Masa Takaya, der Pressesprecher des Olympischen Komitees sagt: "Die olympische Bewegung und die internationale Sportgemeinschaft steckt in schwierigen Zeiten, aber die japanische Gemeinschaft hat die Werte des Sports wiederentdeckt, durch den Wiederaufbau nach dem Erdbeben und Tsunami in 2011. Also: Dieses mal wollen wir dem internationalen Publikum eine Geschichte darüber erzählen, wie Sport und Athleten eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen können."
Die Olympischen und paralympischen Spiele in Tokio im Sommer 2020. Von Beginn an verknüpfen die Regierung und der Sport die Olympischen Spiele mit zwei Erwartungen: Die Chance zur Heilung dieser tiefen Wunde und die Hoffnung, sich der Welt-Öffentlichkeit zu präsentieren: Als auferstandene, wieder erstarkte Nation. Wie damals im Jahr 1964, knapp 20 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs.
Am 7. September 2013 setzt sich Tokio bei der Endabstimmung des Internationalen Olympischen Komitees in Buenos Aires wieder als Gastgeber deutlich durch, diesmal gegen Mitbewerber Istanbul. Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Erdbeben im pazifischen Ozean, dem Tsunami vor Japans Küste und der Reaktorkatastrophe –mit 19.000 Todesopfern und Vermissten. Japan will sich mit seiner Hauptstadt Tokio eine hoffnungsvolle Perspektive geben.
Große Zukunftssorgen
Doch diesmal sind die Vorzeichen anders als 1964 – Japan hat neben den langwierigen Aufräumarbeiten in Fukushima auch andere große Sorgen: Die alternde Gesellschaft, der daraus folgende Arbeitskräftemangel. Nur langsam entkommt das Land einer jahrelangen Wirtschaftskrise, Japans Schuldenberg ist der höchste der Welt.
Und auch der Olympische Geist hat sich seit der Nachkriegszeit gewandelt. Die Spiele sind zu einem Kommerz-Koloss angeschwollen, das Internationale Olympische Komitee IOC muss sich seit Jahren vorwerfen lassen, Gastgeberländer auszusaugen und versucht nun, sich mit strukturellen Veränderungen aus dem Vorwurf des systemimmanenten Gigantismus zu winden. Mit den Spielen in Tokio soll die von IOC-Präsident Thomas Bach auf den Weg gebrachte Reformagenda 2020 umgesetzt werden: schlankere, günstigere Spiele soll es geben.
Probleme bei der Vorbereitung: Stadion, Kosten
Schon jetzt ist absehbar: Die Olympischen Spiele werden deutlich teurer, als geplant. Das Organisationskomitee hält sich dazu bedeckt. Japanische Medien zitieren Insider inzwischen mit Schätzungen, die sich auf etwa das Sechsfache der Originalkosten belaufen – die Hausnummer, die jetzt im Raum steht: Knapp 15 Milliarden US-Dollar.
Klar ist: Die Kostenexplosion durchkreuzt Japans Vorhaben, die perfekten Spiele, passend zur Spar-Agenda des IOC zu liefern.
Was die Budgetplanung angeht, will Japan aber die Rolle des Musterschülers zumindest nach außen hin nicht aufgeben und tritt auf die Bremse. Den größten Beweis dafür lieferte die japanische Regierung, als sie das angedachte Nationalstadion kurzerhand in die Tonne treten musste – eine Blamage: Der als Fahrradhelm beschimpfte Entwurf der Star-Designerin Zaha Hadid musste verworfen werden. Der hätte nach Schätzungen rund 2 Milliarden Euro gekostet – zum Vergleich: Die Allianz-Arena in München – ein reines Fußballstadion - kostete 340 Millionen.
