Olympia in Paris
Anwältin: Geflüchtete dürfen "nicht mal mehr auf der Straße schlafen"

Die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024 in Paris führen für viele Menschen zu erschwerten Lebensbedingungen. Darunter sind auch unbegleitete jugendliche Geflüchtete, die oft monatelang auf den Straßen der französischen Hauptstadt leben müssen.

Von Clarissa Hofmann | 13.07.2024
Die Olympischen Ringe zieren den Eiffelturm in Paris
Frankreich will bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris ein glänzendes Bild abliefern. Obdachlose Geflüchtete werden nun aus den Städten verdrängt. (IMAGO / ABACAPRESS / IMAGO / Khademian Farzaneh / ABACA)
Jeden Mittwochmorgen treffen sich etwa 150 unbegleitete jugendliche Geflüchtete mit mehreren Hilfsorganisationen unterhalb des Parc de Belleville im Osten von Paris. Heute sind es besonders viele, die eine Bescheinigung von der Organisation "Utopia 56" erstellen möchten. Diese nutzen sie für die Prüfung ihrer Minderjährigkeit vor Gericht, um zu zeigen, dass sie an Sprachkursen oder anderen Angeboten teilnehmen und von der Organisation begleitet werden.
Wegen der Olympischen Spiele musste die Organisation ihren zweiten Standort verlegen. Christina von "Utopia 56" vermutet, dass viele von denen, die heute hier sind, nichts von dem Standortwechsel mitbekommen haben:
"Seit Montag haben wir den Treffpunkt, der vorher vor dem Pariser Rathaus war, nach Nation, im Osten von Paris, verlegt. Es waren nur sehr wenige Personen die letzten Tage da. Ich denke, dass einige nicht die Mittel haben, sich darüber zu informieren, dass wir den Ort wechseln mussten. Das hat den Alltag durcheinandergebracht, was alle erstmal ein wenig verwirrt."

Räumungen erfolgen oft ohne Alternativen

Die Olympischen Spiele erschweren den Jugendlichen nicht nur den Zugang zu Hilfsangeboten. Viele von Ihnen schlafen auf der Straße, teils zusammen in Camps, oder in von der Stadt bereitgestellten Turnhallen. Egal wo, es droht ihnen immer wieder eine Räumung.
"Wegen der Olympischen Spiele lösen sie sehr viele Camps auf. Wir haben gerade einen Freund getroffen. Er hat uns erzählt, dass er seit drei Tagen nicht geschlafen hat, weil sie alle Zelte mitgenommen haben. Er hat Zahnschmerzen, wie soll er das schaffen? Seit drei Tagen leidet er und schläft nicht. Es ist nicht einfach", erzählt der 16-jährige Adam.
Mit "sie" ist die Pariser Polizeipräfektur gemeint, die vor den Olympischen Spielen dafür sorgen soll, die Veranstaltungsorte zu räumen. Alternativlösungen gibt es dabei laut des Kollektivs "Le revers de la médaille" (z. Dt.: "Die Kehrseite der Medaille") immer weniger.
"Die Stadt und die Polizei haben uns mit einer Zwangsräumung gedroht. Sie haben gesagt, dass sie uns vor den Olympischen Spielen rausschmeißen werden. Es sind eben die Olympischen Spiele. Sie sind wohl wichtiger als wir", sagt Aboubakar Kamara, der in einer Turnhalle untergekommen ist.

"Soziale Säuberung" im Zuge der Olympischen Spiele

In einem Bericht von Anfang Juni zeigt das Kollektiv "Le revers de la médaille" auf, dass die Anzahl von jugendlichen Geflüchteten, die von Zwangsräumungen betroffen sind, in diesem Jahr fast drei Mal so hoch ist wie noch zwei Jahre zuvor. Matthias, einer ihrer Freiwilligen im Parc de Belleville, erhebt deswegen schwere Vorwürfe gegenüber der Stadtpolitik:
"Insgesamt prangern wir im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen an, was wir als 'soziale Säuberung' bezeichnen. Die soziale Säuberung nimmt unter verschiedenen Aspekten Gestalt an, vor allem werden Menschen in Regionen außerhalb von Paris geschickt, in Zentren, in denen sie je nach Situation weiter sortiert werden. Allerdings sind diese Strukturen nur für Erwachsene geeignet."

