London, Rio und Tokio – dreimal hat Elisabeth Seitz an Olympischen Spielen teilgenommen. Die Turnerin kennt also aus eigener Erfahrung, was dafür nötig ist: "Absolutes Durchhaltevermögen, dass man eben dort ankommt, weil es nie ein geradliniger Weg ist zu Olympia. Und wenn man das geschafft hat, gegen alle Widrigkeiten und alles angekämpft hat, dann hat man auf jeden Fall das Mindset, da vorne stehen zu dürfen bei Olympia."
Mentale Stärke für Europameisterin Mayer entscheidend
Sich durch die Höhen und Tiefen des Sports durchkämpfen, das macht für Seitz das olympische Mindset aus.
Für Europameisterin Lisa Mayer, die in Paris mit der 4x100-Meter-Staffel an den Start geht, ist die mentale Stärke am Ende sogar der entscheidende Faktor. „In so einem 100-Meter-Finale würde ich sagen, ist keiner der acht Athleten oder Athletinnen besser oder schlechter von der reinen Sprintfähigkeit. Am Ende gewinnt aber der, der seine Nerven und seinen Kopf am besten unter Kontrolle hat.“
Erfolgsfaktoren: Motivation, Zielstrebigkeit und Resilienz
Motivation, Zielstrebigkeit und Resilienz sind weitere Faktoren, die Spitzensportler:innen von Hobbyathlet:innen unterscheiden. Das zeigen die Forschungsergebnisse von Sportpsychologin Lisa Musculus, die an der Sporthochschule Köln arbeitet. Bei kognitiven Fähigkeiten falle auf, dass die Top-Athlet:innen vor allem effizienter vorgehen – sie treffen nicht nur schnellere, sondern gleichzeitig auch bessere Entscheidungen.
Interessant ist: Selbst die Genetik scheint darauf einen Einfluss zu haben. Aber: Jede und jeder kann diese Fähigkeiten weiter trainieren und – bis zu einem gewissen Grad – ausbauen. Dabei ist der Weg zu Olympischen Spielen laut Musculus sehr individuell:
„Neben dem Mindset sehen wir auch in unseren Daten sehr schön, jetzt in dem in:Prove-Projekt, dass das ganz unterschiedliche Profile sind, wie jemand Spitzensportathlet:in werden kann und das gilt auch für solche psychologischen Aspekte.“ Deswegen sei es auch schwierig zu beantworten, welches Mindset am ehesten zum Erfolg führe.
Weg zu Olympia häufig gepflastert von Rückschlägen
Für Elisabeth Seitz kommt es auch auf den Zeitpunkt der Vorbereitung an: "'Dabei sein ist alles' ist erstmal immer der Wunsch oder das Ziel im Voraus, weil das Schwierigste ist meistens, überhaupt erst anzukommen bei den Olympischen Spielen, weil es nie nach Plan läuft, es ist immer irgendwie eine Verletzung dazwischen, irgendwelche Rückschläge, es ist es selten ein geradliniger Weg. Aber wenn es dann so weit ist, dann möchte man natürlich ganz vorne stehen.“
Auch die bisherige Karriere beeinflusst, mit welcher Haltung Sportler:innen zu Olympia fahren. Bei ihren ersten Spielen in Rio 2016 habe sich allein durch die Teilnahme ein Lebenstraum erfüllt, erzählt Sprinterin Lisa Mayer: "Jetzt acht Jahre später, meine Nominierung für die dritten Olympischen Spiele, da würde ich jetzt sagen, da sehen meine Ziele etwas anders aus. Da ist dabei sein nicht mehr alles."
Über Leistungs- und Medaillendruck im Sport
Aber Erfolg misst sich nicht allein an einer Medaille. Für Gerben Wiersma, Bundestrainer im Turnen, geht es vor allem um persönliche Entwicklung. "Für mich ist es definitiv: 'Citius, Altius, Fortius' [z. Dt.: schneller, höher, stärker]. Das ist auch mein Motto, dass ich immer schauen will, wie wir uns verbessern können. Wichtig ist, dass du die beste Version von dir selbst zeigst. Es geht nicht darum, Medaillen zu gewinnen. Ich glaube, das ist oft der Punkt, wo die Dinge schieflaufen."
