Einst war Jelena Issinbajewa die Königin der Leichtathletik, gefeiert von aller Welt. Olympiasieg und Weltrekord bei den Spielen 2008 in Peking. Vom Liebling der internationalen Szene ist die Russin mittlerweile zu einer Reizfigur des Weltsports geworden. Bei der WM 2013 in Moskau fiel sie weltweit in Ungnade, weil sie schwedische Sportler kritisierte, die gegen das das Anti-Homosexuellen-Gesetz Russlands protestierten.
"Jeder kann hier teilnehmen, aber für eine homosexuelle Beziehung zu werben, das ist respektlos gegenüber unseren Bürgern. Vielleicht unterscheiden wir Russen uns von den Menschen in Europa und dem Rest der Welt, aber jeder muss trotzdem unsere Gesetze respektieren."
Kandidatur für Sitz in Athletenkommission
Und als die russischen Leichtathleten vom Weltverband ausgeschlossen wurden, da bezeichnete die Stabhochspringerin das Urteil als "Beerdigung der Leichtathletik" und als eine "rein politische Entscheidung". Für die zweifache Olympiasiegerin bedeutet der Olympia-Bann das vorzeitige Karriereende, eigentlich wollte sie ihre Laufbahn mit dem Wettbewerb in Rio beenden. Jetzt will die Putin-Freundin, die in den russischen Medien auch schon mal als "Zarin" bezeichnet wird, als Funktionärin durchstarten. Am Sonntag (13.08.2016) reist sie nach Brasilien, um im Olympischen Dorf Wahlkampf für einen Sitz in der Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees zu machen. Das Gremium ist das Verbindungsglied zwischen Sportlern und IOC-Spitze und soll unter anderen für einen dopingfreien Sport kämpfen.
Formale Kriterien erfüllt
Da Issinbajewa alle formalen Kriterien – Olympiateilnehmer und kein Dopingsünder – für die Wahl erfüllt, hat das IOC sie trotz Olympia-Sperre akkreditiert. Bei der deutschen Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch stößt dies auf Unverständnis: Die Sperre der Russin und die Teilnahme an der Wahl würden nicht zusammenpassen. Da ist der Schweizer Sportrechtsexperte und ehemalige CAS-Richter Stefan Netzle anderer Meinung:
"Das Startverbot ist nicht die Folge eines nachgewiesenen Dopingvergehens, sie trägt einfach die Konsequenz aus dem Verschulden ihrer Organisation. Wenn es jetzt um die Wahl geht, da geht es nur um sie persönlich, nicht um die Zugehörigkeit zu einem Verband."
Für Netzle wäre die Angelegenheit nur problematisch, wenn Funktionäre die Athletenkommission berufen würden. Jetzt seien die Athleten gefordert und die könnten ja durchaus moralisch-ethische Kriterien ansetzen:
"Das ist was anderes, wenn sie jetzt gewählt wird. Ist das eine Frage, ob ihr die anderen Athleten vertrauen, dass sie für sie spricht. Und es sind ja eine ganze Reihe von Kandidaten. Es wird sich dann herausstellen, wie die Athleten denken, und das finde ich eigentlich ganz richtig an dieser Demokratie."
Große Konkurrenz
Die Konkurrenz für Issinbajewa ist groß. Für die vier freien Plätze bewerben sich 23 weitere Sportler, darunter die deutsche Fechterin Britta Heidemann.
Ein Erfolg würde die 34-Jährige Russin auf der Weltbühne des Sports ganz weit nach oben bringen. Denn als Mitglied der Athletenkommission wäre Issinbajewa auch IOC-Mitglied.
Mit diesem sportpolitischen Einfluss könnte die ehemalige Stabhochspringerin dann auch ihr anderes Vorhaben vorantreiben. Im November will sie Präsidentin des nationalen Leichtathletik-Verbandes werden mit einem erklärten Ziel: Als Motivation gibt die dreifache Weltmeisterin an, sie wolle die russischen Sportler wieder in die Weltspitze zurückführen. Eine Kostprobe als Funktionärin gab Issinbajewa, als sie mit Präsident Wladimir Putin die russische Olympiamannschaft verabschiedete:
Erst ein kurzer Gefühlsausbruch, dann eine kämpferische Rede. Unter anderem forderte sie von den Olympiastartern, so erfolgreich zu sein, dass die ganze Welt erschauere und die russische Nationalhymne ständig in den Arenen von Rio ertöne.