Camilla Kemp findet man meistens am Strand von Guincho bei Cascais westlich von Lissabon. Hier bläst der Wind kräftig vom Atlantik, doch Camilla Kemp geht heute nicht aufs Wasser, um die Welle zu surfen – sie ist leicht erkältet und muss sich schonen.
„Es geht jetzt um viel und ich möchte Deutschland so gut wie möglich bei Olympia vertreten, nichts darf mich stoppen, gerade jetzt in dieser Vorbereitungsphase, die superwichtig ist.“
Guincho ist ihre Homebase, hier in Cascais wurde sie geboren, verbrachte als Kind mit ihrem Bruder, ihrer deutschen Mutter und ihrem holländischen Vater lange Sommertage am Strand. Fast schon zwangsläufig kam sie dort mit dem Surfen in Berührung.
„Ich war schon immer so ein Adrenalinkind und dadurch bin ich dann superschnell zum Surfen gekommen und an einem Strand, an dem die Wellen sehr kräftig sind und sehr stark und wirklich viel Wind, das hat mich zu der Surferin gemacht, die ich heutzutage bin.“
Wechsel aus Portugal zum Deutschen Wellenreitverband
Als Juniorin startet Camilla Kemp für Portugal und feiert erste Erfolge, doch dann kommt eine Zeit, als Spitzenplätze ausbleiben und sie zu zweifeln beginnt.
„Es war eine Zeit, in der ich das Gefühl hatte, mein Surfen ist da, das Talent ist da, die harte Arbeit ist da, aber die Resultate waren nicht direkt da und das ist in unserem Sport sehr normal, weil wir einfach so abhängig sind von Wind, Wellen, in diesen Wettkampfsituationen, wir können nicht alles kontrollieren.“
Es reift ihr Entschluss für einen Neubeginn: Sie verlässt den portugiesischen Nationalkader und schließt sich dem Deutschen Wellenreitverband an. Eine Entscheidung, die sie bisher nicht bereut.
„Deutschland hat mir die Struktur einfach gegeben, eben die Möglichkeit Trainingslager an den bestmöglichen Orten zu machen, immer Coaches dabei zu haben, bei jedem Event.“
Inzwischen fühlt sie sich sehr wohl im deutschen Team. Die Surferinnen und Surfer kämen zwar aus allen Ecken der Welt, aus Kalifornien, aus Florida, von den Kanarischen Inseln und eben aus Portugal, aber:
„Wir sind wirklich ein superschönes und einzigartiges Team, glaube ich, in dieser Surfwelt, die eigentlich eine Individualsportart ist und man sieht es nicht so oft, dass ein Team so zusammenhält und sich gegenseitig supported.“
Deutsche Rekrutierungsstrategie hat sich ausgezahlt
Der deutsche Wellenreitverband hatte systematisch nach Athletinnen und Athleten mit deutschem Pass gesucht, denn wer nicht schon mit sieben oder acht Jahren auf dem Surfbrett gestanden hat, der wird es kaum bis in den olympischen Surfwettbewerb schaffen.
Und das Umfeld dafür findet man in Deutschland nicht. Die Rekrutierungsstrategie hat sich ausgezahlt.
„Deutschland gehört zu den besten der Welt, wir sind vor vielen, vielen Nationen, jetzt in der Weltmeisterschaft haben wir uns positioniert und wir haben gegen Portugal, gegen Spanien, gegen Frankreich, wir haben gegen diese Nationen gewonnen und das zeigt einfach, dass die Struktur den Athleten die Chance gibt, große Sachen zu erzielen.“
Olympia-Surfer erwartet die berühmte Welle Teahupoo vor Tahiti
Für Camilla Kemp geht es im Juni zum zweiten Mal in diesem Jahr zur Vorbereitung nach Tahiti, 15 000 Kilometer von Europa entfernt im Südpazifik gelegen. Denn der Surfwettbewerb der Olympischen Spiele von Paris findet nicht an der französischen Atlantikküste, sondern im französischen Überseegebiet statt. Glaubt sie an eine Medaillenchance, wenn am 27. Juli das Startsignal ertönt?
„Ich bin natürlich als erste deutsche Surferin keine Favoritin, das weiß ich auch. Ich bin mir aber sicher, dass eben in dieser Sportart so viel Glück und so viel connection mit dem Ozean und mit dieser Welle dazu spielt und deswegen weiß ich auch, dass eben eine Medaille möglich ist.“
Camilla Kemp glaubt, dass ihr die Welle auf Tahiti liegt. Es ist die berühmte Teahupoo, eine sehr starke Welle, die konstant läuft und über einem Korallenriff bricht, deshalb surft man dort auch mit Helm.
„Ich glaube, es ist eine der stärksten Wellen, die ich je gesurft habe, sehr Angst einflößend, muss man auch sagen.“
Perfekte Übertragung dank des umstrittenen Turms auf Korallenriff
Damit die TV-Zuschauer das Geschehen auf der Welle von Teahupoo hautnah mitbekommen, wurde inzwischen der im Vorfeld sehr umstrittene Aluminium-Turm für Fernsehkameras und Wertungsrichter auf dem Korallenriff verankert.
Auch Camilla Kemp hat die Petition gegen die Errichtung dieses Turmes unterschrieben. Erfolglos. Der Veranstalter hat sich durchgesetzt. Athletinnen und Athleten stecken in einem Zwiespalt, denn sie profitieren auch von den spektakulären TV-Bildern.
„Es wird die Sportart nochmal zu einem Extrem zeigen und das finde ich sehr, sehr schön, dass die Leute es so mitkriegen dürfen.“
Vor allem für Mädchen und junge Frauen in Deutschland möchte Camilla Kemp Vorreiterin sein, ihnen vor Augen führen, dass es auch für deutsche Surferinnen einen Weg bis zur Olympiateilnahme gibt.
„Wenn ich da hoffentlich ein paar inspirieren kann, dass sie sehen können: Ok, das ist was Schönes, das ist was Gutes für mich - das würd' mich einfach freuen.“