Problem Wasserqualität
Wie die Seine zur Schwimmbahn für die Olympischen Spiele werden soll

Bei den Olympischen Spielen in Paris sollen Schwimm-Wettbewerbe wie das Marathon-Schwimmen im Fluss Seine stattfinden. Das Problem: Noch ist das Wasser nicht sauber genug. Von der Lösung soll am Ende auch die Bevölkerung profitieren.

Von Christiane Kaess |
Die Brücke Pont Alexandre III über der Seine in Paris im Sonnenuntergang.
Von der Brücke Pont Alexandre III über der Seine sollen bei den Olympischen Spielen in Paris Schwimm-Wettbewerbe starten. (IMAGO / Westend61 / IMAGO / A. Tamboly)
Unter der golden verzierten Brücke Pont Alexandre III sollen die Wettkämpfer im Sommer in die Seine springen. Später dann soll es Badestellen für alle geben. Eine ältere Frau, die am Seine-Ufer sitzt meint: „Ich werde in der Seine baden, wenn ich sicher weiß, dass ich dann nicht krank werde.“ Die Passantin Olivia sagt dagegen: „Für nichts auf der Welt würde ich in der Seine baden! Man weiß nicht, was da alles drin ist und ich habe kein Vertrauen in die Pariser Stadtverwaltung.“

Unterirdisches Becken zur Wasser-Reinigung

Pierre Rabadan ist bei der Stadt Paris verantwortlich für die Olympischen Spiele. Der ehemalige Rugby-Nationalspieler stapft in Gummistiefeln und weißem Schutzhelm über eine Baustelle am Bahnhof „Gare d´Austerlitz“ im 5. Pariser Arrondissement. Ein gigantisches unterirdisches Becken entsteht hier.
Es soll ein Grundproblem für den Schmutz in der Seine lösen: Bei starkem Regen laufen die Abwassersysteme über und das verschmutzte Wasser wird ungeklärt in den Fluss geschüttet. Darin zu baden ist dann nicht mehr zulässig. Das Rückhaltebecken ermöglicht, die Wassermassen nach und nach durch das Klärsystem zu schleusen.
Im vergangenen August mussten Probeläufe für die Schwimmwettkämpfe abgesagt werden. Aber jetzt ist Pierre Rabadan optimistisch: "Wir hatten tatsächlich Probleme für die Testläufe beim Marathon-Schwimmen, weil es in den Tagen davor außergewöhnlich viel geregnet hat. Und wir hatten noch nicht die Werkzeuge, die wir jetzt haben – wie dieses Becken von Austerlitz."        

Es gibt keinen Plan B

Männer in weißen Schutzanzügen spritzen den Boden des riesigen Beton-Tanks mit Hochdruckreinigern sauber. Nach vier Jahren Bauzeit soll das Sammelbecken ab April 50.000 Kubikmeter Wasser fassen. Das entspreche 20 Olympischen Schwimmbecken, veranschaulicht Rabadan. Weitere Auffangbecken werden in angrenzenden Départements gebaut. "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir vorbereitet sind für die offiziellen Wettkämpfe dieses Sommers – das Marathonschwimmen, den Triathlon und den Paratriathlon. Und dass das Baden in der Seine als Erbe der Olympischen Spiele ermöglicht wird. Unser Ziel ist es, die Bewohner von Paris wieder mit ihrem Fluss zu verbinden."
Die Wettkämpfe in ein anderes Gewässer zu verlegen kommt für Rabadan nicht in Frage: "Es gibt keinen Plan B für die Wettkampfstätte. Aber wir können die Wettkampftage verlegen. Wir wissen, wie die Seine funktioniert. Bei Sportarten im Freien spielen die Wetter-Bedingungen immer eine Rolle. Die Wettkampfstätte in der Seine ist einmalig, am Fuße des Grand Palais und an der Seite der Pont Alexandre trois."
Rabadan hat das Schwimmen in der Seine im letzten Sommer selbst ausprobiert. "Wir haben jeden Tag Proben aus dem Fluss genommen, um zu sagen: ja, man kann darin baden. Die Werte sind unter der Regelgrenze der europäischen Norm. Ich werde vor den Olympischen Spielen wieder baden gehen zusammen mit der Pariser Bürgermeisterin. Natürlich in einem geregelten Rahmen. Man kann in der Seine nicht einfach baden, wo und wie man will."

