Geflüchtete bei Olympia
Warum das Refugee Team nicht nur ein Symbol der Hoffnung ist

Bei den Spielen in Paris wird es wieder ein Flüchtlingsteam geben: geflüchtete Athletinnen und Athleten verschiedener Nationen, die unter einer gemeinsamen Flagge antreten. Für das IOC ein Symbol der Hoffnung – es gibt aber auch Kritik am Projekt.

Von Raphael Späth | 20.05.2024
Zu sehen ist die Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021, als gerade das damalige Refugee Olympic Team einläuft und dabei die Olympische Fahne hochhält.
Das Refugee Olympic Team gibt es in Paris zum dritten Mal bei Sommerspielen. Das Team läuft unter der Flagge des IOC ein. (imago images / Xinhua / Xu Chang via www.imago-images.de)
„And now it’s my great honor to introduce the refugee team!“
Anfang Mai verkündet IOC-Präsident Thomas Bach in einem Livestream aus der IOC-Zentrale in Lausanne, welche Athletinnen und Athleten es ins sogenannte Flüchtlingsteam für die Olympischen Spiele in Paris geschafft haben.
Die Athletinnen und Athleten werden per Zoom-Call zugeschaltet, bei jeder Nominierung sieht man ein weiteres freudestrahlendes Gesicht. Manche Athleten ballen die Fäuste, andere weinen. Ein Name, der dabei fällt: „Saeid Fazloula“
Saeid Fazloula flüchtet 2015 aus dem Iran, er ist einer der besten Kanuten Asiens. Seine zweite Heimat findet er in Deutschland, die Rheinbrüder Karlsruhe nehmen in auf und helfen ihm, zurück zu seiner Top-Leistung zu finden. Für die Sommerspiele in Tokio 2021 wird er vom IOC erstmals für das Flüchtlingsteam nominiert – damals aber noch mit gemischten Gefühlen.
„Ich habe das Gefühl gehabt, es ist mir peinlich, dass an meinem Türschild 'Refugee Olympic Team' steht. Und auch im Olympischen Dorf habe ich versucht, mich zu verstecken, weil ich nicht wusste, wie die anderen Sportler reagieren.“
Schnell stellt sich heraus: Seine Sorgen und Ängste sind unbegründet: „Direkt am ersten Tag sind die anderen Nationen zu uns gekommen, wollten Pins tauschen oder Bilder machen. Da habe ich mich mega gefreut und geöffnet.“

Nominierung verhilft Geflüchteten zu mehr Sichtbarkeit

„Für diejenigen, die genommen werden, ist das schon eine gute Sache, aus unterschiedlichen Gründen“, sagt Sportsoziolge Enrico Michelini von der Technischen Universität Dortmund. „Sie bekommen Sichtbarkeit, Unterstützung, gegebenfalls hat das auch langfristige Folgen für sie.“
Michelini meint damit, dass über geflüchtete Menschen in den vergangenen Jahren im medialen Kontext hauptsächlich negativ berichtet wird, auch politisch polarisiert das Thema immer mehr.
„Und alles, was dazu beiträgt, dass die Rechte von geflüchteten Menschen Sichtbarkeit bekommen, ist zunächst willkommen.“
Aber es gibt auch Dinge, die er kritisch sieht: „Eines der Probleme des Refugee Olympic Teams ist, dass es eine komische Mischung zwischen Leistung und einer politischen Begründung gibt. Und das ist schwierig, weil du diese Athleten auf eine Bühne schickst, auf der die anderen Athleten die besten der Welt sind.“

