Sven Knipphals sagte, als Sprinter habe er das Verlangen nach Perfektionismus, das Optimale rauszuholen in der kurzen Zeit. Mit den Erwartungshaltungen umzugehen, sei eine Frage von Erfahrung. Er lobte den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), der seine Sportler nicht zusätzlich unter Druck setze. Der DLV wolle zwar, dass seine Athleten erfolgreich sind, würde ihnen das aber nicht aufoktroyieren.
Kritik an Medaillenerwartungen von Funktionären und Politik
Medial werde viel Druck aufgebaut, auch durch das Bundesinnenministerium, das betone, dass Medaillen das Wichtigste seien. "Platz vier ist halt doof", sagte Knipphals. Im Sprint sei das besonders zu spüren, weil die Deutschen dort im Einzel nicht in Medaillenreichweite sind. Funktionäre würden in Interviews wiederum betonen, dass man in Zukunft nur Sportarten unterstützen wolle, die medaillenfähig sind.
Zum Thema Doping sagte Knipphals, dass er glaube, dass der größte Teil der Athleten "sauber" sei. Der Sprint sei allerdings durch Dopingfälle historisch besonders belastet und auch nicht unbedingt langsamer geworden. Daher laufe immer gewisser Verdacht mit. Im Moment des Wettkampfs dürfe das aber keine Rolle spielen.
Knipphals konnte Dopern nicht in die Augen schauen
Als er einmal im Vorbereitungsraum mit der US-amerikanischen Sprintstaffel war, seien unter den Sportlern mit Tyson Gay, Mike Rogers, Justin Gatlin drei Athleten gewesen, die schon einmal gesperrt waren. Das sei normalerweise ein Moment, in dem man einander die Hände schüttle, aber Knipphals habe ihnen nicht in die Augen geschaut. Es sei ihm zuwider, "weil das Leute sind, die unseren Sport zerstören".
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Zu den acht schnellsten Deutschen aller Zeiten gehört Sven Knipphals, die 100 Meter ist der Leichtathlet in 10,13 Sekunden gelaufen und von der Europameisterschaft in Amsterdam in diesem Jahr hat er die Bronzemedaille in der 4-mal-100-Meter-Staffel mitgebracht. In dieser Disziplin wird er auch bei den Olympischen Spielen in Rio an den Start gehen, vor vier Jahren war er schon bei den Spielen in London dabei, als Ersatzmann für die Staffel kam er damals allerdings nicht zum Zuge. Wettkämpfe bestimmen sein sportliches Leben. Sind da die Olympischen Spiele trotzdem etwas Besonderes für ihn? Das habe ich Sven Knipphals kurz vor seiner Abreise nach Brasilien gefragt.
Sven Knipphals: Ja, definitiv. So habe ich eben explizit dann 2012 auch festgestellt. Ich meine, man weiß irgendwie als Sportler immer, Olympia ist was Besonderes. Wenn man dann wirklich da ist, fällt einem auf, es ist wirklich was Besonderes. Es ist einfach eine andere Dimension. Es ist medial gigantisch und auch … Es ist einfach ein anderer Spirit da, es ist wirklich irgendwie ein anderes Gefühl da.
Besonderes Feeling in Rio
Barenberg: Wie macht sich das denn fest, woran merken Sie das?
Knipphals: Das ist schwer zu sagen. Es ist wirklich so ein Gefühl in der Luft, kann man vielleicht sagen, ich weiß es nicht genau. Alle laufen in Anführungsstrichen nicht mit Herzchen in den Augen, sondern mit Olympischen Ringen in den Augen rum, das ist einfach ein anderes Feeling vor Ort.
Barenberg: Bei der 4-mal-100-Meter-Staffel gibt es ja einen Vorlauf in der nächsten Woche und dann einen Finallauf. Also, das heißt für Sie im Idealfall zweimal etwas mehr als zehn Sekunden. Sie haben lange, Sie haben hart trainiert. Wie motivieren Sie sich eigentlich, wenn es dann am Ende auf einen sehr kurzen Augenblick ankommt?
