Olympia 2024
Spiele mit kolonialer Vergangenheit

Die Gastgeber von Paris feiern ihre Spiele und blicken voller Stolz auf ihre Geschichte. Doch Frankreich profitierte als Kolonialmacht, Jahrhunderte lang von Ausbeutung. Einige Sportler, die Wurzeln in Ex-Kolonien haben, wollen sich das nicht gefallen lassen.

Von Ronny Blaschke |
Französischen Zuschauer halten ein Plakat mit dem Konterfei von Judoka Teddy Riner aus Frankreich hoch.
Judoka Teddy Riner ist in Frankreich ein Superstar. Seine Wurzeln liegen im französischen Überseedepartement Guadeloupe. (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
Tanzeinlagen, Lasershows, spektakuläre Bilder von Paris. Die Eröffnung der Olympischen Spiele wirkt nach. Als Feier einer vielfältigen Gesellschaft. Im Zentrum der Show: die Seine. Doch in diesem Spektakel geht eine Geste unter: Während der Bootsparade werfen Sportler aus Algerien rote Rosen in den Fluss. Sie erinnern an ein Massaker. 

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Am 17. Oktober 1961 protestieren französische Staatsbürger algerischer Herkunft gegen eine nächtliche Ausgangssperre in Paris. Die Polizei prügelt auf die Demonstranten ein. Mindestens 120 von ihnen sterben, viele ertrinken in der Seine, erinnert die in London lebende Journalistin Shahla Omar.
„Während der Eröffnungsfeier riefen Mitglieder der algerischen Delegation: ,Lang lebe Algerien‘. Diese Geste wurde in sozialen Medien intensiv diskutiert, aber sie wurde nicht in der weltweiten Fernsehübertragung gezeigt. An der Stelle, wo das Massaker stattgefunden hat, hätte man die Zeremonie vielleicht unterbrechen können. So hätte die Trauer des algerischen Teams eine größere Aufmerksamkeit erhalten.“

Angemessene Aufarbeitung fehlt in Frankreich

Algerien steht insgesamt 132 Jahre unter der Kontrolle Frankreichs. Einige Quellen legen nahe, dass französische Soldaten und Polizisten in dieser Zeit bis zu 1,5 Millionen Algerier getötet haben. Inzwischen spricht Präsident Emmanuel Macron die Kolonialverbrechen an, doch von einer angemessenen Aufarbeitung sei Frankreich weit entfernt, betont die Reporterin Shahla Omar.
„Die Sängerin Axelle Saint-Cirel sang während der Eröffnungsfeier die französische Hymne. Sie stand dabei auf dem Dach des Grand Palais. Das sah wunderschön aus, zumindest oberflächlich betrachtet. Was viele nicht wissen: Der Grand Palais wurde für die Weltausstellung im Jahr 1900 gebaut. Damals wurden dort so genannte ,Völkerschauen‘ abgehalten. Dort wurden Menschen aus den Kolonien erniedrigt.“

Etliche Spitzenathleten Frankreichs haben Wurzeln in Ex-Kolonien

Auch in der Gegenwart ist der olympische Sport mit der Kolonialzeit verbunden. Etliche Spitzenathleten Frankreichs haben biografische Wurzeln in früheren Kolonien. Der Basketballer Victor Wembanyama: in Kongo. Der Judoka Teddy Riner: in Guadeloupe. Schwarze Sportler wie sie werden in sozialen Medien rassistisch beleidigt und als „nicht französisch“ bezeichnet, sagt der in Algerien lebende Journalist Maher Mezahi.
„Viele Rechtsextreme beschreiben zum Beispiel Judo als Schwarzen und arabischen Sport. Einige Linke wollen den weißen Schwimmer Léon Marchand in die Nähe von Royalisten und Rechten rücken. Das ist unfair, denn Marchand äußert sich nicht politisch. Es gibt einen Eifer, den Sport politisch aufzuladen.“

In der alten Heimat geächtet

Diese Vereinnahmung von Sportlern hat in Frankreich eine lange Tradition. 1928, bei den Olympischen Spielen in Amsterdam, gewinnt der algerischstämmige Franzose Boughéra El Ouafi die Goldmedaille im Marathon. Mehr als 30 Jahre später wird er von Mitgliedern der algerischen Unabhängigkeitsbewegung ermordet. Offenbar, weil er ihren Kampf nicht unterstützen wollte. Französische Medien machen damals mit diesem Fall Stimmung gegen Algerier, erzählt der Reporter Maher Mezahi und nennt ein weiteres Beispiel.
„Einer der erfolgreichsten Marathonläufer der Geschichte stammte aus Algerien, aber er wollte sich unbedingt in Frankreich integrieren. Ali Mimoun nannte sich fortan Alain Mimoun und konvertierte zum Christentum. Aber er sprach weiter über Rassismus. So wurde Mimoun zu einer berühmten Persönlichkeit Frankreichs.“
Die aktuellen Sportler sind nach der Kolonialzeit geboren worden. Einige von ihnen besitzen doppelte Staatsbürgerschaften. Die Turnerin Kaylia Nemour zum Beispiel wuchs in Frankreich auf. Wegen einer komplizierten Verletzung wollte der französische Verband die 17-Jährige nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen lassen. Nach einem langen Streit startet sie nun für das Geburtsland ihres Vaters, für Algerien.

Marokkos Nationalteam mit schwierigem Stand

Die marokkanische Fußballnationalmannschaft hat sich für das olympische Turnier in Paris qualifiziert. Einige Spieler sind in Frankreich aufgewachsen und stehen in Marokko besonders unter Beobachtung, sagt die marokkanische Journalistin Basma El Atti.
„Frankreich und Marokko halten noch immer enge wirtschaftliche Verbindungen. Viele französische Unternehmen sind in Marokko aktiv. Und auch im marokkanischen Bildungssystems ist der französische Einfluss zu spüren. Aber im Sport geht es emotionaler zu. Dass einige marokkanische Fußballer, die in Frankreich aufgewachsen sind, kein Arabisch sprechen, wird auch kritisch gesehen.“
Olympische Spiele in Frankreich? Das sind Spiele mit kolonialer Vergangenheit. Ob die Gastgeber in Paris darauf eingehen? Zumindest lassen sie den französischen Gründer des Internationalen Olympischen Komitees in diesem Kontext fast unerwähnt. Pierre de Coubertin war ein großer Befürworter des Kolonialismus