Medaillen sind aber gerade bei Olympischen Spielen das, worauf die Öffentlichkeit am meisten achtet. Leistungssport bedeutet daher auch immer: Leistungsdruck, hohe Erwartungen an sich selbst, aber auch von außen. Familie, Trainerstab und Öffentlichkeit will man nicht enttäuschen.
Dazu kommt, dass immer nur die Athlet:innen Förderungen erhalten, die es nach ganz vorne schaffen. Und dann sind die Olympischen Spiele auch noch nur alle vier Jahre – da braucht es perfektes Timing.
Spagat zwischen Leistungsoptimierung und Gesundheit
Viele können mit dem Druck nicht umgehen. Lisa Mayer genießt ihn: „Es gibt ja so einen schönen Spruch: 'Pressure is my Pleasure' [z. Dt.: Druck ist mein Vergnügen]. Und so sehe ich das auch immer. Ich brauche diese Drucksituation sogar, um Leistung zu bringen.“
Das ist aber nicht nur Einstellungssache. Lisa Mayer und Elisabeth Seitz betonen, wie wichtig Routinen für eine gute Leistung sind. Aber auch der Einsatz von sportpsychologischer Hilfe kann bei der mentalen Vorbereitung helfen. Dabei hat sich auch die Art verändert, wie an die Sache herangegangen wird, sagt Sportpsychologin Musculus.
"Mein Eindruck ist, dass die Arbeit sich auch in der Sportpsychologie dahin verschiebt, dass es nicht mehr – in Anführungszeichen – nur um das Erlernen von psychologischen Fertigkeiten geht. Und ich muss auch mal in der Lage sein, zu sagen: So, störender Gedanke – weg!“
Es entstehe ein ganzheitliches Bild des Athleten oder der Athletin – und damit auch ein ganzheitlicheres Bild davon, wie Leistungssport und mentale Gesundheit zusammenpassen. Musculus sieht es als positive Entwicklung im Sport und für die Gesellschaft, „dass es um Leistungsoptimierung geht, individuelle Leistungsreserven auszuschöpfen, aber unter Berücksichtigung von Gesundheit. Und Gesundheit auch im Sinne von Wohlbefinden".
Manchmal werden Grenzen im Leistungssport missachtet
Also: Leistung bringen und gleichzeitig auf sich selbst und andere achten. An schlechten Tagen könne man den Fokus beispielsweise darauf legen, die Trainingskolleg:innen mitzuziehen und zu motivieren, so Musculus. Ganz nach dem vom IOC angepassten Spruch: „Schneller, höher, stärker – gemeinsam“.
Musculus unterstreicht: „Es ist ja nicht per se ein böses System, sondern es ist eben ein System, in dem Leistung erbracht wird, was toll ist und wo Leute irgendwie für arbeiten. Und trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen darüber, dass bestimmte Grenzen nicht gewahrt werden und ich glaube, um das gut anzugehen, kann jeder für sich eben schauen: Gehe ich über eine bestimmte Grenze oder eben nicht?“
Mayer: "Feuer für meine Sportart brennt noch"
Die Grenzen bestimmt in manchen Fällen auch der Körper. Lisa Mayer hat das bereits erlebt. Die Spiele von Tokio und die Leichtathletik-WM in Budapest vor einem Jahr hat sie wegen Verletzungen verpasst. Aber das olympische Durchhaltvermögen – es hat sie doch nochmal nach Paris gebracht.
Mayer erzählt: „Über die all die Jahre, die ich vielleicht verletzt war, wo ich Rückschläge erlitten habe, wusste ich aber immer, dass dieses innere Feuer noch brennt für meine Sportart, für meine Disziplin und dass ich da einfach noch nicht fertig bin.“