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Olympia-Berichterstattung
Zu viele Kommentare durch die "deutsche Brille"

Manche Olympia-Kommentare waren so auf die deutsche Mannschaft fixiert, dass sie die spannendsten Wettkampfszenen verpassten, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Er wünscht sich weniger Nationalismus in der Sportberichterstattung.

Eine Kolumne von Matthias Dell |
Zielankunft beim Finale der 4x100-Meter-Staffel der Frauen bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio. Von links: Shericka Jackson (Jamaika), Daryll Neita (Großbritannien), Gina Lückenkemper (Deutschland), Gabrielle Thomas (USA).
Platz 5 für Deutschland: Zieleinlauf bei der 4x100-Meter-Staffel der Frauen bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio (Imago/Sven Simon)
Olympia ist vorbei, und wer auf die Bilanzen guckt, dem kann es gehen wie dem ARD-Reporter Carsten Sostmeier: "Schauen Sie mal, Deutschland, es tut schon ein bissel weh."
Also was die Medaillenausbeute angeht: Die war so mau wie nie in den 30 Jahren, in denen das wiedervereinigte Deutschland an den Start geht. Aber wer Bilanzen zieht, der guckt auch nach vorn. Denn das schlechte Ergebnis kann für die Verantwortlichen nur heißen, dass es beim nächsten Mal besser wird.

Mitfiebern ja - aber nicht nur mit dem eigenen Team

Das würde ich mir auch für die Berichterstattung wünschen. Genauer für einen bestimmten Teil dieser Berichterstattung: Ich würde mir wünschen, dass in der Live-Kommentierung beim nächsten Mal eine Entnationalisierung stattfände, zumindest ein bisschen.
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.
Das klingt natürlich abwegig bei einem Ereignis, dessen wichtigste Statistik der Medaillenspiegel ist - eine Liste, auf der verschiedene Länder um die besten Plätze kämpfen.
Und bis zu einem gewissen Punkt kann man das mediale Mitfiebern ja verstehen, dass das deutsche Fernsehen natürlich besonders auf Leistungen von deutschen Teams achtet. Das Problem entsteht für mich nur da, wo die Beachtung dieser Leistung dazu führt, dass man die Lust am Zuschauen verliert.

Wenn der Kommentator das eigentliche Rennen verpasst

Wenn etwa bei einem Staffelrennen der Kommentator nur Wörter für das deutsche Quartett hat, dieses deutsche Quartett am Ende aber Sechster, Siebter oder Achter wird, dann war ich, mit dieser Kommentierung, im falschen Rennen. Während an der Spitze vielleicht der große Favorit schwächelt oder sich zwei Mannschaften ein spannendes Duell liefern, ist alles, was ich gehört habe: dass die deutsche Athletin gut angelaufen ist, dass die Wechsel bei den Deutschen doch ganz gut geklappt haben, dass jetzt der stärkste deutsche Läufer kommt. Der dann aber auch nichts retten kann. Die Wünsche des Kommentators bleiben Wünsche, die Dramatik des Rennens hat er derweil verpasst.
Das ist tatsächlich ein Problem, das es vor allem bei der Kommentierung in der Leichtathletik, beim Schwimmen oder Rudern gibt. Bei Sportarten also, bei denen acht oder mehr Menschen gegeneinander antreten, um zu messen, wer am Ende am schnellsten ist.

Diese Erleichterung, als die Deutschen raus waren

Im Fußball, Handball oder Tennis ist das anders. Da nervt die nationale Brille zwar auch, aber die Live-Kommentierung kann sich gar nicht so weit vom Ausgang des Spiels entfernen wie bei einem 4x100-Meter-Lauf, bei dem nur über Bahn 6 geredet wird. Denn es gibt ja nur zwei Mannschaften und ein Spiel.
Bei den Olympischen Spielen war mein Leiden an der nationalen Fixierung bei der Kommentierung so groß, dass ich irgendwann froh war, wenn es keine deutsche Beteiligung im Wettbewerb mehr gab. So wie am vergangenen Samstag beim Reiten, als klar war, dass die deutsche Mannschaft raus ist.
Da war Reporter Carsten Sostmeier zwar traurig, berappelte sich aber bald wieder und gab das Motto aus, das hoffentlich beim nächsten Mal von der Berichterstattung beherzigt wird: "So, jetzt freuen wir uns mit und drücken allen die Daumen mal, ohne hier immer Müßiggang durch die deutsche Brille zu betreiben. Der Sport ist viel zu schön."
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