Als das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Olympischen Spiele 2020 nach Japan vergab, wollte das Land Olympia zu den "Spielen des Wiederaufbaus" nach der Atom-Katastrophe von Fukushima 2011 machen. Doch jetzt steht Olympia ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Nicht nur mussten die Spiele um ein Jahr nach hinten verschoben werden, auch jetzt herrscht in Tokio der Corona-Ausnahmezustand. Zuschauer und ausländische Gäste sind nicht erlaubt.
Mehr als 11.000 Athletinnen und Athleten sind dabei. Sie messen sich in den kommenden zwei Wochen in insgesamt 33 Sportarten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Nach der Vergabe der Spiele im Herbst 2013 herrschte in Japan so etwas wie eine Olympia-Euphorie. 73 Prozent der Japanerinnen und Japaner hatten sich für eine Austragung der Spiele ausgesprochen. "Die Menschen in Japan sind enthusiastische Fans des Sports und lieben die Olympischen und Paralympischen Spiele", hatte Tsunekazu Takeda, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), damals gesagt. "Sie verstehen auch, dass der japanische Sport, die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt von der Austragung der Spiele profitieren."
Acht Jahre später hat sich das Bild gewandelt. Mehrere Umfragen haben ergeben, dass die japanische Bevölkerung die Durchführung der Spiele in diesem Jahr ablehnt. Laut der japanischen Zeitung "Asahi Shimbun" haben sich 55 Prozent der Japanerinnen und Japaner gegen die Austragung der Spiele in diesem Sommer ausgesprochen. 68 Prozent halten die Durchführung von sicheren Spielen für unmöglich. Das amerikanische Ipsos Institut hat in einer Befragung im Mai und Juni herausgefunden, dass sich nur etwa 32 Prozent der Japanerinnen und Japaner überhaupt für die Spiele interessieren.
Dazu ziehen sich Sponsoren aus Angst vor einem Imageschaden zurück. Akio Toyoda etwa, Chef des Autobauers Toyota, sagte Toyotas gesamte Olympia-Werbung in Japan ab. Der Konzern fürchtet, dass sich eine positive Botschaft nicht mit der Stimmung in der Bevölkerung deckt. Auch die Chefs von Panasonic, Fujitsu, des Telekomriesen NTT, der Brauerei Asahi und des Unternehmensverbands Keidanren haben ihre Teilnahme an der Eröffnungsfeier abgesagt.
Wie schwer wiegt es, dass keine Fans mit dabei sein dürfen?
Schon im März fiel die Entscheidung, aufgrund der Corona-Pandemie keine ausländischen Zuschauer zu den Olympischen Spielen zuzulassen. Am 9. Juli hat die japanische Regierung dann entschieden, komplett auf Fans zu verzichten. "Dass es jetzt so gekommen ist, ist sehr, sehr schade, aber nachvollziehbar", sagte der deutsche Fechter und Athletensprecher Max Hartung. "Es wird nicht so emotional ohne jubelnde Fans."
Doch die Abwesenheit der Fans hat nicht nur Auswirkungen auf die Stimmung. Auch finanziell hat die Absage an die Zuschauer große Folgen. Laut einer Analyse von Katsuhiro Miyamoto, Professor der Kansai Universität aus Osaka, könnte der Zuschauer-Ausschluss einen Verlust von 19 Milliarden Euro nach sich ziehen. So wurden etwa Hotels extra für die Olympischen Spiele neu gebaut, diese bleiben nun leer. Dabei war Premierminister Yoshihide Suga seit Beginn der Pandemie immer wieder darum bemüht, die für die Wirtschaft wichtige Tourismusbranche am Leben zu erhalten. Das könnte auch über die Pandemie hinaus Folgen haben. Denn Gäste, die in ihrer Heimat von den Erlebnissen in einem weltoffenen Japan berichten, gibt es jetzt nicht.
Auch das NOK und das IOC müssen Einnahmeverluste durch entgangen Ticketeinnahmen hinnehmen. Immerhin bleiben die Sponsoring-Einnahmen vorhanden. Insgesamt drei Milliarden US-Dollar haben 67 japanische Unternehmen in die Spiele investiert.
