„Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist". So heißt es in der Präambel der Olympischen Charta.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat sich in der Geschichte nicht immer daran gehalten: Es erlaubte Nazi-Deutschland 1936, sich als weltoffene Gesellschaft zu inszenieren – Olympische Spiele als Propaganda-Show.
Später durfte das DDR-Regime die Spiele nutzen, um mit den Medaillen seiner staatlich gedopten Sportler und Sportlerinnen vermeintliche „Überlegenheit“ gegenüber dem Westen zu demonstrieren. Boykott und Gegenboykott von Olympia spielten im Kalten Krieg eine Rolle.
Heute stehen sich Russland und der Westen wieder als Blöcke gegenüber. Wie verhält sich das IOC gegenüber Putin, dem es noch 2014 die Winterspiele in Sotschi bescherte? Und zu welchen Mitteln greift Moskau?
Wie ist das Verhältnis der Olympischen Spiele 2024 zu Russland?
Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine dürfen Athleten aus Russland und Belarus nur unter neutraler Flagge bei den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen: 15 russische und 17 belarusische Sportlerinnen und Sportler. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat sie nach bestimmten Kriterien ausgewählt: Sie dürfen nicht in Mannschafts-, sondern nur in Einzeldisziplinen antreten.
Außerdem dürfen sie den Krieg nicht aktiv unterstützen und nicht beim jeweiligen Militär oder den nationalen Sicherheitsbehörden unter Vertrag stehen.
Allerdings trainieren viele russische Spitzensportlerinnen und -sportler im Armeesportverein ZSKA oder bei Dynamo, einem Verein, der dem Geheimdienst nahesteht.
Russische Verbandsfunktionäre wie Umar Kremljow von der Boxföderation machten deutlich, was sie von einer Zusage halten: „Diejenigen, die sich bereit erklärt haben, ohne Flagge und Hymne zu fahren, sind Verräter. Sie sollten besser gar nicht erst zurückkommen.“
Wie wird die Haltung des IOC gegenüber Russland eingeschätzt?
Ginge es nach der Ukraine, wäre kein einziger Athlet aus Russland oder Belarus in Paris dabei. Mehrere russische Sportgrößen unterstützen den Krieg – und nehmen trotzdem an den Spielen teil.
Auf einer entsprechenden Liste der Ukraine steht zum Beispiel die Tennisspielerin Diana Shnaider. Sie likte einen Telegram-Post der russischen Propagandachefin Margarita Simonjan, in dem diese ihren Stolz auf Russland äußerte – trotz oder wegen des Krieges.
Auch nach Angaben der Nichtregierungsorganisation „Global Rights Compliance“ haben 17 vom IOC eingeladene Belarusen und Russen den Angriffskrieg öffentlich unterstützt. Das IOC lehnt es aber ab, sie wieder auszuschließen.
Dass die Olympischen Spiele in Paris fast ohne russische Beteiligung stattfinden, ist aus Sicht der Historikerin Jutta Braun allerdings etwas Besonderes. „Für die Verhältnisse des IOC ist die Haltung schon bemerkenswert klar“, betont sie.
Die Geschichte zeige, dass das IOC „häufig“, beginnend mit den Olympischen Spielen 1936 in Nazi-Deutschland, mit Diktaturen kooperiert habe, um das „Gelingen von Spielen“ zu sichern.
Wie verhält sich Russland zu Olympia 2024?
Russland setzt eine Art Boykott gegen die Olympischen Spiele in Paris um. Es überträgt sie nicht im Fernsehen – nach Jutta Brauns Einschätzung „natürlich eine Trotzreaktion“. Aufgrund der Presselenkung sei ein solcher Medienboykott auch gut umsetzbar.
„Wenn man die Spiele jetzt senden würde, müsste man ja implizit immer wieder der eigenen Bevölkerung zeigen und auch erklären, wieso man eigentlich selbst nicht dabei ist. Insofern ist das wahrscheinlich eine nachvollziehbare Entscheidung“, so die Historikerin vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Doch Russland greift ganz offensichtlich auch zu aggressiven Methoden gegenüber dem IOC: Nach dessen Angaben fährt Moskau in den letzten Monaten eine Diffamierungskampagne, vor allem gegen Präsident Thomas Bach. Die Mittel: Fake-Anrufe und Fake News. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, unterstellte Bach und dem IOC zudem „Rassismus und Neonazismus“.
