Olympia in Paris
Wie Teilnehmer aus Russland und Belarus ausgewählt wurden

Nur wenige Athletinnen und Athleten mit russischem oder belarusischem Pass werden an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat nach bestimmten Kriterien Sportlerinnen und Sportler eingeladen. Doch es gibt internationale Kritik.

Von Gesine Dornblüth | 21.07.2024
Die russische Tennisspielerin Diana Shnaider im Viertelfinale des WTA250-Turniers in Ungarn
Die russische Tennisspielerin Diana Shnaider wurde als neutrale Athletin vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu den Olympischen Spielen in Paris eingeladen. (IMAGO / IPA Sport / IMAGO / Vincenzo Orlando / IPA Sport / ipa)
Nach jetzigem Stand werden 15 Athleten mit russischer und 17 mit belarusischer Staatsbürgerschaft bei den Olympischen Sommerspielen in Paris dabei sein. Alle treten in Einzeldisziplinen an: Tennis, Kanusport,  Rudern, Schwimmen, Radrennen, Gewichtheben, Schießen, Trampolinturnen, Taekwondo und Ringen. Mannschaften wurden vom IOC von vornherein ausgeschlossen, erläutert IOC-Sprecher Christian Klaue.
Er ergänzt: "Dann Athleten, die den Krieg aktiv unterstützen, dürfen nicht antreten, und der dritte Punkt ist, Athleten, die beim russischen oder belarusischen Militär oder den nationalen Sicherheitsbehörden unter Vertrag stehen, dürfen ebenfalls nicht antreten."

Dreiköpfiges Gremium lud 60 Russen und Belarusen ein

Viele russische Spitzensportlerinnen und -sportler trainieren im Armeesportverein ZSKA oder bei Dynamo, der dem Geheimdienst nahesteht. Um zu überprüfen, welche Athletinnen und Athleten die Teilnahmekriterien erfüllen, hatte die IOC-Exekutive im Frühjahr ein dreiköpfiges Gremium eingesetzt. IOC-Vizepräsidentin Nicole Hoevertsz und je ein Vertreter aus der Ethik- und der Athletenkommission luden am Ende ingesamt 60 Russen und Belarusen nach Paris ein.
Etwa jeder zweite hat die Einladung ausgeschlagen, darunter alle russischen Ringer und Judoka. Diverse russische Verbandsfunktionäre haben deutlich gesagt, was sie von denen halten, die der Einladung des IOC folgen. Zum Beispiel unterstrich Umar Kremljow, Chef der russischen Boxföderation: "Diejenigen, die sich bereit erklärt haben, ohne Flagge und Hymne zu fahren, sind Verräter. Sie sollten besser gar nicht erst zurückkommen. Diejenigen, die nicht fahren, sind für mich echte Männer, ich bin stolz auf sie."
Irina Winer, die Chefin des Verbands Rhythmische Sportgymnastik, sprach gar verächtlich von einer "Truppe von Obdachlosen".
Jewgenij Pljuschtschenko dagegen, zweifacher Olympiasieger im Eiskunstlauf, sagte dem russischen "Sport Express", man solle auf jeden Fall auch unter neutraler Flagge starten. Die Gegner würden auch so begreifen, woher die Athleten kämen, diese könnten beweisen, dass "unser Land das beste ist".

Diverse Absagen russischer Sportlerinnen und Sportler

Nicht alle Absagen sind auf Druck zurückzuführen. Andrey Rublev, Nummer zwei des russischen Tennis, gab gesundheitliche und Termingründe an, seiner Kollegin Ljudmila Samsonowa gefällt der Untergrund auf dem olympischen Tennis-Court nicht. Radrennfahrer Alexander Wlassow sagte schon vor seinem Knöchelbruch bei der Tour de France ab, weil ihm die flache Strecke nicht liege.
Bei den letzten Sommerspielen in Tokio waren noch mehr als 300 russische Sportlerinnen und Sportler am Start. Dass es nun wegen des russischen Angriffskrieges nur etwa fünf Prozent davon sind, führt Matwij Bidniy, Sportminister der Ukraine, darauf zurück, dass die Ukrainer Druck gemacht haben: "Das ist unser Erfolgsrezept. Und wir müssen es weiter nutzen."
Die Ukraine ihrerseits tritt mit rund 140 Athletinnen und Athleten an. Sportminister Bidniy wäre es noch lieber gewesen, gar keine Russen oder Belarusen am Start zu sehen.

Mehrere russische Sport-Größen unterstützen Krieg gegen Ukraine

Das Ministerium führt eine Liste mit Athleten und Sportfunktionären aus den beiden Ländern, die seiner Ansicht nach den Krieg gegen die Ukraine unterstützen. Auf dieser Liste steht im Internet öffentlich einsehbar zum Beispiel der Name der russischen Trampolinturnerin Angela Bladtseva. Sie hat an einem Wettbewerb in Südrussland teilgenommen, bei dem ein großes Plakat mit dem kriegsverherrlichenden Z-Symbol an der Wand hing.
Oder die russische Tennisspielerin Diana Shnaider. Sie hat einen Telegram-Post der russischen Propaganda-Chefin Margarita Simonjan gelikt, in dem diese Stolz auf Russland äußert, trotz oder gerade wegen des Krieges. Bladtseva und Shnaider wurden trotzdem vom IOC nach Paris eingeladen und haben zugesagt.
Dazu Ukraines Sportminister Bidniy: "Wir sind der Meinung, dass [russische und belarusische Athletinnen und Athleten] überhaupt nicht dort sein sollten, weil wir jeden von ihnen als Agenten für hybriden Einfluss betrachten.
Vor wenigen Tagen hat eine internationale Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Namen „Global Rights Compliance“ nachgelegt. 17 vom IOC nach Paris eingeladene Belarusen und Russen hätten den Angriffskrieg öffentlich unterstützt und sollten deshalb von der Teilnahme wieder ausgeschlossen werden, fordert die Organisation. Das IOC weist diese Forderung in Person von Sprecher Klaue zurück: "Alle Athletinnen und Athleten sind in Übereinstimmung mit den von der IOC-Exekutive formulierten Bedingungen überprüft worden."

Olympische Spiele weder in Belarus noch Russland im TV

Weder in Belarus noch in Russland werden die Olympischen Spiele im Fernsehen gezeigt. Nach den landesweiten Staatssendern hat vor wenigen Tagen auch der russische Sportsender "Match TV" bekanntgegeben, auf die Übertragung zu verzichten.
Gucken kann man allerdings im Internet. Das lohne sich, auch wenn ganze Sportarten ohne Athletinnen und Athleten aus Russland auskommen, verspricht die ehemalige rhythmische Sportgymnastin und Bloggerin Lena Krupina in einem Youtube-Video: "Auch wenn wir keine Flagge sehen und keine Hymne hören, wird es reichlich russische Gymnastinnen geben – und solche, die sehr eng mit Russland verbunden sind."
Krupina meint Gymnastinnen, die in Russland geboren wurden, aber schon länger im Ausland leben und eine neue Staatsbürgerschaft haben.