Es herrscht ein Machtkampf rund um die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Auf der einen Seite steht die WADA, die Welt-Anti-Doping-Agentur. Auf der anderen Seite steht die USADA, die nationale Anti-Doping-Agentur der Vereinigten Staaten. Der Streitpunkt: Wer hat die Deutungshoheit im internationalen Anti-Doping-Kampf?
Warum steht die WADA in der Kritik?
Bereits Anfang 2021, vor den Olympischen Spielen in Tokio, sind 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf das Herzmittel Trimetazidin - und damit auf Doping - getestet worden. Laut der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA sind die Fälle auf Verunreinigungen in einer Hotelküche zurückzuführen, wo das Herzmedikament angeblich im Essen gelandet sein soll. Die CHINADA sprach deswegen keine Sperren gegen die Schwimmerinnen und Schwimmer aus.
Auch die WADA folgte dieser Argumentation und hielt die Fälle sogar unter Verschluss. 13 der positiv getesteten Schwimmerinnen und Schwimmer starteten später bei den Olympischen Spielen in Tokio und holten unter anderem dreimal Gold und zweimal Silber. Elf der 23 Schwimmerinnen und Schwimmer sind nun auch in den Spielen in Paris am Start.
Erst Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times brachten die Fälle vor wenigen Monaten ans Licht. Die WADA räumte die positiven Fälle daraufhin ein, doch das Vertrauen in die Organisation ist erschüttert. Der Vorwurf: Die WADA hat in den Fall keine unabhängige Untersuchung eingeleitet, sondern einzig auf die Untersuchungsergebnisse einer staatlichen Behörde in China vertraut.
Welche Rolle spielt die USADA in dem Konflikt?
Die USADA, und vor allem deren Chef Travis Tygart, gehört schon länger zu den schärfsten Kritikern der WADA. Im Zuge der Enthüllungen rund um den Fall China sagte Tygart im "Spiegel": "Das Schweigen von den Spitzen des Sports, wenn es darum geht, wie besorgniserregend die aktuellen Erkenntnisse sind, ist ohrenbetäubend."
Tygart forderte wiederholt eine "Generalüberholung der WADA", weil "der aktuelle Fall einmal mehr gezeigt hat, dass das globale Anti-Doping-System die Sportler im Stich gelassen hat."
Darüber hinaus gilt in den USA seit zwei Jahren ein Gesetz, das es amerikanischen Strafverfolgung erlaubt, auch über die Landesgrenzen hinaus gegen das Umfeld von Dopern vorzugehen, wenn dadurch US-Athletinnnen und Athleten benachteiligt werden - der sogenannte "Rodchenkov Act", benannt nach dem russischen Whistleblower Grigori Rodtschenkow.
Das wiederum stößt der WADA bitter auf. "Die USADA will sich über den Rest der Welt erheben, vielleicht sogar die WADA als globale Regulierungsbehörde für die Dopingbekämpfung ersetzen", sagte WADA-Präsident Witold Banka.
Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung hatte die WADA schon vor der Abstimmung über das Gesetz im Dezember 2020 versucht, durch Lobbyarbeit das Gesetz zu verhindern.
Warum ist der Streit nun eskaliert?
Kurz vor dem Start der Olympischen Spiele in Paris hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) bekannt gegeben, dass die Olympischen Winterspiele 2034 in den USA, nämlich in Salt Lake City, stattfinden werden.
Allerdings hat das IOC eine Klausel in den Ausrichtervertrag aufgenommen: Das IOC kann den Vertrag wieder kündigen, sollten die USA "die oberste Autorität der Welt-Anti-Doping-Agentur im Kampf gegen Doping nicht vollständig respektieren oder die Anwendung des Welt-Anti-Doping-Codes behindern oder untergraben", sagte IOC-Vizepräsident John Coates.
Dem IOC geht es dabei um die Autonomie des Sports. Das bestätigte auch IOC-Mitglied Michael Mronz im Deutschlandfunk: "Beim Thema Anti-Doping gibt es eine klare Haltung vom IOC. Diese Haltung ist, dass wir alleine 360 Millionen Euro ausgeben, um die WADA zu unterstützen. Das ist ein klares Zeichen. Und deswegen glaube ich, ist es wichtig zu sagen, wo sind die Instanzen, die entscheiden. Und im internationalen Sport ist das die WADA und deswegen gilt es auch, die WADA vollumfänglich zu unterstützen."
USADA-Chef Tygart übte wiederum scharfe Kritik an der Vertragsklausel: "Es ist schockierend zu sehen, dass das IOC selbst zu Drohungen greift, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die nach Antworten auf jetzt bekannte Fakten suchen", schrieb er in einer Stellungnahme.
Was sagen andere nationalen Anti-Doping-Agenturen?
Die deutsche nationale Anti-Doping-Agentur NADA reagiert deutlich zurückhaltender. Bei einer Pressekonferenz in Paris am Sonntag sagte NADA-Vorstandsmitglied Eva Bunthoff lediglich, man habe Fragen an die WADA und wolle Antworten einfordern. Generell sei nur sehr kryptisch über den Fall China gesprochen, berichtete Dlf-Reporterin Marina Schweizer. So sei immer nur von den "jüngsten Veröffentlichungen" die Rede gewesen.
Der Chef der österreichischen NADA, Michael Cepic, stellte sich dafür schon eher auf die Seite der WADA und äußerte Kritik am Rodchenkov Act: "Dass jetzt einzelne Länder beginnen, ihre rechtlichen und strafrechtlichen Kompetenzen auf andere Länder auszuweiten, halte ich nicht für zielführend. Und ich meine das nicht politisch, aber stellen sie sich vor, sie haben zehn, zwölf Länder, die jetzt alle ihre Kompetenzen ausweiten für verschiedene Strafrechtsdelikte und so weiter. Dann wäre der WADA-Code nur noch ein Rahmenwerk, das von jedem anderen Gesetz aufgehoben wird."
Wie geht es jetzt weiter?
Die Fronten zwischen der WADA und er USADA sind verhärtet. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. "Das Kräftemessen, wer im Anti-Doping-Kampf den Hut aufbehalten darf und wie sehr sich staatliche Ermittler über ihre Landesgrenzen hinweg einmischen dürfen, hört nicht auf, sondern fängt vielleicht gerade erst an", sagte Schweizer.
Um das in der China-Affäre verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, brauche die WADA nun vor allem Transparenz, sagte Schweizer. "Auch was die Entscheidungsabläufe der WADA angeht. Warum hat man offenbar diese chinesische Version geglaubt? Sind womöglich vielleicht sogar Beweise vorgelegt worden und wie sehen die dann aus? Um das Vertrauen zurückzugewinnen, müsste man diese Prozesse transparent machen."