Kosten: 1,4 Milliarden Euro

1,4 Milliarden Euro Investitionen sind nötig, um die Seine startklar zum Schwimmen zu machen. Antoine Guillou, bei der Stadt zuständig für die Abwasserreinigung, begleitet Pierre Rabadan bei der Besichtigung der Baustelle. An dem Programm zur Reinigung der Seine seien der Staat, die Stadt und die angrenzenden Départements beteiligt, zählt Guillou auf. "Ohne die Olympischen Spiele wäre diese gemeinsame Anstrengung nicht möglich gewesen. Wir hätten zehn Jahre länger gebraucht, um all das zu realisieren, was wir gerade tun. Wir haben also zehn Jahre gewonnen bei der Verbesserung der Wasserqualität der Seine."
Jean-Marie Mouchel ist Professor für Hydrologie an der Sorbonne Universität. In den Labors auf dem Campus stehen zwischen Computer-Bildschirmen hohe Kästen, aus denen dünne Schläuche in bauchige Flaschen führen. Mouchel forscht seit langem zur Wasserqualität der Seine. Rückhaltebecken wie das am Bahnhof Austerlitz machen Sinn, sagt der Professor. Seit Jahrzehnten baue man solche Becken bereits, um Überschwemmungen zu vermeiden. Aber auch auf die Umwelt habe dies deutliche Auswirkungen. "In der 90er-Jahren gab es nach jedem starken Regen 50 Tonnen tote Fische. Seitdem man das Wasser speichert und das Abwassersystem entlastet, haben wir diese Tonnen von toten Fischen so gut wie gar nicht mehr."

Bakterien im Wasser geben Hinweise auf Viren

Fraglich sei allerdings ob die Becken ausreichten. Zudem wirkten sich weiter Faktoren auf das Wasser der Seine aus, erklärt Mouchel: "Die Wasserqualität, die man braucht um baden zu können ohne ein Risiko für die Gesundheit wird über Bakterien aus Fäkalien analysiert. Die Bakterien selbst stellen bis auf wenige Ausnahmen kein Risiko dar. Aber sie geben Hinweise auf Viren wie zum Beispiel das Novovirus, das Durchfall und Erbrechen verursacht."
Eine wichtige Rolle spielten deshalb tausende von Wohnungen um Paris, die immer noch nicht oder nur unzureichend an das Abwassersystem angeschlossen sind. Dass sie ihr verschmutztes Wasser ungefiltert in den Fluss fließen lassen, soll sich noch vor den Olympischen Spielen ändern. Auch Hausboote sowie schwimmende Cafés und Restaurants müssen sich an die Klärsysteme anschließen.

"Es bleibt ein Rest-Risiko"

Der Hydrologe Mouchel meint: "Es geht langsam voran, denn es gibt viele kleine ungefilterte Abläufe in die Seine und viele schlechte Anschlüsse ans Abwassersystem. Die muss man alle nacheinander verbessern."
Auch der Wasserstand der Seine wird entscheidend dafür sein, ob die Bakterien in den Wasserproben unter die vorgeschriebene Grenze sinken und Schwimmwettkämpfer in den Fluss tauchen können. Mouchel ist sich nicht sicher: "Werden wir das Glück haben, dass die Schwimmwettkämpfe in der Seine stattfinden können? Wenn die äußeren Umstände es zulassen, ist die Antwort ja. Wenn es ständig sehr viel regnet, ist die Antwort: nein. Es bleibt ein Rest-Risiko. Man kann vorab nicht garantieren, dass am Datum der Wettkämpfe die Wasserqualität der Seine gut genug ist."