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Olympische Jugendspiele in Buenos Aires
Spiele und Schulden

Die Menschen in den Armenvierteln von Buenos Aires sollten eigentlich von den Olympischen Jugendspielen profitieren. Doch die versprochenen Sozialwohnungen lassen auf sich warten. Stattdessen kämpft die Stadt mit den höheren Gesamtkosten der Spiele, für die sie selbst aufkommen muss.

Von Sandra Schmidt und Jochen Leufgens |
    IOC-Präsident Thomas Bach (Mitte) bei der Besichtigung des Olympischen Dorfs für die Olympischen Jugendspiele 2018 in Buenos Aires.
    IOC-Präsident Thomas Bach (Mitte) bei der Besichtigung des Olympischen Dorfs für die Olympischen Jugendspiele 2018 in Buenos Aires. (imago sportfotodienst)
    "Uns im Viertel hier mangelt es an grundlegender Versorgung: mit Wasser, mit Gas und einer Kanalisation. Letzte Woche hat es sehr stark geregnet und hier, und auch in allen anderen Elendsvierteln der Stadt, war alles überschwemmt – und das war keineswegs die Ausnahme."
    Marcos Chinchilla ist im Stadtteil Villa 20 geboren und aufgewachsen. Er lebt auch heute hier und engagiert sich in einer Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von rund 30 000 Menschen in diesem Elendsviertel. Gesetze, die genau dies bewirken sollten, gibt es seit langem, nur geschehen ist kaum etwas. Immerhin wurde am Rand des Viertels zuletzt eine Reihe von Neubauten errichtet.
    "Wir sagen immer: Die Regierung wiederholt hier die berühmte ‚geheime Stadt’: Vor der Fußball-WM 1978 hatte die Militärregierung um ein anderes Elendsviertel einfach eine Wand gebaut, um die Armut unsichtbar zu machen. Hier ist es eine Wand aus Häusern, damit diejenigen, die im Olympischen Dorf ankommen, nicht sehen, wie wir leben."
    Keine Wohnungen für die Menschen aus Villa 20
    Tatsächlich ist das neu gebaute Olympische Dorf gerade mal 500 Meter entfernt von den engen Gassen der Villa 20. Und die ist, hier im ärmsten und größten Bezirk von Buenos Aires keineswegs das einzige Elendsviertel. Schenkt man den Verantwortlichen für die Jugendspiele Glauben, dann ist die Entwicklung genau dieser Gegend das zentrale Motiv für alle Ausgaben.
    Ein Bolzplatz innerhalb der Villa 20
    Ein Bolzplatz innerhalb der Villa 20 (Jochen Leufgens)
    Ein Gesetz, das vorsah, ein Drittel der Wohnungen des Olympischen Dorfes an Menschen aus der nahen Villa 20 zu geben, wurde jedoch wieder geändert. Nun stehen die Wohnungen zum Verkauf. Marcos Chinchilla: "Larreta hat damals immer gesagt, das werden alles Sozialwohnungen. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Die Wohnungen sind sehr teuer und nur wenige Menschen werden sich das überhaupt leisten können. Es ist unmöglich, dass von uns hier jemand das bezahlen kann."
    Horacio Rodríguez Larreta ist Bürgermeister und Nachfolger seines neoliberalen Parteifreunds und heutigen Staatspräsidenten Mauricio Macri, der für die Bewerbung von Buenos Aires verantwortlich zeichnete. Uns gegenüber behauptet Larreta, es seien weiterhin Sozialwohnungen und fügt hinzu: "Diese Spiele sind eine Möglichkeit, der Welt zu zeigen, wozu Argentinien imstande ist. Es sind Millionen Menschen aus dem ganzen Land gekommen, um diese Spiele zu sehen, die zum ersten Mal in der Geschichte eine gratis Eröffnungsfeier hatten, für alle, öffentlich und volksnah. Das hat es noch nie gegeben."