"Hüter des Nationalstadions"
Mitten in Tokios Zentrum liegt die Bahn-Haltestelle Sendagaya. Nobuko Shimizu, eine schick gekleidete ältere Frau mit rötlich gefärbtem Haar führt ortsfremde Besucher mit zielstrebigen Schritten über die große Straßenkreuzung, vorbei an einer in die Jahre gekommenen Sporthalle über viele Treppen zu einer kleinen Aussichtsplattform: Mit Blick auf die Stelle, an der bis vor kurzem das alte Olympiastadion stand. Hier soll die neue Arena entstehen. Für Nobuko Shimizu ist das alles eine Sauerei:
Initialzündung: "Dieser Stadtteil ist historisch, es gibt Bauauflagen für Gebäude, die dürfen nicht höher als 20 Meter sein. Aber in den Ausschreibungen hieß es, dass ein Gebäude bis zu 70 Meter gebaut werden darf. Und diese Bedingung verstößt schon gegen die Regelung der Stadtplanung für diesen Stadtteil."
Shimizu gehört zu einer Gruppe, die sich die "Hüter des Nationalstadions" nennt. Zusammen mit 11 Frauen hat sie diese Organisation gegründet. Sie waren gegen den Abriss des alten Stadions und sind gegen den Bau eines neuen.
Sie sagt: "Das IOC hat ja die Agenda 2020 veröffentlicht und dort heißt es ja: Keine weißen Elefanten mehr zu bauen, das die verschiedenen Disziplinen nicht unbedingt in einer Stadt ausgetragen werden müssen und die Spiele auch in verschiedenen Ländern stattfinden können. Und wir haben daraufhin dem IOC einen Brief wegen des Stadions geschrieben. Es heißt ja in der Agenda: Möglichst viele bestehende Gebäude sollen genutzt werden und das gilt auch für dieses Stadion. Daraufhin hat das IOC geantwortet: Der Bau und Betrieb der Gebäude sei in der Hand des Japanischen Komitees. Und deshalb sollten wir mit denen sprechen – das IOC sei nicht zuständig."
Modernes Waldstadion
Doch ihr Protest hat nichts genutzt: Nobuko Shimizu schaut auf eine leere Fläche, ein paar Bagger stehen rum, hier und da ein paar Bäume. Jetzt MUSS hier ein neues Stadion entstehen. Die Pläne der Stararchitektin Zahra Hadid waren den "Hütern des Nationalstadions" ein Dorn im Auge: Zu groß, zu teuer.
Der neue Plan: Eine Art modernes Waldstadion des Architekten Kengo Kuma– mit Pflanzen, die in die Fassade eingeplant sind und weißem Dach, 20 Meter niedriger als der erste Entwurf – ein Signal der Bescheidenheit? Bisher sind dafür gut 1,2 Milliarden US-Dollar eingeplant.
Nobuko Shimizu hat eine ganz andere Idee: Einfach nichts bauen und die Fläche grün lassen. Bis Dezember wird sie hier noch eine Brache sehen, ab dann sollen aber wieder die Bagger rollen. Trotz der Verzögerungen soll das neue Stadion im November 2019 fertig werden, zwei Monate vor der IOC-Frist.
Das IOC gibt sich öffentlich hoch zufrieden mit dem Ausrichter. Anders als in den ursprünglichen Plänen, will man in Japan nun noch mehr vorhandene Sportstätten nutzen – auch außerhalb Tokios.
Zahlung an Leichtathletikverband?
Und noch etwas anderes wirft einen Schatten auf die Spiele in Tokio: In einem Bericht der unabhängigen WADA-Kommission zu Korruption und Doping im Welt-Leichtathletikverband brachte jüngst eine Fußnote Tokio ins Zwielicht. Dort hieß es: die Bewerberstadt Istanbul habe die Unterstützung des damaligen IOC-Mitglieds Lamine Diack verloren, weil die Türkei keinen Sponsorendeal in Millionenhöhe abschließen wollte. Japan soll dagegen gezahlt haben. Im Organisationskommitee reagiert man mit Unverständnis: Die Spiele seien an Tokio gegangen, weil man die beste Bewerbung hatte. Inzwischen untersucht die französische Finanzstaatsanwaltschaft die Vorgänge.
