In Tokio achtet man jetzt aufs Geld. Wenn im nächsten Sommer die Welt zu Gast zu Olympia kommt, sollen Eröffnungs- und Abschlussfeiern reduziert und die Zuschauerzahlen eingeschränkt werden. Auch das Ausmaß des Fackellaufs wird wohl verringert. Das haben das IOC und das Tokioter Organisationskomitee Mitte der Woche nach einer Videokonferenz erklärt. Man wolle so einerseits Neuinfektionen mit Covid-19 vorbeugen, andererseits in Krisenzeiten auch Ressourcen sparen.
Einsparungen für "die Empathie der Öffentlichkeit"
Die Verkündung kommt eine Woche, nachdem aus der Gastgeberstadt solche Ideen öffentlich geworden waren. Tokios Gouverneurin Yuriko Koike hatte gesagt, man müsse sich "genau ansehen, was alles rationalisiert und vereinfacht werden kann." Zur Begründung für diese offenbare Sparsamkeit sagte Koike: Einsparungen "werden nötig sein, damit wir die Empathie und das Verständnis der Öffentlichkeit gewinnen".
Das ist zweierlei beachtlich. Nicht nur will sich "Tokyo 2020" damit von der für Olympische Spiele üblichen Maxime des "höher, schneller, weiter" verabschieden. Denn die Suche nach neuen Rekorden galt schon lange nicht mehr nur für Sport, sondern auch für Zuschauerzahlen, Sponsorengelder und Umsätze. Außerdem - und das ist nicht weniger ungewöhnlich - interessiert man sich jetzt wohl für die Meinung der Öffentlichkeit. Bisher wurde die eher dann herangezogen, wenn sie aus Jubel bestand.
Forscherin traut den Ankündigungen nicht
"Tokyo 2020" will nun also sparsam sein und den Menschen zuhören - auch wenn weitere Details noch nicht bekannt sind. Doch kann sich das größte Sportevent der Welt so mit seinen Kritikern versöhnen? Steffi Richter ist skeptisch. Die Japanologieprofessorin der Universität Leipzig hat gerade einen Sammelband herausgegeben, der vielen skeptischen Meinungen eine Stimme gibt. Titel: "NOlympics. Tokyo 2020 in der Kritik." Nach der jahrelangen Arbeit daran, sagt Richter, genießt sie offizielle Ankündigungen erst recht mit Vorsicht.
"Ich traue diesen Worten insofern nicht, als dass so viel schon reininvestiert wurde. Das Ganze ist jetzt Changieren zwischen Olympia als Geschäftsidee mit Einnahmechancen und den hohen Kosten durch viel investiertes Geld", sagt Richter. "Man muss fragen: Wer wird da reduziert? Auf wessen Kosten wird dies geschehen?
Wird nun an falschen Stellen gespart?
Tatsächlich sind Details noch nicht bekannt. So befürchtet Richter, dass vor allem an Stellen gespart wird, wo es eine wirkliche politische Aussage gegeben hätte. Zum Beispiel bei dem Volk der Ainu von der Nordinsel Sapporo, die in die Eröffnungsfeier miteinbezogen werden sollten.
"Die Version der abgespeckten Olympia: Die Ainu-Problematik. Mit der Kolonialisierung von Hokkaido wurde dieses Volk zerstört. Das sollte erst keinen Platz in der Eröffnungsfeier bekommen. Und nun kann das verschlankte Olympia natürlich auch dazu führen, solche Sachen wie die Ainu wieder rauszuschmeißen", sagt Richter.
Verschlankte Spiele können Signalwirkung haben
Trotzdem: schon die bloße Idee der Reduktion ist neu. Und sie könnte positive Auswirkungen auf Olympische Spiele generell haben. Denn in den letzten Jahren war schon die Bewerbung für Olympia nur noch Metropolen reicher Länder möglich. Anderswo wären die hohen Kosten angesichts der immer steigenden Ausmaße längst unrealistisch gewesen. Ein verschlanktes "Tokyo 2020" könnte also ein Vorbild für künftige Olympiaausgaben sein - und die Veranstaltung wieder erreichbarer für mehr Städte der Welt machen.
Die Kritiker aus Japan sind trotzdem nicht zufrieden. So etwa Hiroki Ogasawara, Soziologieprofessor an der Universität Kobe und Herausgeber des Sammelbands "Han Tokyo Orinpikku Sengen": Anti-Tokio-Olympisches Manifest.
"Wenn man jetzt plötzlich Olympia verschlanken kann, warum konnte man das nicht schon vorher?", fragt Ogasawara. "Die Organisatoren hatten von Anfang an von 'kompakten Olympischen Spielen' gesprochen, aber sie haben das Versprechen gebrochen. Und wenn es jetzt doch kleiner und günstiger werden soll, dann wird es wohl schwere Opfer geben müssen. Ich glaube nicht, dass die Sponsoren zu Opfern bereit sind."
Das Problem liege also schon in der Planung. Deshalb fordert Ogasawara schon länger, dass zum Teil des Bewerbungsprozesses zur Olympiaaustragung künftig eine verpflichtende Volksbefragung gehört. Auch für Tokio fordert Ogasawara eine Abstimmung. Doch auch wenn Gouverneurin Koike sagt, die Meinung der Öffentlichkeit sei jetzt wichtig: von einem Referendum über die Austragung von "Tokyo 2020" ist keine Rede.
Positionierungen gegen Rassismus weiter in der Debatte
Wie wichtig die Meinungen der Betroffenen wirklich sind, bleibt auch unklar im Bezug auf die Athleten. Das betrifft sowohl den Rückbau von "Tokyo 2020" als auch politische Statements generell. So ist Hiroki Ogasawara auch misstrauisch, was die Angabe von Thomas Bach angeht, Athleten dürften sich gegen Rassismus positionieren:
"In dieser Sache tut sich etwas. Das IOC muss nachziehen, weil andere Sportorganisationen schon viel weiter sind. Aber ich bin skeptisch", sagt Ogasawara. "Denn niemand wird sich darüber beschweren, dass man gegen den Tod von George Floyd ist. Aber was ist, wenn ein japanischer Athlet gegen die US-Militärstützpunkte in Okinawa protestiert?"
Dann hieße es wohl wieder: bitte keine politischen Statements.