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Olympische Spiele 2020
Klettern und Karate vor dem Abenteuer Olympia

Surfer und Skateboarder finden Olympia eher uncool - Kletterer und Karateka sehen es als Chance: Bei den Spielen in Tokio werden die vier Sportarten erstmals dabei sein. Puristen verurteilen jedoch das Klettern in der Halle, weil es eigentlich ein Natursport sei. Auch einige Karateka haben Zweifel.

Von Daniela Müllenborn |
    Fabian Platz hängt am 10.03.2017 in der neuen Kletterhalle des Alpenvereins Sektion Weimar (Thüringen) am Sicherungsseil. Die für etwa 1,5 Millionen Euro gebaute Halle wurde am 04.03. eröffnet. Foto: Candy Welz/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Die Randsportart Klettern hat sich in den vergangenen Jahren zum Breitensport entwickelt. (dpa/Candy Welz)
    Olympia will hipper werden. Klettern soll dabei helfen. Eine gute Idee, findet Matthias Keller, Ressortleiter Spitzen-Bergsport beim Deutschen Alpenverein. Er konnte beobachten, wie sich die Randsportart Klettern in den vergangenen Jahren rasant zum Breitensport entwickelt hat. Und er hat sich jahrelang dafür eingesetzt, dass sein Sport ins Olympische Programm aufgenommen wird:
    "Von daher bin ich natürlich froh, dass jetzt was vorwärts geht und wir können jetzt endlich umsetzen, was wir seit Jahren in den Konzepten drin stehen haben. Und ich merk jetzt auch schon in dem halben Jahr, wo wir den Olympiabescheid haben und jetzt auch die Förderbewilligung, dass die Stimmung bei den Sportlern besser ist. Die schätzen diese sportliche Betreuung, die viel, viel dichter ist. Wir können jetzt auf alle Wettkämpfe fahren, was früher immer ein Budgetthema war. Also da kommt auch schon positives Feedback von Sportlerseite."
    Rückkehrer Baseball/Softball und die vier neuen Sportarten bekommen vom Bundesinnenministerium Fördergelder. Die Leistungssportabteilung des Deutschen Alpenvereins kann sich davon jetzt hauptamtliche Trainer für ihre Spitzenathleten leisten. Und das ist ein großer Schritt Richtung Professionalisierung des Wettkampf-Kletterns, das im eigenen Verband aber auch kritisch gesehen wird:
    "Weil Klettern ja eigentlich ein Natursport ist und Sportklettern findet in der Halle statt. Und da gibt es immer noch Stimmen im Verband, die sagen, das ist ja nicht das echte Klettern. Deshalb war es immer schwer, dieses Thema Wettkampfklettern oder Leistungssport im Verband zu platzieren. Und daher sind die Strukturen auch nicht so entwickelt wie in anderen Verbänden. Wir haben aber jetzt in den letzten zehn Jahren schon ein gutes System aufgebaut, mit Nationalkadern, mit einer guten Nachwuchsarbeit, weil sich unsere Landesverbände dem Thema halt angenommen haben."
    Olympia-Skeptiker kritisieren den Dreikampf
    Und auch die Infrastruktur stimmt: Matthias Keller vermutet, dass es weltweit nirgends so viele Kletterhallen gibt wie in Deutschland. Trotzdem sind da neben denen, die das Sportklettern insgesamt ablehnen weitere Olympia-Skeptiker. Nämlich jene, die nicht einverstanden sind mit dem sportlichen Programm in Tokio.
    Der olympische Kletter-Wettkampf ist ein Dreikampf. Eine Kombination aus den Disziplinen Speed-Klettern - also auf Geschwindigkeit - Bouldern, sprich Klettern in Bodennähe ohne Seil - und Schwierigkeitsklettern, bei dem eine unbekannte Route geklettert werden muss. Ein Mix, den es so bislang noch nicht gegeben hat und für den man eigentlich den Super-Allrounder bräuchte, den man aber nicht aus dem Hut zaubern könne, so die Kritiker.
    Matthias Keller und seine Spitzenathleten wollen aber jetzt das Training umstellen und diese Hürde schaffen und werben in einem Video auf der Verbands-Internetseite für das große Abenteuer Olympia. "Wir planen ganz optimistisch mit einer Dame, einem Herrn und vielleicht noch einem dritten Starter." - "Olympia gibt Klettern schon noch mal einen neuen Anreiz." - "Vielmehr Präsenz in den Medien." - "Eine der größten Chancen für das Klettern." - "Und wir als Verband können das Klettern dadurch noch weiter entwickeln." - "Mediale Auftritte haben sich verstärkt." - "Und da denke ich, dass mit dem Olympia-Thema noch mal ein ganz gewaltiger Schub kommt."
    Klettern goes Olympia. Für den Deutschen Alpenverein ein Spagat. Auf der einen Seite steht der Verband dem Internationalen Olympischen Komitee sehr kritisch gegenüber und war vor vier Jahren der einzige Verband im Deutschen Olympischen Sportbund, der gegen die Olympia-Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2022 gestimmt hatte.
    Auf der anderen Seite sagt Matthias Keller: "Ich hab das Gefühl, dass das Thema Leistungssport im Verband nicht mehr in Frage gestellt wird, und wenn man sich quasi dem Leistungssport verpflichtet, dann muss man auch das größte Event im Leistungssport mittragen, sonst wird's unglaubwürdig. Und man kann nicht sagen: 'Wir machen jetzt Leistungssport und zu den Olympischen Spielen oder nach Tokio fahren wir nicht'."
    Karate endlich olympisch - wie Taekwondo
    Nach Tokio fahren auch die Karateka. Endlich olympisch! Eine Sportart atmet auf, sagt Eva-Mona Altmann, Sprecherin des nordrhein-westfälischen Karateverbandes. "Ja also ich denke, dass die meisten Karateka davon begeistert sind, weil wir uns ja schon seit Jahren - seit Jahrzehnten kann man fast schon sagen - bemühen, olympisch zu werden, also eigentlich schon seit den 80er-Jahren, es war ja ein Wettrennen zwischen uns und Taekwondo. Und das hat dann Taekwondo gewonnen. Und in den letzten Jahrzehnten hat dann wirklich auch ne starke Professionalisierung stattgefunden im Karate. Wir haben sehr viel gearbeitet am Regelwerk, und insofern sind jetzt wirklich alle sehr begeistert, würde ich sagen."
    Eva-Mona Altmann spricht vielen Karateka aus dem Herzen. Dreimal hatte sich die Kampfsportart Karate schon vergeblich beworben um eine Aufnahme ins Olympische Programm. Dann der Zuschlag und die Worte von IOC-Präsident Thomas Bach nach der Abstimmung letztes Jahr: "Really a milestone in the innovation of olympic programm." Für die Reform der Olympischen Spiele ist die Aufnahme der vier ganz neuen Sportarten Karate, Klettern, Wellenreiten und Skaten sowie dem Olympiarückkehrer Baseball/Softball also ein Meilenstein.