Die Olympia-Macher unterstreichen immer wieder ihre Ambitionen, alles perfekt zu machen und vor allem das Budget im Rahmen zu halten. In Japan ist Olympia bisher vor allem: Ein Wirtschafts- und Finanzthema.
Tetsuo Ogawa, ist ein schmaler Mann im Fleecepulli, Mitbegründer der Nolympia-Bewegung in Tokio. Er sagt: "Bei der Bewerbung für die olympischen Spiele hieß es immer wieder, dass wir diese Spiele brauchen, um den Wiederaufbau in Nordjapan zu unterstützen. Aber das würde insbesondere für Japaner betont und das wurde kaum nach außen hin gesagt. Das ist doch klar: Wenn die Olympischen Spiele in Tokio ausgetragen werden – was soll das denn für einen Beitrag für Nordjapan liefern? Das ist doch unrealistisch."
Dass Tetsuo Ogawa gar nichts von Olympia hält, ist schwer zu überhören. Er glaubt auch nicht an den Wiederaufbau der Wirtschaft – dafür stimmen aus seiner Sicht die Umstände in Japan nicht:
"Dieser Plan wird nie gelingen, denn wir haben ja die alternde Gesellschaft: schrumpfende Bevölkerung und trotzdem Wirtschaftswachstum erreichen wird nie gelingen. Bis zum Jahr 2020 sind viele Sanierungsmaßnahmen und Investitionen in Infrastruktur geplant aber die Methoden der Stadtsanierung und –Entwicklung sind die gleichen, wie zur Zeit des Wirtschaftswunders."
Japanische Olympia-Gegner
Auch in Tokio gibt es eine NOlympics Bewegung. Ihre Argumente erinnern an die Olympia-Gegner von Hamburg, Boston und Oslo. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied in Tokio: Hier äußert kaum jemand laut Kritik. Die Protestkultur in Japan steckt noch in den Anfängen – was Junichi Sato, von Greenpeace so illustriert:
Sato: "Nach Fukushima gab es überall Proteste und es gab Zeiten, da waren es über 100.000 Menschen. Da gab es eine große Veränderung in der Zivilgesellschaft, aber wenn Sie auf die japanischen Demonstranten schauen, wären Sie sehr überrascht, wie brav sie sich verhalten. Man versammelt sich um 6 und die Leute sagen um acht: ok, lass uns nach Hause gehen. Also: Die Regierung kann sie einfach ignorieren und die Regierung hat das auch nicht ernst genommen."
Die NOlympia-Bewegung in Tokio zählt nach eigenen Angaben nur 10 Mitglieder. Lediglich bei Demonstrationen komme man auch einmal auf bis zu 100 Menschen. Verglichen mit anderen Ländern verschwindend gering. Seine Begründung: "In Japan gibt es schon allgemein einen sehr starken Druck, dass alle gleich sein sollen und friedlich allem zustimmen sollen, ihre Meinung nicht zu laut kundtun. Dieser Druck existiert sicherlich."
Japan: Ein demokratischer, aber stiller Olympiagastgeber, fähig zur Umkehr – wenn es um die olympischen Reformpläne geht. Und trotzdem ist völlig offen, ob sich die hohen wirtschaftlichen Erwartungen an die Olympischen Spiele erfüllen lassen.
Nach den Spielen in Rio wird Tokio ins Interesse der internationalen Sportgemeinschaft rücken. Es sind noch gut vier Jahre, dann wird sich zeigen, ob Japan am Ende der ideale Wunschpartner des IOC für Olympische Spiele.
Recherchen für diesen Beitrag wurden unter anderem durch eine Reisekostenbeteiligung im Rahmen eines Stipendiums der Robert-Bosch-Stiftung ermöglicht.
Den vollständigen Beitrag können Sie bis mindestens 6. September 2016 in unserer Mediathek nachhören.