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Olympia 2020
In Tokio regiert die Angst

Korruptionsverdacht, Kostenexplosion, miese Arbeitsbedingungen: Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Tokio 2020 ist die Stimmung in Japans Hauptstadt schlecht. Vorfreude auf Olympia will keine aufkommen. Das Organisationskomitee verstrickt sich in Widersprüche.

Von Felix Lill |
Das Arike Gymnastics Centre wird bei Olympia 2020 vor allem den Turnern und Rhythmischen Gymnastinnen als Sportstätte dienen.
Die meisten Sportstätten für Olympia 2020 in Tokio sind fertig - aber es hapert an vielen anderen Ecken. (dpa / picture alliance / Allesandro Di Ciommo )
Tokio läuft auf Hochtouren. Nur noch ein Jahr bleibt, bis in Japans Hauptstadt die Olympischen Spiele beginnen. Nach 1964 schon zum zweiten Mal veranstaltet die größte Metropole der Welt die größte Sportveranstaltung der Welt. Und so betonen die Organisatoren gern, wie routiniert sie sind.
Die futuristischsten Spiele aller Zeiten sollen es werden, heißt es. Auch das IOC lobt, alles laufe nach Plan. Die Baustellen seien schon zu 90 Prozent fertig.
Von einem Wolkenkratzer in Tokios Hafenviertel überblickt Masa Takaya, Sprecher des Organisationskomitees, die Baustellen des künftigen Olympischen Viertels. Er ist guter Dinge:
"Tokyo 2020 hat immer gesagt, dass es Spiele für alle sein werden. Wir versuchen, so viele Menschen einzuschließen wie möglich. Viele Wettkampfstätten von 1964 werden modernisiert und erneut genutzt. Diese Anlagen haben die Leben der Menschen über ein halbes Jahrhundert bereichert. Das wissen die Leute. Deshalb glauben wir, dass mit Tokyo 2020 wieder Menschen aller Altersgruppen den Wert der Olympischen und Paralympischen Spiele wiederentdecken werden.
Japans NOK-Chef Tsunekazu Takeda wies die Vorwürfe zurück: Er sei an keinem Fehlverhalten beteiligt gewesen.
Gegen Japans NOK-Chef Tsunekazu Takeda wird wegen möglichen Stimmenkauf ermittelt (imago sportfotodienst)
Kostenexplosion, Korrpution, Pfusch
Dabei kommen dieser Tage reichlich Zweifel an der Veranstaltung auf. Seit einiger Zeit wird gegen den Kopf des Tokioter Bewerbungsteams, Tsunekazu Takeda, mit Verdacht auf Stimmenkauf ermittelt. Trotzdem führte Takeda bis Ende letzten Monats Japans Olympisches Komitee an. Und niemand forderte ihn öffentlich zum Rücktritt auf. Und sein Nachfolger, Yasuhiro Yamashita, hat keine grundlegenden Reform im Verband angekündigt. Freiwillig wird man den Fall wohl nicht aufarbeiten.
Auch die Kosten für Durchführung der Spiele sind explodiert. Die Veranstalter haben mit 6,6 Milliarden US-Dollar kalkuliert, von denen der Steuerzahler angeblich keinen Cent zahlen soll. Eine Expertenkommission geht mittlerweile von 20 Milliarden aus - und die Bürger werden sehr wohl belastet.
Nichts Neues bei Olympia, könnte man sagen. Dabei trat das reiche, vertrauenswürdige Tokio an, um alles besser zu machen. Und besonders peinlich ist deshalb, dass es selbst auf den schnell fortschreitenden Baustellen nicht gerade gut aussieht.
Visualisierte Pläne für das Olympische Turnzentrum von Tokio.
Visualisierte Pläne für das Olympische Turnzentrum von Tokio. (dpa / picture alliance / Alessandro Di Ciommo)
Im Mai gab der Gewerkschaftsbund Bau- und Holzarbeiter Internationale, kurz: BWI, einen erschreckenden Bericht heraus. Von "gefährlichen Formen der Überarbeitung" und einer "Kultur der Angst" ist da die Rede.
