Thomas Bach und Olympia 2022
Das problematische Erbe der Winterspiele von Peking

Immer wieder betont das IOC, kein politischer Player zu sein. Dass der Verband aber Teil der Weltpolitik ist, haben die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking gezeigt. Ein Rückblick auf leere Versprechen und wirkungslose Appelle.

Von Matthias Friebe |
IOC-Präsident Thomas Bach bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking.
IOC-Präsident Thomas Bach bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking. (imago images / VCG / via www.imago-images.de)
Es ist 22.15 Uhr Ortszeit am 4. Februar 2022, als in einem schlichten Moment das Olympische Feuer im Pekinger Olympiastadion entzündet wird. Inmitten einer großen Schneeflocke, auf deren Kristallen die Namen der 91 teilnehmenden Länder zu lesen sind, lodert fortan das Feuer. Die Entzündung selbst: eine Sensation. Denn kein Superstar wurde gewählt, sondern zwei Nachwuchssportler: der Kombinierer Zhao Jiawen und Langläuferin Dinigeer Yilamujiang.
Für einen Tag global in aller Munde, heute erinnert sich an sie kaum noch jemand. War es doch gleichzeitig eines der politischsten Manöver der Sportgeschichte. Denn Yilamujiang ist Uigurin, gehört zu einer muslimischen Minderheit, die in Lagern interniert und gefoltert wurde und wird. Peking liefert das Musterbeispiel dafür, dass die alte IOC-Formel, der Sport und Olympia seien unpolitisch, aus der Zeit gefallen wirkt. Wenn es unangenehm wird, zieht man sich aber immer noch gerne drauf zurück.
Dinigeer Yilamujiang (l.) und Zhao Jiawen entzünden das olympische Feuer in Peking.
Die Uigurin Dinigeer Yilamujiang (l.) und Zhao Jiawen entzünden das olympische Feuer in Peking. (imago images / Xinhua / Li Ga via www.imago-images.de)
IOC-Funktionär Richard Pound bekräftigte in voller Überzeugung im Deutschlandfunk, er wisse nichts von Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und außerdem: "Das IOC hat keine Macht, kein Mandat. Es hat keine Rolle dabei zu spielen, Politik zu verändern."
Aber Teil der Weltpolitik ist das IOC immer, das belegt Peking eindrucksvoll. Neben IOC-Präsident Thomas Bach und Chinas Staatschef Xi Jinping, der die Spiele offiziell eröffnete, fand man auf der Ehrentribüne Wladimir Putin aus Russland, den saudischen Kronprinzen und den ägyptischen Präsidenten. Von einem Bankett der Autokraten war zu lesen, gerade aus dem Westen schlossen sich viele dem zuerst von US-Präsident Biden avisierten Boykott an. Auch Mitglieder der deutschen Bundesregierung blieben der Eröffnungsfeier fern.

Bach traf vermisste Tennisspielerin Peng Shuai

Auch in einem sportlichen Zusammenhang machte die Menschenrechtslage in China globale Schlagzeilen. Die Sorgen waren groß um die chinesische Tennis-Spielerin Peng Shuai, die drei Monate vor der Eröffnungsfeier in den sozialen Medien einem Spitzenpolitiker des Landes vorgeworfen hatte, sie sexuell missbraucht zu haben. Seitdem galt Peng Shuai als verschwunden. IOC-Präsident Thomas Bach telefonierte mit Peng Shuai, wohl auch um den internationalen Druck vor den Winterspielen etwas vom IOC zu nehmen.
Kurz vor der Eröffnungsfeier traf Bach Peng Shuai in einem Pekinger Hotel. Außer Höflichkeitsfloskeln war aber nach dem Gespräch wenig zu erfahren. Olympia in China, wegen der Menschenrechtssituation heikel für das IOC, das war auch schon 2008 so, bei den Sommerspielen, damals mit IOC-Präsident Jacques Rogge. "Das, was am Ende am Wichtigsten ist, ist, dass die Welt sich China während der Spiele genau angesehen hat und China hat sich der Welt geöffnet, die Welt hat China kennengelernt und China die Welt. Ich glaube, das wird sich langfristig positiv auswirken."

