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Olympia in Tokio
Vorfreude in der Minderheit

Die Organisatoren der Olympischen Spiele von Tokio wollen die Veranstaltung um jeden Preis durchziehen. Dafür suggerieren sie mittlerweile eine Normalität, die ihnen noch auf die Füße fallen könnte. Die Mehrheit der Menschen in Japan will das Großevent schon länger nicht mehr.

Von Felix Lill |
Ankunft des olympischen Feuers in Matsushima in Japan
Ankunft des olympischen Feuers in Matsushima in Japan: Wegen Corona wurden die Sportwettkämpfe für 2020 abgesagt. (picture alliance / ZUMA Wire / Rodrigo Reyes Marin)
"Was den Fackellauf angeht, wird er durch die selben Orte führen, wie es vor der Verschiebung auch geplant war", sagt der Offizielle des Tokioter Organisationskomitees Mitte Dezember: "Der Lauf führt durch 859 Orte und damit durch jede der 47 Präfekturen von Japan. 10.000 Menschen werden die Fackel tragen. 121 Tage wird der Fackellauf dauern, am 23. Juli trifft er dann am Abend im Tokioter Olympiastadion ein. Damit sind die Spiele dann eröffnet."
Die Pressekonferenzen der Olympiaorganisatoren klingen schon wieder nach Souveränität. Die Aussicht auf den Fackellauf, dessen Plan zuletzt verkündet wurde, suggeriert Vorfreude. Wie so viele Meldungen der letzten Wochen. Ähnlich freudig verlautbarten die Veranstalter Ende des gerade vergangenen Jahres, dass die olympische Marathonstrecke in Sapporo nun genehmigt ist – auch für die um ein Jahr verschobenen Spiele im kommenden Sommer. Alles unter Kontrolle, so scheint es.
Zuschauer verfolgen das Baseballspiel Yokohama DeNA BayStars gegen Hanshin TigersA am 1. November 2020 im Yokohama Stadium, dem olympischen Baseball- und Softball-Stadion in Yokohama
Japan probt für Olympia - Zehntausend Zuschauer im Stadion
Japan macht sich bereit für die Olympischen Spiele in gut acht Monaten. Trotz Corona durften in Yokohama wieder zehntausend Zuschauer ins Stadion. Der Test war vor allem auch einer für die Spiele in Tokio.
Dabei klingen die vermeintlich guten Nachrichten allzu auffallend positiv, wenn man parallel die Entwicklungen im ostasiatischen Land generell verfolgt. Auf der Nordinsel Hokkaido, in deren Hauptstadt Sapporo nun mit dem Marathon alles eingetütet scheint, verkündete die führende Ärzteorganisation zuletzt wegen der Pandemie eigenständig den Ausnahmezustand. Ganz Japan steckt seit Wochen in einer neuen Infektionswelle. Ende Dezember, nachdem an Tokios Flughäfen Fälle des mutierten Coronavirus festgestellt worden waren, hat die Regierung ihre Grenzen wieder geschlossen.
Aber daran wollen die Organisatoren nicht noch zusätzlich erinnern. So veröffentlichten sie im Dezember auch noch einen offiziellen Tokyo-2020-Werbekurzfilm. Er zeigt die Metropole Tokio bei Sonnenaufgang, beeindruckende Skylines, pulsierenden Fußgängerkreuzungen und fließenden Verkehr. Auf eine Pandemie deutet wenig hin.
Gefährdung durch die Spiele nicht wahrhaben wollen
Es ist ein schwieriges Spannungsfeld, in dem sich die Veranstalter der größten Sportveranstaltung der Welt schon ein knappes Jahr lang bewegen: Auf der einen Seite steht das ökonomische und politische Interesse, auf dem ganzen Globus bewunderte Spiele zu präsentieren. Andererseits steht die Pandemie – zumal bei diesem globalsten aller Sportevents, zu dem Athleten aus jedem Land kommen – der Idee einer sicheren Durchführung klar im Weg.
Im Fall der Pandemie wollten ausgerechnet das IOC und die Tokioter Organisatoren wochenlang nicht wahrhaben, dass gerade die Veranstaltung ihres Events die globale Gesundheit gefährdet hätte. Die Verschiebung um ein Jahr wurde Ende März erst dann beschlossen, als mehrere nationale olympische Komitees verkündet hatten, dass sie im Jahr 2020 keine Athleten entsenden würden.