Knipphals: Ja gut, daran sind wir natürlich als Sprinter ja sowieso gewöhnt. Das ist viel Training, viel Arbeit, im Endeffekt dann eine sehr, sehr kurze Zeit, was das Ganze ja eigentlich eben spannend macht, wenn man eben nicht wie vielleicht in den technischen Disziplinen noch einen zweiten, dritten, vierten Versuch hat, sondern es ist eben dieser eine Versuch, da gibt man Vollgas. Und das alleine reicht schon als Motivation. Es ist halt der Drang oder dieses Verlangen nach Perfektionismus, ein Perfektionismus, den es natürlich auch niemals geben wird, aber dann zumindest das Optimale rauszuholen in dieser kurzen Zeit. Das macht schon besonders viel Spaß. Und dazu kommt auch einfach, dass man wirklich im Sprint irgendwo zumindest kurzzeitig, zumindest wenn es gut läuft, gedankenfrei ist. Und das ist was ganz Besonderes.
"Man lernt, mit dem Druck umzugehen"
Barenberg: Sie haben also Erwartungen an Ihre eigenen Leistungen natürlich, andere haben Erwartungen an Sie, da gibt es noch drei andere mit Ihnen in der Staffel, es gibt einen ganzen Apparat, der mit in Rio ist. Was tun Sie, damit der Druck Ihnen am Ende nicht im Weg stehen wird?
Knipphals: Also, ich glaube, das macht man erst mal mit Erfahrung. Das Gute ist ja wirklich, dass ich nicht so ins kalte Wasser geschmissen wurde, sondern ich war 2011 Ersatzmann bei der WM, war 2012 das erste Mal beim Einzelstart bei der EM und dann eben Ersatzmann in Rio. Und ich konnte mich so langsam heranpirschen sozusagen. Habe jetzt mittlerweile zwei Weltmeisterschaften, zwei Europameisterschaften mit Medaillen bestritten, und man lernt, mit dem Druck umzugehen. Wobei man auch wirklich sagen muss, dass der Deutsche Leichtathletik-Verband da mittlerweile einen sehr, sehr guten Job macht und uns wirklich auch diesen Druck nimmt. Also, es wird eben klar gesagt: Klar wollen wir, dass ihr erfolgreich seid, aber wir aufoktroyieren euch das nicht. Sondern ihr wollt doch selber erfolgreich sein, macht das Beste draus, wir unterstützen euch auf dem Weg. Und von daher wird da viel Druck genommen. Medial wird viel Druck aufgebaut, aber nichtsdestotrotz: Ich mache den Sport für mich und möchte dann natürlich einfach das Beste für mich rausholen. Und ob jemand anders mit mir nicht zufrieden ist, ist mir dann relativ wurscht. Wenn ich mit meiner Leistung zufrieden bin – und das kann ich, denke ich, wahrscheinlich auch besser als alle anderen einschätzen –, dann kann ich damit zufrieden sein und auch glücklich sein.
Barenberg: Sie haben gesagt, medial wird viel Druck aufgebaut. Meinen Sie damit, dass wir, dass wir Zuschauer sozusagen, die Öffentlichkeit da hinschaut und etwas von Ihnen sehen möchte, oder was meinen Sie damit genau?
Knipphals: Ja klar. Ich meine, bei Olympia und auch das Innenministerium, wie es in diesen Olympia-Vereinbarungen geschildert wird, es geht halt im Endeffekt um Medaillen. Platz vier ist halt doof, kommt noch in die Nationenwertung, aber es geht eben darum, Bronze, Silber oder Gold zu holen. Und wir erleben das ja natürlich explizit im Sprint, wir deutschen Sprinter, auch wenn Julian Reus jetzt mittlerweile der 10-Sekunden-Marke sehr nahekommt, laufen halt leider im Einzel noch ein bisschen hinterher, aus diversen Gründen. Und da hört man dann schon öfter mal per Facebook oder auch vielleicht das eine oder andere Interview von Funktionären, dass man eben überlegt, vielleicht dann doch nur Sportarten zu sponsern oder finanziell zu unterstützen, die auch wirklich medaillenfähig sind. Und da sind wir natürlich mit der Staffel dann eben genau in dieser Position, was natürlich dann aber eben auch diesen Druck dann doch durchaus noch mal erhöht. Und klar, der Zuschauer möchte natürlich erfolgreiche deutsche Athleten in Rio sehen, das kann ich auch nachvollziehen, das wird von Steuermitteln bezahlt, wir werden dadurch auch unterstützt und finanziert. Und das möchten wir natürlich auch zurückgeben und dieser Erwartung gerecht werden.
