Kompressionsstrümpfe können einer Thrombose vorbeugen, etwa bei langem Sitzen während einer Flugreise. Oder bei Bettlägerigkeit von Patientinnen oder Patienten, die über Wochen keine Bewegung bekommen. Doch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris nutzen zahlreiche Hochleistungssportlerinnen und -sportler, die per se genügend in Bewegung sind, ähnliche Überzüge: sogenannte Kompressions-Sleeves.
Dabei sind die Kombinationen der Überzüge individuell: So trägt etwa Deutschlands Basketball-Kapitän Dennis Schröder Kompressions-Ärmel an beiden Armen, Isaac Bonga spielt hingegen mit Überzügen am linken Arm und linken Bein, wobei die rechte Körperseite blank bleibt.
Weitspringerin Malaika Mihambo schwört auf Waden-Kompressions-Strümpfe auf beiden Seiten, während Laura Raquel Müller lediglich einen Überzug am rechten Arm in den Farben Deutschlands sowie mit gut sichtbarem Ausrüster- und "Germany"-Aufdruck trägt.
Wissenschaftliche Studien mit widersprüchlichen Befunden
Was steckt also hinter den Kompressions-Sleeves? Haben sie eine sportliche Bewandnis, etwa zur Vorbeugung von Verletzungen an besonders stark beanspruchten Stellen? Steigern sie die Kraft oder die Ausdauer? Oder sind sie schlicht ein modisches Accessoire?
Die Studienlage gibt wenig Aufschluss. So berichten einige wissenschaftliche Untersuchungen von keinerlei positiven Effekten – weder in Sachen Kraft beim Training oder bei der muskulären Erholung nach einer Einheit. Andere Studien sehen wiederum zumindest Potential für den Einsatz von Sleeves in der Muskelregeneration.
Prof. Dr. Lars Donath von der Deutschen Sporthochschule in Köln fasst die rar gesäten Erkenntnisse der Sportwissenschaft zu Kompressions-Überzügen so zusammen: "Das sind alles widersprüchliche und sehr selektive Befunde." Der Forscher des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik betont: "Es gibt kaum Studien, die das verlässlich untersuchen."
Leistungssteigernder Faktor "in der Größenordung des Placebo"
Im Deutschlandfunk-Gespräch erklärt sich Donath die Begeisterung einiger Athletinnen und Athleten für Kompressions-Sleeves weniger mit einer tatsächlich leistungssteigernden, sondern mit einer psychologischen Komponente. Schließlich ist im Spitzensport neben der körperlichen Verfassung auch die mentale Ebene ein maßgeblicher Erfolgsfaktor.
Somit spielen "leistungsfördernde Routinen", wie Sportwissenschaftler Donath sie nennt, bei vielen Top-Athletinnen und -Athleten im Wettkampf eine Rolle. Eine solche Routine kann eben auch das Tragen von Kompressions-Überzügen beinhalten. Es ist laut Donath eine individuelle Vorliebe: "Manche springen sensitiv darauf an, manche nicht. Das ist in der Größenordnung des Placebos einzuordnen."
Manche finden Druck durch Überzüge angenehm
Dieser Effekt gestalte sich dann so aus: "Eine Belastung wird weniger anstrengend bei gleicher Belastung empfunden." Der Experte für Trainingswissenschaften gibt einen persönlichen Einblick: "Ich trage die auch beim Joggen, wohlwissend, dass ich davon einfach einen Placebo-Effekt habe. Ich empfinde den Druck auf die Wade als angenehm. Man hat den Eindruck, dass die venöse Muskelpumpe Richtung Herz angeregt wird." Dementsprechend seien "auf individuellem Niveau" durchaus "kleine bis moderate Effekte" möglich.
Ob Spitzensportlerinnen und -Sportler Kompressions-Überzüge tragen oder nicht, ist also Geschmackssache – und mehr eine Frage, ob das Tragegefühl einen positiven Effekt auf das eigene Wohlbefinden und damit indirekt auch auf die Leistung hat.