Ein Man mit Gesichtsmaske geht an einem Logo für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 vorbei.
Olympische Spiele in Tokio - Medien werden kritischer – ein bisschen
Eigentlich sollten die Olympischen Spiele in Japan zum Sport-Großereignis des Jahres werden. Japanische Zeitungen und TV-Sender treten seit langem als Partner von "Tokio 2020" auf – mit stets positiver medialer Begleitung. Doch allmählich wird die Berichterstattung kritischer.
Und nun, wo das neue vermeintliche Olympiajahr 2021 anbricht, übt man sich eben in der Verkündung von Normalität. Neben den Ankündigungen zum Fackellauf und der Marathonstrecke hörte man zuletzt auch, dass sich möglichst alle Athleten auf freiwilliger Basis impfen sowie alle drei bis vier Tage getestet werden sollen. Und dass es weiterhin beim Plan gefüllter Stadien bleibe. Wie in normalen Zeiten eben – in denen man sich auf Olympia freuen kann.
Doch so recht will die einst schier unerschütterliche Begeisterung der Menschen in Japan nicht zurückkommen. Eine Umfrage des öffentlichen Rundfunksenders NHK ergab im Dezember, dass nur 27 Prozent dafür sind, Olympia im Jahr 2021 in Japan steigen zu lassen. Seit Monaten ist eine Mehrheit der Befragten höchst olympiaskeptisch.
"Fühlen uns ermutigt"
Eine Entwicklung, die die Organisatoren offenbar nicht wahrhaben wollen. Auf die schlechten Zustimmungswerte angesprochen, heißt es in einer Stellungnahme per Email:
"Von verschiedenen Organisationen wurden diverse unabhängige Umfragen durchgeführt. Wir können nicht zu jeder einzelnen Stellug beziehen. Allerdings fühlen wir uns durch die Unterstützung der vielen Leute ermutigt, die sagen, dass sie sich auf die Spiele freuen. Gleichzeitig glauben wir, dass viele derer, die eine weitere Verschiebung bevorzugen, auch weiterhin wollen, dass die Spiele in einer Art abgehalten werden. Und wir werden uns weiterhin bemühen, sichere Spiele zu veranstalten."
Ein altes Embelem mit den Olympischen Ringen vor dem Berg Fuji und der Inschrift XII Olympiad Tokyo 1940
Tokio 1940 - Die Spiele, die es nie gab
In diesen Tagen vor 80 Jahren hätten zum ersten Mal Olympische Spiele in Asien stattfinden sollen – in Tokio. Doch wie 2020 wurde auch 1940 nichts aus den großen Plänen. Damals musste Olympia keiner Pandemie weichen, sondern dem Krieg. Wer aber heute zurückdenkt, findet einige Parallelen.
Neben gesundheitlichen Bedenken sind es vor allem finanzielle Gründe, die für Unmut sorgen. Jahrelang haben die Organisatoren von "Tokyo 2020" behauptet, die Spiele würden die Steuerzahler in Japan kein Geld kosten.
Was von Anfang an eine kreative Auslegung der Fakten war, hat sich mit dem Ausbruch der Pandemie als besonders wenig wahrheitsgetreu herausgestellt. Derzeit wird von Zusatzkosten in Höhe von zumindest 2,4 Milliarden US-Dollar ausgegangen – das wäre noch einmal mehr als ein Drittel des ursprünglich geplanten Budgets. Diese Kosten werden letztendlich zu einem Großteil auf der japanischen Öffentlichkeit abgewälzt.
Auch "Host Towns" in Problemen
Und die Probleme dieser Entwicklung zeigen sich im Land schon jetzt. Von den 500 "Host Towns", die im Vorfeld und während der Spiele Athleten und deren Delegationen beherbergen wollten, müssen viele nun umdenken. Der öffentliche Rundfunksender NHK berichtete vor kurzem:
"Die Host Towns müssen sich neu organisieren. Ihre Gäste müssen sie nun zum Beispiel in Einzelzimmern unterbringen, auch die Trainingsgelände müssen stärker gesichert werden. Das alles kostet Geld."
Wegen der gestiegenen Kosten überdenken mehrere Städte nun ihr Programm. Eigentlich sollte die "Host Town Initiative" japanweit in Hunderten Orten die große Begeisterung für Olympia verkörpern. Nun wirkt es auch hier zusehends so, als würden die Tokioter Organisatoren eine Party veranstalten, bei der in ganz Japan immer weniger mitfeiern wollen.