Archiv

Olympische Winterspiele in Peking
Warum die Politik die Spiele in China boykottieren will

Mehrere Länder haben einen politischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking angekündigt. Sie werden keine politischen Vertreterinnen und Vertreter nach China entsenden. Was sind die Hintergründe für den Boykott? Was sind die Ziele? Und wie positionieren sich Deutschland und die EU? Ein Überblick.

    Peking: Ein Sportler übergibt die olympische Fackel an Cai Qi, Sekretär der Kommunistischen Partei Pekings, während der Begrüßungszeremonie zur Ankunft der olympischen Flamme für die Olympischen Winterspiele Peking 2022 im Olympiaturm.
    Olympische Winterspiele in Peking - die olympische Flamme ist bereits angekommen (AP/Andy Wong)
    Nach den USA haben auch Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien angekündigt, keine Regierungsvertreter zu den Olympischen Winterspielen in Peking zu entsenden. Sportlerinnen und Sportler aus diesen Ländern sollen jedoch an dem Großereignis im Februar teilnehmen dürfen. Auch in der EU und in Deutschland wird über einen politischen Boykott diskutiert.
    Debatte um politischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking (09.12.2021)

    Was ist unter einem politischen Boykott zu verstehen?

    Hintergrund der Boykott-Debatten ist vor allem die Lage der Menschenrechte in China - besonders die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten wie der Tibeter und Uiguren. Als Zeichen des Protests dagegen wollen Politikerinnen und Politiker aus mehreren Ländern deshalb auf eine Reise zu den Winterspielen verzichten. Die Rede ist von einem politischen oder diplomatischen Boykott.
    Auch wenn es keinen offiziellen Boykott-Beschluss der Bundesregierung gibt, haben sich laut Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) bis zum Anmeldeschluss Mitte November keine Politikerinnen und Politiker aus Deutschland um einen Platz auf der sogenannten Long List für die Reise nach Peking beworben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ließ bereits mitteilen, dass er auf die Reise zu den Winterspielen verzichten werde. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin dagegen wird an den Winterspielen teilnehmen. Putin hat eine persönliche Einladung des chinesischen Staatschefs Xi Jinping angenommen.

    Wie positionieren sich Deutschland und EU zum Boykott?

    Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich zur Frage eines politischen Boykotts der Spiel in Peking bislang nur vage geäußert und zu allererst die Wichtigkeit von Absprachen betont. Die Bundesregierung müsse sich zu dieser Frage noch austauschen, sagte Scholz. Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich beim Antrittsbesuch bei ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian in Paris (09.12.2021) für eine gemeinsame europäische Haltung beim Thema politischer Boykott der Winterspiele aus.
    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (l.) und der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian geben eine Pressekonferenz. Beide stehen an einem Redepult. Baerbock macht eine Geste zu Le Drian. Der Saal ist mit goldenen Ornamenten geschmückt.
    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (l.) und der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian auf ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz (imago/Thomas Imo/photothek)
    Auch Le Drian plädierte auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Baerbock für eine einheitliche EU-Position in dieser Frage. Zuvor war aus Paris allerdings die Meldung gekommen, Frankreich werde sich nicht am politischen Boykott beteiligen. Die beigeordnete Sportministerin und frühere Schwimm-Weltmeisterin Roxana Maracineanu werde nach Peking reisen, hatte Sport- und Bildungsminister Jean-Michel Blanquer erklärt.
    Die Haltung Frankreichs zu dem Thema ist eine ganz besondere. Denn in Paris finden 2024 die Olympischen Sommerspiele statt. Vor diesem Hintergrund möchte man möglicherweise eine Konfrontation mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vermeiden.
    Jürgen Trittin (Grüne): „Es muss eine gemeinsame europäische Antwort geben“ (15.12.2021)
    Auch der deutsche Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sowie der Grünen-Politiker Jürgen Trittin plädierten im Dlf für eine gemeinsame europäische Linie bezüglich eines politischen Olympia-Boykotts. Bereits im Juli hatte das EU-Parlament eine entsprechende Resolution verabschiedet. In ihr fordern die Abgeordneten alle Mitgliedsstaaten der Union auf, nicht nach China zu reisen, wenn sich die Lage der Menschenrechte dort nicht verbessert habe.
    Alexander Graf Lambsdorff, FDP, zu: China-Boykott? (09.12.2021)

    Was sind die genauen Gründe für die Boykott-Überlegungen?

    Wie schon vor den Olympischen Sommerspielen im Jahr 2008 in Peking ist vor allem die Lage der Menschenrechte in China Hintergrund für die Boykott-Überlegungen. 2008 stand vor allem die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung in Tibet im Fokus. Im Jahr 1959 annektierte die Volksrepublik das strategisch wichtige und an Bodenschätzen reiche Hochplateau im Himalaya und begann mit der systematischen Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung.
    Inzwischen ist diese weitgehnd verdrängt und ihrer Kultur beraubt. Der 14. Dalai Lama, politisches und religiöses Oberhaupt der Tibeter, lebt seit der chinesischen Annexion im Exil in Indien. Peking kontrolliert die Wirtschaft Tibets und treibt laut Menschenrechtsorganisationen Raubbau an der Umwelt etwa durch Straßenbau, Abholzung der Wälder und das Betreiben von Minen. Von der wirtschaftlichen Entwicklung ist die tibetische Bevölkerung ausgeschlossen.
    Anlässlich der Olympischen Sommerspielen 2008 hatten Politikerinnen und Politiker gemeinsam mit Sportfunktionären und -funktionärinnen bekundet, nach Peking zu reisen, um dort die Menschenrechtssituation in China und vor allem in Tibet ansprechen zu wollen. Damals lautete die Devise: Wir fahren hin, sprechen die Situation an und bewegen die Regierung damit zum Einlenken. Eine entsprechende Position vertritt aktuell wieder der designierte SPD-Parteichef Lars Klingbeil. Dem Radiosender ffn sagte Klingbeil, sportliche Großereignisse seien eine Möglichkeit, "gezielt auf kritische, gesellschaftliche Entwicklungen hinzuweisen".

