"Lasst uns strahlen, indem wir jemand anderem die Hand reichen." Das ist die Botschaft des 15-jährigen Koudai Karajiya im Werbespot von Nihon Seimei, einem führenden Lebensversicherer in Japan. Koudai, der dieser Tage auch als olympischer Fackelläufer im Land unterwegs ist, hatte als Kind eine schwere Verletzung, lernte dann wieder laufen – natürlich, so die Botschaft, dank einer guten Versicherung.
Solche und ähnliche Werbespots sind momentan in Japan allgegenwärtig. Allein 67 japanische Unternehmen haben für die Olympischen Spiele einen Sponsoringvertrag unterschrieben. Um mit dem Namen "Tokyo 2020" werben zu dürfen, haben sie zusammen gut drei Milliarden US-Dollar an das Organisationskomitee gezahlt. Bei den Paralympischen Spielen kommen noch einige hinzu. Tokio schreibt damit einen Rekord: Noch nie wurde bei der größten Sportveranstaltung der Welt so viel Aufwand für Sponsoring betrieben.
Wobei das vor dem aktuellen Hintergrund überraschen mag. Inmitten der Pandemie ist die einstige Olympiabegeisterung längst verschwunden. Gut 80 Prozent in Japan wollen die Spiele diesen Sommer nicht.
"Machen den Mund lieber nicht auf"
Von den Sponsoren aber sind keine Bedenken zu hören. Koichi Nakano, Politikprofessor an der Sophia Universität in Tokio, wundert das nicht: "Die großen Unternehmen in Japan werden in der Regel von alten Männern kontrolliert, die schon lange im Geschäft sind. Sie kennen ihren Platz und machen den Mund lieber nicht auf. Die Art von unternehmerischem Aktivismus, wie man sie anderswo kennt, gibt es in den traditionellen Konzernen Japans nicht. Hier wird keiner eine Debatte anstoßen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand aus dieser Riege eine progressive Position bei irgendeinem kontroversen Thema einnehmen würde."
Nakano glaubt, dass dies vor allem mit Politik zu tun hat. "Die japanische Regierung will die Olympischen Spiele unbedingt durchziehen. Und die großen Unternehmen setzen auf gute Beziehungen zur politischen Macht, um Großaufträge zu erhalten und bei Regulierungen mitzubestimmen. Die Opposition in Japan ist recht schwach. Was würde es ihnen also bringen, sich gegen die Konservativen in der Regierung zu stellen? Sie wollen sich dort ja beliebt machen."
Nur deshalb seien viele Konzerne überhaupt erst Sponsoren geworden. Allein das Recht, mit dem offiziellen Logo zu werben, soll pro Unternehmen bis zu 100 Millionen US-Dollar kosten; Ausgaben für die Kampagnen selbst kommen obendrauf. Und da das Geld größtenteils schon ausgegeben sein dürfte, ließe sich kaum noch etwas gewinnen, wenn man nun für eine Absage plädiert.
"Das Interesse ist trotz allem riesig"
So bleiben die meisten Sponsoren wohl an Bord – auch wenn sie damit ihren Namen für ein inzwischen höchst unbeliebtes Ereignis hergeben. Dies sagt Michael Naraine, Professor für Betriebswirtschaft an der kanadischen Brock University und Experte für Sportfinanzen:
"Wäre es für all diese Unternehmen klüger, das Geld anders auszugeben? Man könnte das denken. Aber es würde ihnen auch die einmalige Chance nehmen, Teil eines sehr großen Ereignisses zu sein. Früher haben Staaten Kriege genutzt, um nationale Stärke zu zeigen. Heute ist es Sport. Peking hat das 2008 besonders gezeigt. Aber es gilt für alle Gastgeber. Sponsor eines Sportereignisses zu sein, maximiert die Zahl der Augen, die dein Unternehmenslogo sehen. Denn das Interesse ist trotz allem riesig. Wenn man aber jetzt als Sponsor aussteigen wollte, wären da noch all die rechtlichen Probleme. Und falls du dann der einzige Sponsor bist, der zurücktritt, während alle anderen dabeibleiben, würde es eher schlecht für dein Unternehmen aussehen."
Möglich aber auch, dass die japanischen Großkonzerne, die nun für "Tokyo 2020" stehen, einen Imageverlust erleiden. Denn es ist nicht so, dass alle Unternehmen stumm bleiben. Betriebe, die nicht zu den Olympiasponsoren zählen, sprechen sich in Umfragen mehrheitlich gegen die Spiele diesen Sommer aus. Sogar der Chef des Handelskonzerns Rakuten – Trikotsponsor des FC Barcelona und in Asien ein Herausforderer von Amazon – hält Olympia diesen Sommer für zu gefährlich.
Hoffen auf Stimmungsumschwung
Dass die Sponsoren deshalb langfristig schlecht dastehen werden, glaubt Michael Naraine trotzdem nicht. Er erwartet stattdessen, dass die Stimmung im Land eine ganz andere sein wird, sobald Olympia startet: "Das ist wie mit dem Älterwerden und Geburtstagen. Du willst es nicht. Aber wenn die Geburtstagsparty dann kommt, macht es doch Spaß. Das ist etwas, das man immer wieder auch im Sport sieht. Wichtig wird für diese Unternehmen allerdings sein, wie überzeugend sie den Leuten eine Geschichte erzählen können. Dabei geht es auch darum, emotionale Verbundenheit und Sorge rüberzubringen."
Einige Sponsoren haben dies beherzigt und die landesweite Olympiaopposition schon verdeckt in ihre Kampagnen aufgenommen. Docomo, der Marktführer in Japans Telekommunikationsnetz, zeigt in seinem Ende März veröffentlichten Werbespot nur trainierende Athletinnen und eine eher leere japanische Hauptstadt. Zudem beschreibt ein Rapper Tokio als die Stadt, die nie einfach nur schläft: "Atarashii kandou no tame ni, tsuushin dekiru koto". Auf Deutsch: "Die Botschaft, die wir senden können, um neue Emotionen hervorzubringen."
Welche Botschaft das genau sein soll, wird nicht gesagt. Aber so funktioniert Werbung ja oft.