Zwischen politischer Message und Medaillenerwartung

36 Athletinnen und Athleten werden in diesem Sommer in Paris im Flüchtlingsteam an den Start gehen. Einige davon, wie die kamerunische Boxerin Cindy Ngamba, gelten als Medaillenkandidaten. Aber: Für den Großteil wird das Podest in Paris außer Reichweite sein.
„Es geht hier nicht nur um sportliche Leistungen, sondern um eine Message“, betont Kanute Saeid Fazloula. „Dass wir zeigen, dass wir 36 Personen von hundert Millionen Flüchtlingen sind, die auf der Welt einfach hoffnungslos und obdachlos sind. Wir wollen die Welt darauf aufmerksam machen.“
„Das Problem ist aber: Es gibt diese Erwartung, dass sie gewinnen“, sagt Sportsoziologe Michelini. „Und das ist ein bisschen ein Widerspruch, der sich nicht gut lösen lässt. Das ist das Grundproblem, wenn man eine politische Botschaft durch eine rein wettkampforientierte Veranstaltung bringen will.“

Selektion durch IOC sei willkürlich

Das IOC will mit dem Flüchtlingsteam eine Botschaft der Hoffnung und der Solidarität senden. Insgesamt 72 Athletinnen und Athleten werden vom IOC durch ein Stipendium finanziell unterstützt. Nur 36 dürfen jetzt aber in Paris starten.
„Das Selektionssystem und die Struktur innerhalb des IOC sind sehr willkürlich", erklärt Friba Rezayee, die 2004 als Judoka die erste weibliche Olymionikin aus Afghanistan war.
Inzwischen lebt Rezayee im Exil in Kanada, seit der Machtübernahme der Taliban ist Sport in Afghanistan für Frauen und Mädchen verboten. In Paris werden jetzt zwei Athletinnen aus Afghanistan im Flüchtlingsteam starten.
„Nur zwei Athletinnen aus Afghanistan im Team zu haben, ist lächerlich. Aus so vielen Gründen: Es gibt so Millionen von afghanischen Flüchtlingen, so viele afghanische Athletinnen sind ohne Heimat, haben kein Heimatland mehr, für das sie starten können, kein heimisches Olympisches Komitee und können nirgendwo hin – sind aber trotzdem noch professionelle Athleten.“

Keine Geschlechtergleichheit bei der Nominierung

Rezayee hält die Idee eines Flüchtlingsteams generell für eine durchaus gute. Die Auswahl des Teams für Paris kritisiert sie aber stark:
„Das IOC hat 24 Männer und 12 Frauen für das Flüchtlingsteam nominiert. Das ist eine absolute Ungerechtigkeit, weil es dem Konzept der Geschlechtergleichheit widerspricht. Das IOC hat ja immer wieder betont, dass die Spiele in Paris die ersten Spiele sein werden, bei denen Geschlechtergleichheit herrscht. Und jetzt nur 12 Frauen im Team zu haben, ist eine Diskriminierung gegenüber den Athletinnen.“
Viele der Athletinnen und Athleten, die nicht nominiert wurden, fühlen sich vom IOC ungerecht behandelt. Eine davon: Die afghanische Taekwando-Kämpferin Marzieh Hamidi, die mittlerweile sogar in Paris lebt und trainiert.
„Das IOC hat ihr keinen einzigen nachvollziehbaren Grund genannt, weshalb sie nicht nominiert wurde“, erzählt Friba Rezayee. Leistungskriterien oder Nominierungsrichtlinien, an denen sich die Athletinnen und Athleten orientieren konnten, habe es ihrer Aussage nach nicht gegeben.

Gemeinsames Training für Teamspirit

Mitte Juli, kurz vor dem Start der Spiele, wird das Flüchtlings-Team erstmals zusammenkommen und für mehrere Tage miteinander trainieren. Ein Teamspirit soll entwickelt werden. Kanute Saeid Fazloula freut sich schon auf die Begegnungen:
„Jetzt gehe ich bewusst zu den zweiten Olympischen Spielen nach Paris, um die Atmosphäre zu genießen, meine Angst loszulassen und einfach jede Sekunde zu genießen. Wir sind eine Nation, wir sind ein Team und jeder ist für jeden da, wenn irgendwas ist. Und das ist das Schönste.“