Jugendliche Geflüchtete befinden sich in rechtlicher Grauzone

Ein Großteil der unbegleiteten Geflüchteten befindet sie sich aber laut der Anwältin Emma Eliakim in einer rechtlichen Grauzone. Die zuständige Prüfstelle hat die meisten nicht als minderjährig eingestuft. Deswegen haben die jungen Geflüchteten keinen Anspruch auf Unterstützung durch die "Sozialhilfe für Kinder". Sie werden jedoch auch nicht als Erwachsene anerkannt und fallen damit nicht unter das allgemeine Asylrecht. Während der Vorbereitung der Olympischen Spiele zeige sich diese schwierige Situation besonders stark.
"Man lässt sie nicht einmal mehr auf der Straße schlafen. Die Räumung der Camps ist zwar schön für die Stadt, aber sie bringt die Jugendlichen in Gefahr und in Schwierigkeiten. Denn auf der Straße zu schlafen ist immer in jeder Hinsicht extrem kompliziert, aber wenn sie in einem Camp sind, sind sie zusammen und können von den Organisationen identifiziert werden. Sie sind weniger gefährdet, als wenn sie allein sind, irgendwo in der Stadt verstreut", beschreibt die Anwältin.
Das Resultat: Sie seien mehr und mehr unsichtbar. Emma Eliakim, die mehrere Jugendliche bei ihrem Einspruch verteidigt, hätte sich während der Olympischen Spiele einen anderen Umgang gewünscht: "Man hätte erwarten können, dass die Stadt oder die Präfektur angesichts der besonderen Situation der Jugendlichen Unterkünfte bereitstellen, selbst wenn es sich nur um vorübergehende Unterkünfte während des Sommers handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall und die Situation verschlimmert sich."

Stadt Paris sieht Staatsregierung in der Verantwortung

Léa Filoche, die Stellvertreterin der Bürgermeisterin für Solidarität, Notunterkünfte und Flüchtlingsschutz, fühlt sich als Stadt von der Staatsregierung im Stich gelassen.
"Es wäre gut, wenn sich das Gesetz ändern würde. Es kann nicht sein, dass die Verantwortung für diese Personengruppen, um die sich niemand kümmern will, auf die lokalen Behörden abgewälzt wird. Und es kann nicht sein, dass nur wir uns um sie kümmern", betont Filoche.
Sie ergänzt: "Man kann uns vorwerfen, dass wir nicht genug tun. Letztendlich sind wir aber nicht für all das verantwortlich. Wir tun alles, was wir können, mit dem, was wir haben. Aber niemand kann uns beschuldigen, der Regierung in die Hände zu spielen, die Armen auszusortieren und die einen gegen die anderen auszuspielen. Wir handeln, wie wir können."
Sie sehe daher keine „soziale Säuberung“ im Zuge der Olympischen Spiele. Vielmehr sei das die allgemeine Haltung der aktuellen Regierung. Von Regierungsseite kommt nach mehreren Mails und Anrufen keine Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Aktivist: "Keine Unterkunft, keine Olympischen Spiele"

Mit Demonstrationen und Kundgebungen verschafft sich das "Kollektiv der Jugendlichen aus dem Parc de Belleville" Gehör und macht auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Alseny, einer der Delegierten des Kollektivs zu ihrem Anliegen:
"Wir fordern unser Recht, zur Schule zu gehen, eine Unterkunft zu bekommen und eine Metrokarte für uns alle zu erhalten. Vor allem fordern wir auch die Anerkennung unserer Minderjährigkeit. Das ist sehr wichtig, denn es ist der Grund dafür, dass wir immer noch hier sind."
Auf ihren Bannern und Flugblättern steht: "Pas de logements, pas de JO." Übersetzt heißt das: "Keine Unterkunft, keine Olympischen Spiele."