    Fortgeschrittene Karateka der Meisterstufe beim Training von Schlag- und Abwehr-Techniken bei einem international besuchten Lehrgang in Strausberg bei Berlin.
    Auch Karate wird neu ins olympische Programm aufgenommen - das hatte sich die Sportart seit Jahrzehnten gewünscht. (Hans Wiedl, dpa picture-alliance)
    Umgekehrt versprechen sich Deutschlands Karatekämpfer sehr viel davon, jetzt olympisch zu sein: "Naja, also zuerst mal muss man ganz pragmatisch sagen, dass natürlich ganz andere Fördermittel zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, man kann ganz andere Arbeit leisten, nicht nur im Leistungssport, auch im Breitensport kommt dann etwas von dem Geld an. Wir erhoffen uns eine andere Öffentlichkeitswirksamkeit und dadurch letztendlich mehr Menschen, die mit Karate anfangen, die sich an die Vereine wenden und unsere schöne Sportart eben auch anfangen."
    Nur noch der sportliche Erfolg im Fokus?
    Allerdings: Auch bei Deutschlands Karateka ist das Thema Olympia nicht unumstritten. Budolehrer Wolf-Dieter Wichmann, früherer Vizeweltmeister, spricht im Internetportal "Karatetreff" über seine Sorge, dass im Wettkampf-Karate immer weniger die Charakterschulung zählt, sondern vielmehr der sportliche Erfolg. "Dass Karate olympisch wird, ist eine weitere Förderung der Marketing-Offensive. Karate ist ja eine Marke, auch Gesundheitssport. Soweit ist alles toll. Hat wenig Einfluss auf das traditionelle Karate. Die Frage ist nur, wenn junge Menschen Karate lernen, dann orientieren sie sich an dem, was in der Öffentlichkeit zu sehen ist, an den olympischen Sachen und so weiter."
    Verbandssprecherin Eva-Mona Altmann teilt diese Bedenken nicht. Sie würde sich freuen, * wenn sich überhaupt ein deutscher Karateka für Tokio qualifizieren würde. "Olympia ist eben Olympia, das ist noch mal was anderes und das ist eben ein großer Traum für viele Sportler und für die Karateka auch."
    * in einer früheren Version gab es den redaktionellen Einschub "- und das gilt als sehr unwahrscheinlich -", der jedoch nicht als Zitat der Verbandssprecherin verstanden werden sollte.