"Wir gehen davon aus, dass die Leute, die am Start sind, sauber sind"
Barenberg: Sie haben eben gesagt, dass Sie sozusagen den Bestwerten der Weltspitze noch ein bisschen hinterherlaufen. Im Sprint, damit sind wir ja quasi beim Thema oder möglicherweise auch bei einem Thema, das auch die Spiele von Rio wieder bestimmt und überschattet, das Thema Doping, wieder ein Dauerthema. Gehen Sie denn in diesen Wettbewerb mit der Überzeugung, dass es sich um einen fairen sportlichen Wettbewerb handelt?
Knipphals: Ja, das ist natürlich wirklich ein heikles Thema. Ich glaube, wir als Athleten haben nicht wirklich die Möglichkeit oder sollten uns auch nicht wirklich die Gedanken darüber machen, das muss dann eben die WADA klären oder eben die Verbände. Wir gehen davon aus, dass die Leute, die am Start sind, dann sauber sind. Ob wir das wirklich aus vollstem Herzen immer glauben, also, ich persönlich nicht zwangsweise. Wobei natürlich definitiv der größte Teil der Athleten erst mal sauber ist. Und ich sage mal, explizit die Leichtathletik und vor allem der Sprint ist natürlich besonders belastet, einfach allein historisch. Und es wird ja in den letzten Jahren auch nicht gerade langsamer gelaufen, von daher läuft da oder sprintet da natürlich immer ein gewisser Verdacht mit. Aber wir sehen natürlich jetzt auch nicht andere Athleten, wie sie sich die Tabletten reinschmeißen oder die Spritze irgendwo reinstecken. Von daher, wir gehen erst mal davon aus, dass die Leute, die am Start sind, sauber sind. Man kann sich natürlich über gewisse Athleten, die schon gesperrt waren und jetzt schneller laufen, dann noch unterhalten, aber das sind alles Sachen, die dürfen für uns keine Rolle spielen. Und alles andere kann man nicht beeinflussen, was außerhalb von unseren Möglichkeiten liegen. Deswegen müssen wir uns da einfach auf uns selbst konzentrieren.
"Das sind die Leute, die unseren Sport zerstören"
Barenberg: Ich verstehe, wenn Sie sagen, das darf für Sie keine Rolle spielen. Aber ich kann mir das nicht anders vorstellen, dass es doch eine Belastung ist, dieser Gedanke: Wer läuft da gerade neben mir und sind das alles Athleten, die auf sauberem Weg zu diesen Leistungen kommen?
Knipphals: Ich kann vielleicht mal eine kleine Anekdote von mir selber noch im letzten Jahr widergeben: Wir waren mit den Amerikanern im Callroom, das ist der Raum, wo dann noch mal Startnummern gecheckt werden, Trikots gecheckt werden und so. Und da waren in der Staffel von den Amis eben Mike Rodgers, Tyson Gay, Justin Gatlin, drei Athleten, die eben schon mal gesperrt waren. Das ist natürlich in dem Moment, wo man normalerweise mit solchen Leuten noch mal Shakehands macht, schon eine komische Situation. Ich habe denen nicht in die Augen geguckt, ich habe das möglichst vermieden, weil mir das natürlich schon irgendwo zuwider ist, weil das die Leute sind, die unseren Sport zerstören. Am Ende haben sie ihre Strafe abgesessen. Alles andere ist nur Spekulation und am Ende müssen wir sie auf der Bahn schlagen. Das ist auch das Einzige, was jemanden trifft. Und von daher … Klar, es beschäftigt einen, aber es darf einen nicht beschäftigen. Und dementsprechend ist eigentlich für mich in dem Moment, wo ich auf der Bahn stehe, gibt es keinen anderen Fokus als den Lauf. Und man muss auch einfach immer sagen: Für mich persönlich ist es so, ich bin noch nie deutscher Meister gewesen, ich bin mir 100-prozentig sicher, dass wir Deutschen alle clean sind. Und solange ich nicht der beste Deutsche bin, gibt es genug zu verbessern, ohne dass ich jetzt ins Ausland gucken muss.
Barenberg: Der Sprinter Sven Knipphals hier im Deutschlandfunk im Gespräch. Herr Knipphals, danke dafür und alles Gute für Rio!
Knipphals: Sehr gerne und vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur/Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.