Bis zu 28 Tage am Stück müssten Arbeiter antreten, die Hälfte von ihnen arbeite ohne schriftlichen Vertrag. Zwei Todesfälle habe es bereits gegeben. Bedingungen, die man aus Katar kennt. Aber Tokio?
"Vom Bauboom bekommen wir überhaupt nichts mit"
Im Westen der japanischen Hauptstadt treffen Arbeiter beim Gewerkschaftsbund Zenkensoren zusammen, um über die Situation auf den Baustellen zu sprechen.
"Als Tokio vor fünf, sechs Jahren entschieden wurde, dass Tokio die Olympischen Spiele veranstaltet, hieß es, es würde für uns mehr Arbeit geben. Deswegen dachte man, die Löhne würden steigen. Wir hatten Hoffnung. Und wir haben uns natürlich gefreut, für Olympia bauen zu dürfen. Wir waren stolz. Ich habe angefangen, das Olympische Dorf aufzubauen. Aber vom Bauboom bekommen wir überhaupt nichts mit. Die Löhne sind so niedrig wie vorher auch."
"Die Arbeit ist sehr anstrengend. Wir müssen schneller und stetiger sein als bei anderen Projekten, verdienen aber nicht mehr. Es ist im Grunde Fließbandarbeit. Man kann erst nach hause, wenn das erledigt ist. Die Auftraggeber haben einen Highspeedplan aufgestellt. Was wir anderswo in zwei Wochen machen, vom Beton anmischen bis zum Bauen, muss hier zum Beispiel in sechs Tagen erledigt werden."
Beton auftragen, selbst wenn es regnet
"Uns wird zum Beispiel gesagt, dass wir Beton auftragen sollen, selbst wenn es regnet. Das darf man eigentlich nicht. Das ist schlecht für die Qualität des Gebäudes."
Ein anderer berichtet von mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen:
"Als ich an der Anlage für die Segelwettkämpfe gearbeitet habe, löste sich einmal plötzlich eine Stange und viel von ein paar Metern Höhe auf den Boden. Das war richtig gefährlich. Und wenn man so etwas anspricht, interessiert sich niemand. Es heißt nur, man soll weiterarbeiten."
Arbeiter an den Sportstätten für Olympia 2020 in Tokio. 
Arbeiter an den Sportstätten für Olympia 2020 in Tokio. (dpa / picture alliance / Alessandro Di Ciommo)
Und was sagen die Veranstalter dazu? Masa Takaya, Sprecher des Organisationskomitees, relativiert die Vorwürfe:
"Das Organisationskomitee analysiert derzeit den Inhalt des Reports. Wir werden natürlich mit den beteiligten Parteien kooperieren. Ich möchte auch erwähnen, dass das Organisationskomitee schon angemessene Sicherheitsmaßnahmen für die Arbeitsbedingungen implementiert hat, ein Beschwerdeverfahren inklusive. Wir werden dies im Einklang mit allen operativen Standards an. Außerdem haben das Organisationskomitee der Olympischen Spiele, die Metropolregierung Tokio und der Japanische Sportrat, der der Besitzer des neuen Stadions wird, eine Anfrage an BWI geschickt, um genauere Informationen zu erhalten."
Auf Antworten wartet man seit Mai
Nur habe man von dort bisher keine weitere Evidenz erhalten.
Bei der Gewerkschaft hört man eine andere Version. Nara, Generalsekretär von Zenkensoren, der auch am BWI-Report mitgearbeitet hat, erzählt es so:
"Auf den Report von BWI im Mai hin haben die Veranstalter uns gebeten, mehr Evidenz vorzulegen. Daraufhin haben wir am 24. Mai eine Mail geschickt. Darin schlugen wir vor, uns gemeinsam an einen Tisch zu setzen und die Sache mit aller Evidenz zu besprechen. Daraufhin haben wir bis heute keine Antwort erhalten."
So haben viele der Arbeiter die Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehung schon aufgegeben. Auf der Frage, ob sie sich denn auf den Beginn der Olympischen Spiele freuen folgt erst betretenes Schweigen. Und dann so etwas wie Kopfschütteln.