Jeder Sport hat seine Regeln – auch für Zuschauer. Beim Tennis wird nach einem Punkt applaudiert. Beim Aufschlag herrscht Ruhe, damit sich der Spieler konzentrieren kann. Das gilt nicht für diese Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Die brasilianischen Zuschauer unterbrechen auch Schwimmer, Boxer oder Fechter beliebig in ihrer Konzentration. Dazu sagt dieser Olympia-Zuschauer:
"Das ist eine Art, den Gegner zu stören und unsere Wettkämpfer zu unterstützen. Das ist normal in unserem Land." Dieser Mann findet: "Unsere Sportkultur ist sehr konzentriert auf Fußball. Und da sind Buh-Rufe nichts Ungewöhnliches. Die Fans feuern Olympia an, als wäre es Fußball." Und diese Frau: "Wir scherzen gern mit jedem. Die Athleten müssen sich halt der Kultur anpassen, in der sie sich befinden."
Auch der Sprecher des brasilianischen Olympia-Organisationskomitees, Mario Andrada verteidigt die Fans.
"Buh-Rufe sind eine Form, die Leidenschaft auszudrücken, wenn auch nicht die aller eleganteste. Und Leidenschaft ist das, was wir von den Olympia-Fans wollen. Nicht ein Athlet hat sich bisher offiziell beschwert.”
Offiziell nicht, aber inoffiziell - und gegenüber den Medien. Zum Beispiel sagte die tschechische Beachvolleyballerin Markéta Sluková dem Magazin "Time", die Brasilianer wüssten nicht, wo die Grenze sei zwischen einem angebrachten Moment, und einem unangebrachten. Und die brasilianische Beachvolleyball-Goldmedaillengewinnerin von 1996, Sandra Pires, sagte dem Sender SportTV:
"Ich finde das schlecht und respektlos. Wenn beim Beachvolleyball der Gegner von Brasilien aufschlägt, gibt es viele Buh-Rufe. Aber das ist der Moment der Konzentration, wie beim Tennis. Da braucht man Ruhe."
Den Gegner brasilianischer Athleten zu stören, ist aber nur ein Grund unter vielen: Buhrufe gab bisher auch gegen den Favoriten, gegen Schiedsrichter, gegen die brasilianische Politik und gegen mutmaßlich gedopte Sportler. Außerdem buhten und beschimpften die Brasilianer eigene Sportler – zum Beispiel die Fußball-Auswahl um Neymar. Schlimmer noch waren homophobe und sexistische Rufe gegenüber Fußball-Spielerinnen aus USA, Kanada und Australien. Nach ihrem Ausscheiden über 200 Meter Schmetterling in der Vorrunde hat sich die brasilianische Schwimmerin Joana Maranhão unter Tränen gegenüber dem Sender ESPN Luft gemacht:
"Brasilien ist sehr rassistisches, sehr machistisches und sehr homophobes Land. Es kommt aus einer Fußball-Kultur und die Leute denken, sie haben bei einer olympischen Sportart das Recht uns zu behandeln, wie einen Fußballer. Das haben Fußballer nicht verdient und wir auch nicht!"
Hinter den Kulissen steht das IOC vor einem Dilemma: Buh-Rufe widersprechen im Grunde der Philosophie einer respektvollen Rivalität im Sport ohne Diskriminierung. Aber der Zuschauer ist Kunde. Und der Kunde ist König.