    Mehr zu Menschenrechtslage in China


    In der aktuellen Boykott-Debatte wird neben der Situation in Tibet auch auf die in der Provinz Xinjiang verwiesen. Dort soll die chinesische Regierung tausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren in Lagern interniert haben, Kritiker sprechen von Misshandlungen, Hinrichtungen und Umerziehung der Menschen. Peking bestreitet das und bezeichnet die Lager als "Bildungscamps", wirft den Uiguren Terrorismus vor.
    Auf die Vorwürfe, die Häftlinge in Xinjiang würden unter anderem gezwungen, etwa Schuhe für US-Sportartikelhersteller fertigen zu müssen, reagierte jetzt das US-Repräsentantenhaus. Es beschloss ein Importverbot für Produkte aus der Provinz.

    Wie reagiert China auf die Boykottpläne?

    Bevor die USA Vollzug meldeten, hatte die Weltmacht monatelang öffentlich über einen politischen Boykott der Winterspiele nachgedacht. Der Erfolg der Spiele werde nicht von der Teilnahme politischer Repräsentanten und Repräsentantinnen aus den USA abhängen, hatte schon damals der außenpolitische Sprecher Chinas verkündet - eine Aussage, die Peking nun erneut betonte.
    China reagiert auf diplomatischen Olympia-Boykott der USA (07.12.2021)
    Nachdem auch Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien den politischen Boykott der Spiele bekanntgaben, erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, diese Länder würden "den Preis dafür zahlen". Er warf den Regierungen vor, die Olympischen Spiele für politische Zwecke zu missbrauchen. Das bedeute, dass diese Länder sich selbst isolierten.

    Was bedeutet ein politischer Boykott für die Athletinnen und Athleten?

    Die Mehrheit der Athletinnen und Athleten lehnt einen Boykott ab, zumindest einen sportlichen. Sie seien in die Entscheidung, in welches Land Olympische Spiele vergeben werden, nicht eingebunden, könnten daher auch nicht die Verantwortung für diese politische Entscheidung übernehmen, sagte Maximilian Klein, Beauftragter für internationale Politik des Vereins Athleten Deutschland der Sportschau.
    Die unabhängige Interessenvertretung der Leistungssportlerinnen und Leistungssportler beobachtet seit Wochen unter anderem den Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai. Die 35-Jährige war nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen einen ehemaligen hochrangigen Funktionär zeitweise aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Sporterlinnen und Sportler legten dem Internationale Olympische Komitee (IOC) einen Acht-Punkte-Forderungskatalog vor. Darin geht es um die Verantwortung des IOC für die Sicherheit der Athletinnen und Athleten, die zu den Spielen nach Peking fahren werden.

    Was bringt ein Boykott?

    Die Geschichte von Boykotten oder Drohungen mit Nichtteilnahme an Olympischen Spielen ist lang. 1928 etwa boykottierten britische Sportlerinnen die Spiele in Amsterdam; ihnen ging die erstmalige Zulassung von Frauen zu den Leichtathletikwettbewerben nicht weit genug.
    An den Olympischen Spielen 1936 im von den Nationalsozialisten regierten Berlin nahm Spanien nicht teil. Vor den Spielen 1964 in Tokio protestierten afrikanische Länder gegen die Teilnahme des Apartheitregimes aus Südafrika, das daraufhin nicht eingeladen wurde. Der "berühmteste" Olympia-Boykott ist der des Jahres 1980. Mehr als 40 Nationen entsendeten keine Athletinnen und Athleten zu den Wettbewerben in Moskau - aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan.
    Eröffnungszeremonie der Olymischen Spiele 1980
    Ohne Sportlerinnen und Sportler aus den USA und anderen westlichen Staaten: Eröffnungszeremonie der Olymischen Spiele 1980 in Moskau (AP)
    Den Olympischen Spielen vier Jahre später in Los Angeles blieben alle Warschauer-Pakt-Staaten fern. Auch dieser Boykott schloss ausdrücklich Sportlerinnen und Sportler mit ein. Viele von ihnen fühlten sich als Leittragende politischer Entscheidungen, an denen sie nicht beteiligt worden waren. In der Folge setzte sich international die Auffassung durch, dass sportliche Boykotte politisch wenig bewirken.
    Ein möglicher Erfolg eines politischen Boykotts der Winterspiele von Peking dürfte davon abhängen, wie viele Staaten sich letztlich daran beteiligen. In jedem Fall wird das Fernbleiben namhafter Staatsoberhäupter und Regierungschefs Peking die PR-Show verderben. Das Regime muss damit auf Bilder verzichten, die es wohl allzu gern für Propagandazwecke verwendet hätte. Denn autokratische oder diktatorische Regime nutzen sportliche Großereignisse gerne, um ihr Land als fortschrittlich, weltoffen und frei zu präsentieren.
    In China geht es aber auch um wirtschaftliche Interessen. Der Wintersport in der Volksrepublik führt bislang noch eine Nischenexistenz. Lässt sich die Bevölkerung vom inszenierten Wintersportspektakel begeistern, könnte das der Wintersportindustrie möglicherweise eine ungeheuren Schub verleihen.