Mit der provisorischen Anerkennung des Nationalen Olympischen Komitees der DDR nahmen die Querelen um eine gemeinsame deutsche Olympia-Mannschaft ihren Lauf. Seit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg standen 1956 erstmals beide deutschen Staaten vor einer Olympiateilnahme.
Das IOC konnte beide Delegationen zu einem versöhnlichen Kompromiss überreden: Bei den Sommerspielen in Melbourne traten sie gemeinsam unter neutraler schwarz-rot-goldener Flagge ohne Staatssymbole auf. Anstatt der Nationalhymnen spielte man zu Ehren der Olympiasiegerinnen und -sieger Beethovens Ode an die Freude.
1960 bei den Winterspielen in Squaw Valley und den Sommerspielen in Rom stellten beide Länder sogar gemeinsame Mannschaften. Eine sportliche sowie diplomatische Herausforderung findet Sporthistoriker Dr. Ansgar Molzberger:
"Die Aufgabe für die Funktionäre – und das muss man sich auch einfach mal vorstellen, vor dem Hintergrund der deutschen Teilung, was das für eine Herausforderung war – war halt ein gesamtes Team zu nominieren. Und dann hat man zum Beispiel eine Bootsklasse beim Rudern gemischt nominieren können. Das führte natürlich dazu, dass die ganzen Qualifikationswettbewerbe in West und Ost berücksichtigt werden mussten. Und das war schon gerade für die Sportfunktionäre eine große Aufgabe, das zusammen zu fügen, weil sich die beiden Staaten ja nun wirklich diametral gegenüber standen in ihrer politischen Ausrichtung."
Gesamtdeutsche Mannschaft im Sinne der olympischen Idee
Es folgte der Mauerbau und eine Erhärtung der Fronten auf politischer und sportlicher Ebene. Doch die gemeinsame Olympische Mannschaft blieb bestehen. Auch dank des Einsatzes von Avery Brundage, "der von 1952 bis '72 IOC-Präsident war und genau diese Ära mitgeprägt hat, der auch vehement für sein "Baby", gesamtdeutsche Olympiamannschaft, warb. Er hat die deutsche Teilung nicht anerkannt und wollte im Sinne einer olympischen, völkerverständigenden Idee diese Gesamtdeutsche Mannschaft forcieren."
Doch auch Brundage konnte die immer größer werdenden politischen Differenzen nicht verhindern. Eine schwierige Zeit, vor allem für die Athletinnen und Athleten beider deutscher Staaten, erinnert sich der olympische Bahnradfahrer der 1960er Jahre Jürgen Kissner: "Man sprach nicht miteinander. Die waren da und wir waren da. Ob man das wollte, das war eben so. Da saßen die Ostleute und da die Westleute."
Flucht zum "Klassenfeind"
Kissner, der als Brandenburger zunächst für die DDR angetreten war, flüchtete kurz vor den Spielen 1964 in die Bundesrepublik und fuhr fortan für den sogenannten Klassenfeind. Kurze Zeit später traf er bei einem Wettkampf auf seine ehemaligen Teamkameraden, die wenig Verständnis für seinen Schritt hatten.
"Man hat den Jungs erzählt, ich hätte 20.000 Mark gekriegt, direkt einen Studienplatz, ein Auto – also ich wäre abgekauft worden. Das wollte ich denen alles erklären, dass das überhaupt nicht war. Aber dann haben die mich abgeblockt mit 'hau ab du Arschloch'. Na gut, dann war das auch erledigt. Und dann haben die sich an den Bahnrand gestellt, die Funktionäre und auch die Sportler, und haben 'du Verbrecher, du Schwein, du Verräter' gerufen. Und das hat mich derart mitgenommen."
Doch Kissner führte das bundesdeutsche Bahnrad-Team zu den Spielen nach Mexiko City im Jahre 1968. Dort traten DDR und Bundesrepublik zwar noch unter gemeinsamer Flagge und Hymne auf, wurden jedoch beide als eigenständige Mannschaften mit eigener Medaillenwertung behandelt.
"Kampf der Systeme" auf bundesdeutschem Boden
Die finale Entzweiung des der gesamtdeutschen Mannschaft folgte vier Jahre später bei den Spielen in München, erklärt Dr. Ansgar Molzberger: "Es gab zwei deutsche – zwei souveräne deutsche – Mannschaften, die an den Start gingen. Und aus bundesdeutscher Sicht ausgerechnet bei den Spielen, die in München – in einer bundesdeutschen Stadt – stattfanden, sodass es zuma "Kampf der Systeme" auf bundesdeutschem Boden kam."
Dieser Kampf der Systeme wurde schließlich von einem noch viel tragischeren Ereignis überschattet – dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft im olympischen Dorf in München. Und die Jahre einer gemeinsamen olympischen Geschichte während der deutschen Teilung fanden ihr jähes Ende.