Den Einnahmen stehen jedoch gewaltige Kosten für die Spiele gegenüber. Nach der Vergabe der Spiele hatte man noch mit 6,1 Milliarden Dollar Kosten für die Spiele geplant. Mittlerweile spricht das Organisationskomitee von Kosten in Höhe von 12,6 Milliarden Euro. Die Spiele von Tokio sind damit die teuersten Spiele aller Zeiten. Schon vor der Verschiebung waren die Spiele ein Verlustgeschäft. Durch die Verschiebung kamen noch einmal 2,3 Milliarden Dollar Extrakosten hinzu.
Eine Absage der Spiele hätte dabei nur geringe Einsparungen gebracht, sagte der Professor für Betriebswirtschaft an der kanadischen Brock University, Michael Naraine, der zu Finanzierungsfragen im Sportgeschäft forscht. Ein Großteil der Sponsorengelder sei schon schnell ausgegeben worden. "Ganz ehrlich gesagt: Diese Spiele finden nur noch wegen des Sponsoringgeldes statt. Das Geld ist der einzige Grund, warum überhaupt noch über die Spiele gesprochen wird", so Naraine.
Gesundheitsexperten warnen davor, dass die Olympischen Spiele zu einem Superspreader-Event werden. Die Organisatoren betonen deshalb immer wieder: "Sicherheit ist die oberste Priorität."
Die Athletinnen und Athleten haben vor der Abreise ein sogenanntes "Playbook" bekommen, in dem die Corona-Regeln aufgelistet sind. Schon vor der Abreise nach Japan mussten die Teilnehmenden zwei Corona-Tests absolvieren. Der Nächste folgt direkt nach der Landung. 96 Stunden nach der Anreise müssen die Athletinnen und Athleten zwei Mal negativ getestet werden.
Während des Aufenthalts müssen die Sportlerinnen und Sportler täglich einen Speichel-Schnelltest abgeben. Wird eine Athletin oder ein Athlet positiv getestet, werden sie isoliert und können auch nicht mehr an den Wettkämpfen teilnehmen.
Bewegen dürfen sich die Teilnehmenden nur zwischen dem Olympischen Dorf und den Wettkampfstätten. Öffentliche Verkehrsmittel sind untersagt. Spätestens 48 Stunden nach Ende der Wettkämpfe muss das Olympische Dorf verlassen werden. Ausnahmen von der Maskenpflicht gibt es nur beim Essen, Schlafen, Training und bei den Wettkämpfen. Diese Maßnahmen gelten für alle Teilnehmenden, egal ob geimpft oder nicht.
Aber nicht nur Athletinnen und Athleten müssen sich an strenge Vorgaben halten. Auch Journalistinnen und Journalisten sowie Offizielle mussten nach der Anreise 14 Tage in einem von den Organisatoren vorgegebenen Hotel bleiben. Sie müssen zudem täglich Fieber messen und mögliche Corona-Symptome in eine Überwachungs-App eintragen. Diese App erinnert alle, die irgendwie mit Olympia zu tun haben, jeden Morgen an die nötigen Schritte. Befolgt man sie nicht, droht der Entzug der Akkreditierung.
13 führenden US-Sportredaktionen gehen diese Vorgaben zu weit. Sie sehen die Pressefreiheit eingeschränkt und haben deshalb einen Protestbrief an das IOC und das Organisationskomitee geschrieben. "Ich befürchte, die ganze Nachverfolgung und die Datensammlungen gehen weit über die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen hinaus", sagte Randy Archibold, Sportredakteur bei der New York Times.
Rund um die Olympischen Spiele hat es bereits 106 Corona-Fälle (Stand: 23.07., 11 Uhr) gegeben, sechs davon alleine im tschechischen Team. Mindestens sechs Sportlerinnen und Sportler werden ihre Wettkämpfe aufgrund positiver Tests verpassen.
Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO bescheinigt dem IOC dennoch, alles für sichere Spiele getan zu haben. "Es gibt im Leben kein 'Null-Risiko'. Es gibt nur mehr Risiko oder weniger Risiko", sagte er. Das Ziel müsse es sein, "sicherzustellen, dass jeder Fall identifiziert, isoliert und so schnell wie möglich behandelt wird, um die Infektionskette zu unterbrechen."