr ist, sondern dass ich auch Lebensversicherungsschutz in England einkaufen kann, einen Vertrag dort abschließen. Und das bedeutet: Wenn in England die Durchführung eines Gentests durchaus erlaubt ist, dann führt das dazu, dass die englischen Lebensversicherungsunternehmen bessere Prämien bieten können und dann sind die deutschen Versicherungsunternehmen plötzlich nicht mehr am Markt wettbewerbsfähig. Und das kann dann natürlich zu einem Zusammenbruch des Versicherungsmarktes in Deutschland führen. Die Versicherungsunternehmen in Deutschland sind quasi gezwungen, nachzuziehen. Sobald jemand anfängt, die Ergebnisse von Gentests zu berücksichtigen, muss quasi die gesamte Branche nachziehen: Und das ist das große Problem."

    Genetische Tests und Analysen träfen auf eine Gesellschaft, in der das Bedürfnis nach Planbarkeit des eigenen Lebens und Sicherheit immer weiter zunimmt, so der Autor. Kennzeichen einer modernen Gesellschaft sei es, dass sie ihre Probleme mit der Präzision wissenschaftlichen Erkennens und entsprechender Technik lösen wolle- man könne in diesem Zusammenhang durchaus von einer "Testgesellschaft" sprechen, so Schöffski. Die Gefahr der Diskriminierung, die für Testpersonen mit sogenannten "schlechten Risiken" einhergehe, drohe dabei nicht nur Indivduen, sondern auch ganzen Bevölkerungsgruppen:

    Oliver Schöffski: "Bestimmte Gendeffekte tauchen in einzelnen Bevölkerungsgruppen gehäuft auf. Beispielsweise die schwarze Bevölkerung in den USA hat gehäuft bestimmte Gendeffekte, es gibt mitteleuropäische Bevölkerungsgruppen, die an bestimmten Gendeffekten gehäuft leiden und das ist dann halt problematisch, wenn man dann sagt, dass diesen Bevölkerungsgruppen bestimmte Möglichkeiten nicht gegeben werden. In den USA gab es einen Fall, dass die Schwarzen halt keine Militärpiloten werden konnten, weil generell dort häufiger ein bestimmten Gendeffekt vorliegt, als in der Normalbevölkerung, und ähnliches kann sich für andere Bevölkerungsgruppen ergeben."

    Bei der Nutzung der Gentests im Versicherungswesen könne man fast schon von einem Zusammentreffen zweier Kulturen sprechen, so Schöffski: Auf der einen Seite stünden diejenigen, die gegen Diskriminierung kämpfen, auf der anderen Seite diejenigen, die davon leben. Die Gentests, so der Hannoveraner Versicherungswissenschaftler, bestimmen auch hierzulande unterschwellig das Handeln der Branche schon stärker, als mancher glaube.

    Oliver Schöffski: "Zur Zeit ist die Situation so, dass zwar kein Gentest verlangt wird, wenn ich einen Antrag auf Lebensversicherungsschutz oder Krankenversicherungsschutz stelle, ich aber durchaus angeben muss, wenn ich in der Vergangenheit schon einen Gentest durchgeführt habe und ein schlechtes Ergebnis erhalten habe. Denn das bedeutet, dass das ein Risiko ist, das schon in der Vergangenheit aufgetreten ist und das diese Person quasi nicht mehr versichert werden kann. Es gibt so diesen alten Spruch in der Versicherungsbranche: 'Eine Scheune, die schon brennt, die kann man halt nicht mehr versichern.'"

    Ludger Fittkau sprach mit Oliver Schöffski über dessen neues Buch: Gendiagnostik in Versicherung und Gesundheitswesen. Erschienen ist es im Verlag Versicherungswirtschaft GmbH. Karlsruhe 2000. Es umfasst 384 Seiten und kostet 62 DM.