Menschenrechtsorganisationen sehen Verschlechterung der Lage

Doch die Aufmerksamkeit auf die Sommerspiele 2008 haben die Lage mitnichten verbessert. Menschenrechtsorganisationen sehen sogar eine Verschlechterung und so sind die Fragen jetzt, 14 Jahre danach, noch lauter. Jetzt, da Peking zur ersten Stadt überhaupt wird, die Sommer- wie Winterspiele ausrichten darf. Jetzt, da die Spiele mit einer im Vergleich zur Sommerausgabe von 2008 schlichten Zeremonie beginnen.
30.000 extra eingeladene Menschen sitzen jetzt in einem halb vollen Stadion auf Abstand – Winterspiele unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Strenge Regeln, mit einer eigenen Olympischen Blase um die Athleten und Funktionäre, sorgen bei vielen für Unbehagen. Und trotz aller harscher Vorsichtsmaßnahmen kommt es dann im Zusammenhang mit den Spielen zu einigen Hundert Covid-19-Infektionen, prominente Sportler wie Norwegens Skispringer Daniel Andre Tande oder auch der deutsche Kombinations-Olympiasieger von 2014 und 2018, Eric Frenzel, verpassten die Spiele ganz oder teilweise.
"Insgesamt hatten wir bisher vier positive Fälle im Team D, die auch bestätigt wurden, sehr früh einen unserer Mitarbeiter des DOSB und jetzt zwei bestätigte Fälle nach der Anreise der Nordischen Kombinierer", erklärt Mannschaftsarzt Bernd Wohlfahrt in Peking.
Die Pandemie hatte die Spiele und auch die Bilder der Spiele im Griff. Als höchstes, weil teuer verkauftes Gut der Spiele, sind sie elementar wichtig für das IOC. Siegerehrungen mit Maske, leere Tribünen, all das musste – natürlich im üblichen Hochglanz produziert – in Szene gesetzt werden.

Einflüsse des Klimawandels werden deutlich

Genauso wie die Bilder kleinster weißer Schneebänder, in grau-schwarzen Wüstenlandschaften, die in bis dahin kaum gekannter Deutlichkeit die Einflüsse des Klimawandels auf den Weltsport der ganzen Welt vor Augen führten. Aus deutscher Sicht richtete sich die meiste Aufmerksamkeit auf das sündhaft teure Yanqing National Sliding Center: In zehn Wettbewerben hier holte das deutsche Team gleich neunmal Gold, dazu noch sechsmal Silber und einmal Bronze – fast drei Viertel aller deutschen Medaillen bei den Spielen.
Die Bob- und Rodelbahn in Yanqing wird dann auch Schauplatz einer bei Olympia unüblichen und eigentlich von den Ringe-Organisatoren nicht gewollten politischen Demonstration. Der ukrainische Skeleton-Pilot Vladyslav Heraskevych, sportlich auf Rang 18 ins Ziel gekommen, hält ein Schild in die Kamera mit der Aufschrift "No war in Ukraine".
Heraskevych: "In dem Moment, als ich das Schild hochgehalten habe, gab es auch schon Informationen, dass russische Truppen schon an unserer Grenze stationiert waren", erzählte er später im Deutschlandfunk. "Als ich das Schild hochgehalten habe, wollte ich damit zeigen, dass wir auch nur normale Menschen sind. Wir sind keine Nazis oder so was Verrücktes. Wir wollen einfach ein Leben ohne Krieg führen. Und natürlich war mein Ziel damit, diese Aggression zu beenden."
Ein drohender Krieg in Europa, auch das lastete auf diesen Winterspielen von Peking, schon seit der Eröffnungsfeier. In seiner Rede appelliert damals Thomas Bach, während der Wettbewerbe auf kriegerische Handlungen zu verzichten. "Beachten Sie Ihre Verpflichtung für diesen olympischen Waffenstillstand. Geben Sie dem Frieden eine Chance", sagte er in der Eröffnungsfeier der Spiele. Am Ende lobte Thomas Bach noch einmal Peking, sprach von sehr erfolgreichen Spielen.

Olympischer Waffenstillstand schnell vorbei

Und auch erneut und wie so oft davon, dass Olympia und Politik zwei unterschiedliche Dinge sind: "Die Olympischen Spiele und ihre Athleten stehen wirklich über der Spaltung und den Spannungen, die wir gerade auf der politischen Ebene erleben."
Der olympische Waffenstillstand, auch Olympischer Friede genannt, eine Erfindung der Spiele der Antike, 800 Jahre vor Christus, wird auch vor den Spielen von Peking als Sonderresolution von den Vereinten Nationen unterzeichnet und auf den Weg gebracht. Doch der hält nicht lange.
Denn, als am 20. Februar dann um 21.37 Uhr Ortszeit das olympische Feuer erlischt, dauert es nicht einmal 100 Stunden, nicht einmal vier Tage, bis Russland seinen Angriff auf die Ukraine beginnt.