Erst die Spiele, dann die Annexion der Krim
Dabei stand der IOC-Präsident noch 2014 an der Seite des russischen Präsidenten: bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Diese waren von Korruption geprägt und gingen mit rund 50 Milliarden Euro als die bis dato teuersten Wettkämpfe in die Geschichte ein. Kurz darauf annektierte Putin die zur Ukraine gehörende Krim.
Zehn Jahre später sind die Angriffe gegen Bach wohl koordiniert, so die Einschätzung der Russland-Expertin und früheren Dlf-Korrespondentin in Moskau, Gesine Dornblüth: „Sie kommen von Putin persönlich, von seinem Sprecher und von ranghohen Regierungsvertretern.“
Das IOC wertet die Kampagne als Beleg für den „konsequenten Umgang“ des IOC mit Russland seit 2016. Dabei gab es „all die Jahre permanente Kritik, auch von Sportverbänden, das IOC sei viel zu inkonsequent“, betont Dornblüth.
Putin will „Freundschaftsspiele“ als Gegenveranstaltung
Im September will Putin sogenannte "Freundschaftsspiele" mit handverlesener Teilnehmerliste ausrichten. Für das IOC ist das ein "zynischer Versuch, den Sport zu politisieren". Zu der geplanten Konkurrenzveranstaltung hat Russland vor einigen Monaten auch die Ukraine eingeladen, gegen die es Krieg führt.
Den Erlass zu den „Freundschaftsspielen“ hat Putin unterschrieben, nachdem das IOC das nationale russische Olympische Komitee 2023 ausgeschlossen hatte. Anlass dafür war wiederum, dass das russische NOK die vier regionalen Sportverbände in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine aufgenommen hatte.
Gibt es Parallelen zu den Zeiten des Kalten Kriegs?
Putins „Freundschaftsspiele“ könnten die Olympischen Spiele nicht ersetzen, sagt die Historikerin Jutta Braun. Sie erkennt dabei ein „Muster von früher“, als 1984 viele Länder des Ostblocks nicht bei den Spielen in Los Angeles antraten. Damals habe es auch ein Alternativformat gegeben: die sogenannten „Wettkämpfe der Freundschaft“. Sie waren als Gegenspiele konzipiert und fanden in mehreren Ländern statt - unter anderen in der Sowjetunion, der DDR, Ungarn und Polen.
„Das hat aber natürlich nicht diese Kraft entfaltet, denn Olympia hat ja seinen eigenen Mythos, seinen eigenen Glanz, und das kann kein Ersatzereignis erzeugen. Aber ich finde es schon bemerkenswert, dass Russland jetzt an solche Vorbilder aus der Sowjetzeit anknüpft“, unterstreicht die Historikerin.
„Verräter“: Propaganda wie aus der Sowjetunion
Zum Jahr 1984 und den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles stellt Braun eine weitere Verbindung her: Im Boykott vieler Ostblockstaaten habe man lange nur eine „blanke Retourkutsche“ gesehen. Denn vier Jahre zuvor hatten zahlreiche westliche Länder, darunter die USA und die Bundesrepublik, die Spiele in Moskau boykottiert. Damals war die Sowjetunion gerade in Afghanistan einmarschiert.
Neuere Forschungen zeigten aber, dass die damalige Sowjet-Führung auch Angst vor einer massenhaften Flucht der eigenen Sportler hatte: „Die Sowjets hatten ja eine notorische Angst vor sogenannten Verrätern“, sagt sie. Und als „Verräter“ bezeichne Russland auch heute wieder russische Sportler, die unter neutraler Flagge an den Spielen in Paris teilnehmen.
„Man greift hier tief in die Propagandakiste aus alten Tagen“, stellt die Historikerin fest.
bth