Die Nationalhymne Chinas spielte am ersten Wettkampftag, als Vivian Kong Man-wai stolz auf dem Podium stand. Die Fechterin hatte gerade Gold für Hongkong gewonnen. Doch in den sozialen Medien Chinas war jener Tenor wahrzunehmen, den auch die von der Kommunistischen Partei Chinas kontrollierte Zeitung China Daily prägte. In einem Artikel hieß es: "Die Fechterin Vivian Kong Man-wai hat am Samstag für Chinas Hongkong die dritte olympische Goldmedaille überhaupt gewonnen."
Die Siegerin habe ihre Medaille demnach für die Volksrepublik China geholt. Wobei dies eine umstrittene Darstellung ist. Denn seit 1951, als Hongkong noch britische Kolonie war, hat die Halbinsel an der Südküste des chinesischen Festlands ein eigenständiges Nationales Olympisches Komitee. Seit 1997 gehört Hongkong zwar als Sonderverwaltungszone wieder offiziell zu China. Allerdings mit der Zusage innerer Autonomie und freier Marktwirtschaft.
Riesige Proteste gegen Kontrolle aus Peking
"Ein Land, zwei Systeme", dieses Prinzip sollte vertraglich eigentlich für 50 Jahre gelten. Es geht um Presse- und Meinungsfreiheit, auch um Wahlen. Nur hat Peking längst zu verstehen gegeben, dass es mit den Freiheiten nicht weit her ist. Ein Nationales Sicherheitsgesetz verbietet seit 2020 Dissens. Riesige Proteste gegen die Kontrolle aus Peking schlug die Polizei nieder.
Dieser Konflikt geht auch am Sport nicht vorbei, erklärt der Journalist Johan Nylander, Hongkong-Korrespondent für die schwedische Zeitung Dagens Industri: "Die Leute in Hongkong lieben die Olympischen Spiele", sagt er. "Und wie fast überall in der Welt unterstützen sie ihre Landsleute. Aber wie alles in Hongkong heute, ist Sport eine politisch empfindliche Angelegenheit geworden. Die Regierung in Peking versucht, chinesischen Patriotismus in die Köpfe der Menschen zu hämmern. Und die Leute sind damit nicht sehr zufrieden."
Chinesische Hymne bei Hongkonger Siegen
Bei Hongkonger Olympiasiegen muss heute die Hymne Chinas gespielt werden. Dies sorgte schon bei den letzten Sommerspielen in Tokio für Aufregung. Als während der Medaillenzeremonie für den Sieg des Fechters Edgar Cheung die chinesische Hymne ertönte, quittierten Zuschauer dies bei einem Public Viewing-Event in Hongkong mit Buhrufen. Dann folgten Festnahmen.
Seit diesem Jahr ist auch der wohl beliebteste Protestsong der Demokratiebewegung, „Glory to Hongkong“, der schon als inoffizielle Nationalhymne gegolten hat, verboten.
Aber dass dieses Lied in Hongkong nicht mehr gespielt werden darf, mache gar nichts, sagt der Sportfan Philip: "Dass diese Hymne jetzt verboten ist, wird an der Unterstützung durch die Menschen wenig ändern, glaube ich. Auch weil das Lied nicht viel bedeutet. Wir werden die Hongkonger weiterhin unterstützen. Denn die Athleten repräsentieren immer noch unsere Region, unsere Stadt."
Philip heißt in Wahrheit anders, will in Medien nicht mit Klarnamen zitiert werden.
"Sport ist ein politisches Schlachtfeld geworden"
Wobei der Journalist Johan Nylander für möglich hält, dass Philip selbst unter Anonymität noch lieber vorsichtig ist mit seinen Äußerungen, wenn es um das heikle Lied geht: "Wenn man heute zum Beispiel zu einem Fußballspiel geht, muss man aufpassen. Denn wenn sie Chinas Nationalhymne spielen, und man dann nicht aufsteht, wird man festgenommen. Selbst Sport ist also ein politisches Schlachtfeld geworden."
In Paris sind 34 Athletinnen und Athleten aus Hongkong vertreten. Nicht auszuschließen, dass noch in weiteren Fällen darüber gestritten wird, für welches Land nun Medaillen errungen wurden – Hongkong oder China?