    Kritik an den hohen Kosten
    Tatsächlich war die Eröffnungsfeier mitten in der Stadt gut besucht und auch der erste Wettkampftag. Im Parque Urbano, einem der ebenfalls gratis zugänglichen olympischen Parks, verbrachten hunderte argentinische Familien bei wunderbarem Frühlingswetter ihren Sonntag. Ihnen ist momentan jede Ablenkung, die nichts kostet, willkommen. Denn Argentinien steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Kollaps von 2001: Die Inflation liegt bei 45 Prozent, es gibt Massenentlassungen, ständige Preiserhöhungen für Gas und Strom, und eine erneute Verschuldung beim Weltwährungsfonds.
    Die oppositionelle Abgeordnete im Stadtparlament Andrea Conde hat sich die Kosten für die Durchführung der Jugendspiele genau angeschaut:
    "Der Rettungsdienst für medizinische Notfälle etwa hat hier im ganzen Jahr so viel Geld wie an einem Tag bei den Olympischen Spielen ausgegeben wird. Oder das Thema Gewalt gegen Frauen: In Argentinien stirbt alle dreißig Stunden eine Frau durch Gewalt. Die zuständige Abteilung in der Stadt hat einen Jahresetat, der hier in fünf Stunden der Spiele ausgegeben wird."
    Doch selbst für sie sind die Gesamtkosten nur schwer nachvollziehbar. Klar ist momentan, dass aus den veranschlagten 231 mindestens 650 Millionen US Dollar geworden sind. Die Bürger wurden nie gefragt, ob sie diese Olympischen Jugendspiele wollen. Aber sie werden auf den Schulden sitzen bleiben, denn das sehen die Verträge des IOC mit den Bewerberstädten grundsätzlich vor.
    Dazu fragen wir IOC-Präsident Thomas Bach. Seine Antwort: "Die letzten Informationen, die wir haben, besagen, dass das Budget, das endgültige, um 40 Prozent unterschritten wird."
    Dubiose Ausschreibungen für Sportstätten
    Auf Nachfrage verweist er schlicht auf das Organisationskomitee. Das hatte erklärt, man bekäme dank der Finanzkrise ja nun mehr Pesos für den Dollar, weshalb man das ursprüngliche Budget unterschreite. Tatsache ist, dass die Stadt einen Kredit über 160 Mio. US Dollar aufgenommen hat, um den Bau des olympischen Dorfes zu realisieren. Ein Kredit, der 2026 in Dollar fällig wird. Etliche Ausschreibungen für die Häuser des Athletendorfes und neue Sportstätten gewannen Firmen, die zuvor die Wahlkampagne der Partei von Bürgermeister Larreta und Staatspräsident Macri großzügig unterstützt hatten. Auf Nachfrage dazu erklärt uns Horacio Rodríguez Larreta: Zunächst ist zu sagen, dass hier nie etwas infrage gestellt worden ist. Wir haben Dutzende von Ausschreibungen gemacht und es hat überhaupt kein Problem gegeben, überhaupt keine Zweifel, keine Anzeigen, nichts. Man kann das alles überprüfen, es ist völlig transparent. Vielen Dank!
    Tatsächlich ist die Vergabepraxis nach Gesetzeslage legal. In der Villa 20, dem Elendsviertel gleich neben dem Olympischen Dorf, weiß jeder um die Jugendspiele. Aber die vermeintlich so volksnahe Veranstaltung berührt hier kaum jemanden. Marcos Chinchilla: "Klar, die Spiele sind hier gerade in aller Munde. Es gibt viel Werbung dafür, es ist überall präsent, aber von da bis zu der Frage, ob man wirklich selber hingehen kann – bei der Krise, in der Argentinien gerade steckt: Hier hat niemand Zeit, einen Tag einfach zu den Spielen zu gehen, hier geht es darum, sich jeden Tag das Geld für’s Überleben zu verdienen."