"Alle Medien in Japan waren dafür. Alle haben gejubelt", erinnert sich Ryu Homma sieben Jahre zurück, in den September des Jahres 2013. Tokio hatte gerade das Austragungsrecht für die Olympischen Spiele 2020 gewonnen. Über ein halbes Jahrhundert nach "Tokio 1964" sollten die Sommerspiele endlich wieder nach Japan kommen.
Der Publizist und Investigativjournalist Ryu Homma war von Anfang an dagegen, zu teuer würden die Spiele für den hochverschuldeten japanischen Staat werden.
Ryu Homma ist ein bekannter Autor im Land, hat zehn Bücher über diverse Themen geschrieben: über Arbeitsbedingungen in Unternehmen, über den Reaktorunfall in Fukushima, über den Einfluss großer Werbeagenturen auf die Medienbranche. Es sind Themen, die Japan bewegen – wie Olympia. Aber zu "Tokio 2020" sei er von den großen Medien nicht ein einziges Mal interviewt worden.
"Die wollen keine kritischen Stimmen"
"Die größten fünf Zeitungen Japans, die allesamt auch einen TV-Kanal unterhalten, sind Partner der Olympischen Spiele. In diesen Medien hört man nichts davon, dass sich die Kosten der Spiele vervielfacht haben. Und dass es nicht wahr ist, dass "Tokio 2020" die Steuerzahler kein Geld kosten wird. Die wollen keine kritischen Stimmen."
Das System, von dem Homma spricht, ist schnell erklärt: Olympische Spiele finanzieren sich zum Teil durch private Sponsoren, die durch ihre Zuwendungen das Privileg erhalten, mit dem olympischen Banner zu werben. Im Fall von Tokio gehören zu diesen "Partnern" nicht nur Fluglinien, Banken und Lebensmittelhersteller, sondern auch die fünf führenden Tageszeitungen Japans.
Die Rolle des kritischen Beobachters können diese Zeitungen so kaum ausüben. Redakteure der großen Zeitungen berichten anonym, dass jene Texte, die die dunklen Seiten der Spiele von Tokio beleuchten, einfach nicht erscheinen. Oder sie würden nur stark abgeschwächt und gekürzt veröffentlicht.
Elitendenken statt Journalismus
Nicht nur Ryu Homma findet, dass die Olympia-Berichterstattung der großen Medienhäuser mit Journalismus wenig zu tun hat. Auch Eiichi Kido sieht das so. Der Geschichtsprofessor und Medienexperte, der lange Zeit auch in Deutschland gelehrt hat, erkennt darin unter anderem Elitedenken. Bestärkt werde das gegenseitige Wohlwollen durch die Tradition der "kisha kurabu". Das sind exklusive Presseklubs, die von Ministerien, großen Unternehmen und Verbänden unterhalten werden, um Journalisten zu informieren und bei der Stange zu halten.
"Wer kein Mitglied des Presseklubs ist, hat natürlich immer Nachteile. Direkte Übertragung einer Pressekonferenz: Die Journalisten tippen einfach nur in den Computer. Sie bemühen sich, die Äußerung einfach korrekt zu vermitteln. Aber sie sind nicht in der Lage, kritische Fragen zu stellen."
Nur ist zuletzt die japanische Bevölkerung kritischer geworden. Die olympische Jubelstimmung ist vergangen, seit die Regierung wochenlang zögerte, ehe sie auf internationalen Druck erst am 24. März die Verschiebung Olympias verkündete.
Zunehmende Kritik an Olympia
Mit diesem verspäteten Entschluss, so der Eindruck vieler Menschen, wurde auch eine frühere Reaktion auf die Pandemie verhindert. Seit "Tokio 2020" um ein Jahr verschoben wurde, ergeben Umfragen, dass die Mehrheit der Menschen in Japan auch im Sommer 2021 kein Olympia mehr in ihrer Hauptstadt will.
Und die Medienhäuser? Die lassen mittlerweile etwas mehr Zweifel am Event zu. Das beobachtet Hiroki Ogasawara, Soziologieprofessor an der Universität Kobe und einer der bekanntesten Olympiakritiker im Land:
"Die Stimmung ist etwas gekippt. Immer mehr Menschen werden ehrlich sprechen. Einige Athleten haben schon ihre Bedenken geäußert: ‚Jeder würde gerne bei den Olympischen Spielen starten, aber kann ich das jetzt sagen, wo viele Menschen am Virus leiden?‘ Und die Medien können diese Stimmen jetzt aufgreifen und sie auch im Fernsehen übertragen. Weil die ganze Stimmung gekippt ist."
Schwierig? Ja – Unmöglich? Nein
Um grundsätzliche Olympiakritik gehe es dabei aber immer noch nicht, betont Investigativjournalist Ryu Homma: "Die Artikel über die Möglichkeit, dass es vielleicht keine Olympischen Spiele geben kann, gibt es wirklich erst seit kurzem. Aber so richtig kritisch sind die meistens auch nicht. Man sagt lieber: man braucht dringend einen Impfstoff und Medikamente, weil es sonst schwierig wird. Unmöglich? Das sagen die großen Medien nicht. Schwierig? Das mittlerweile schon."
Medienexperte Eiichi Kido sieht darin auch ein Ablenkungsmanöver. Mit Berichten zur Sorge über die Machbarkeit der Spiele von Tokio ließe sich über andere Themen hinwegsehen. Zum Beispiel der ehemalige Vorsitzende des japanischen Olympischen Komitees: Gegen ihn gibt es Ermittlungen bei der französischen Staatsanwaltschaft. Die Medien sind schon wieder brav…