Von 21 begutachteten Orten, an denen in der Vergangenheit bereits Olympische Winterspiele stattgefunden haben, wären bis Mitte des Jahrhunderts noch vier bis neun sicher für das Austragen der Spiele, so der Geograf Robert Steiger von der Universität Innsbruck. Als Teil eines internationalen Forschungsteams hat er eine Studie zum Thema im Fachmagazin "Current Issues in Tourism" vorgelegt.
Ende des Jahrhunderts sehe die Sache noch etwas düsterer aus. Das Forschungsteam konnte bei optimistischem Emissionsszenario noch acht sichere Orte ermitteln, bei weiterhin hohen Emissionen nur noch einen sicheren Austragungsort: das japanische Sapporo.
Für ihre Prognosen befragten die Forscher qualifizierte Wintersport-Athleten nach den für sie entscheidenden Faktoren. Daraus leiteten sie vier Indikatoren ab, die zu prüfen sind: genügend Naturschnee, Regenwahrscheinlichkeit, zu nasse Schneebedingungen, zu hohe oder zu niedrige Temperaturen.
Steiger betonte auch, dass es schon jetzt ohne Kunstschnee es gar nicht mehr geht. „Wenn der Kunstschnee-Indikator nicht ausreichend war, war der Ort nicht mehr geeignet.“
Nicht berücksichtigt haben die Forschenden, dass sich auch gänzlich neue Orte bewerben könnten oder dass man an bisherigen Austragungsstätten versucht, weiter in die Höhe zu gehen.
Das Interview im Wortlaut:
Arndt Reuning: Wie viele Orte weltweit werden denn in Zukunft noch für die Spiele in Frage kommen?
Robert Steiger: Wir haben uns 21 bisherige Austragungsstätten angesehen der Olympischen Winterspiele. Und bis Mitte des Jahrhunderts wären noch vier bis neun von diesen 21 Stätten sicher für das Austragen der Winterspiele. Vier bis neun deshalb, weil es davon abhängig ist, welches Emissionsszenario wir annehmen, also ob wir davon ausgehen, dass wir so weitermachen wie bisher mit den Treibhausgasemissionen – ohne Einschränkungen –, oder ob wir davon ausgehen, dass die Emissionen so reduziert werden, dass wir die Pariser Klimaziele erreichen. Im besseren Fall haben wir eben neun, im schlechteren Fall haben wir noch vier sichere Austragungsorte. Ende des Jahrhunderts sieht die Sache dann noch etwas düsterer aus, da kämen wir noch auf acht sichere Orte in dem optimistischen Emissionsszenario und auf nur noch einen sicheren Austragungsort bei weiterhin hohen Emissionen.
Nur noch ein sicherer Austragungsort Ende des Jahrunderts?
Reuning: Da bin ich jetzt aber gespannt, welcher Ort wäre das denn im schlimmsten Fall?
Steiger: Ja, leider nicht in den Alpen, nicht in Europa, sondern da handelt es sich um Sapporo in Japan, das einfach gekennzeichnet ist durch sehr kühle klimatische Verhältnisse in Kombination mit hohen Niederschlägen, die dann auch immer noch großteils als Naturschnee fallen. Somit sind dort die Bedingungen immer noch – in Relation zu den anderen Orten – sehr gut.
Reuning: Wie sieht das denn aus bei Ihnen in Innsbruck, dort haben die Winterspiele ja bereits zweimal stattgefunden in den Jahren 1964 und 1976, was ist dort für die Zukunft zu erwarten?
Steiger: Da sehen wir auch einen Unterschied je nach Emissionsszenario. Im optimistischen Szenario würde Innsbruck als wenig zuverlässig gelten. Wir haben drei Kategorien gebildet, zuverlässig, wenig zuverlässig und unzuverlässig. Und Innsbruck wäre in der mittleren Kategorie, weil einfach das Risiko von nicht optimalen Bedingungen schon etwas zu hoch ist, zum Beispiel was nasse Schneeverhältnisse und hohe Temperaturen betrifft. Und im hohen Emissionsszenario wäre Innsbruck dann gänzlich unzuverlässig.
Nicht akzeptable Wetterbedingungen
Reuning: Wie haben Sie denn diese Zahlen überhaupt abgeschätzt, wie sind Sie dabei vorgegangen?
Steiger: Grundlage dieser ganzen Analyse war zum einen eine Befragung weltweit von Hochleistungssportlern im Wintersport, die sich auch für die Olympischen Spiele grundsätzlich qualifizieren können, die zum Beispiel im Weltcup fahren bei den alpinen Bewerben. Und die haben wir abgefragt, was aus Sicht der Athleten und deren Trainer ideale Wetterbedingungen sind und nicht akzeptable. Da haben wir dann die relevantesten herausgezogen, also die relevantesten aus Sicht der Sportler, so kamen wir dann auf vier Indikatoren, die zum Teil mit Schnee zu tun haben, also wie viel Schneehöhe ist vorhanden, die zum Teil aber auch mit der Temperatur zu tun haben. Hintergrund ist der, dass die Sportler sagen, bei gewissen Verhältnissen, Temperaturverhältnissen haben wir gesundheitliche Beeinträchtigungen, wenn es zum Beispiel zu warm ist, der Körper arbeitet sowieso schon an der absoluten Grenze, wenn es dann noch zu warm wird, ist das eine zusätzliche Belastung, die durchaus längerfristige gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Und der andere Aspekt war die Sicherheit bei den Bewerben, also wenn Schneeoberflächen weich werden, erhöht das das Unfallrisiko, das wurde eben auch mit getragen in diesen Indikatoren. Dann haben wir eben Wetterdaten verwendet von Stationen in den Austragungsorten, dann Klimamodelle dazugeschaltet und dann genau diese Indikatoren untersucht, wie die heute aussehen und wie die sich in diesen Klimawandelszenarien eben künftig verändern können.
Reuning: Das heißt, was genau waren die Anforderungen an die Orte, die Sie gestellt haben, damit diese Orte als geeignet gelten?
Steiger: Wir hatten vier Indikatoren. Ein Indikator, da geht es um die Frage, ist genügend Naturschnee vorhanden, mindestens zehn Zentimeter haben wir hier angesetzt. Hintergrund ist der, dass die Sportler gesagt haben, wir brauchen auch Naturschnee für unsere Sturzräume. Wenn man zum Sturz kommt bei den alpinen Bewerben zum Beispiel, dann hat man ein sehr viel höheres Risiko, wenn außerhalb kein oder nur sehr wenig Schnee liegt, dementsprechend spielt auch Naturschnee hier eine Rolle. Der zweite Indikator war der Regen, also die Wahrscheinlichkeit, dass Regentage auftreten, weil der Regen einfach die Schneeoberflächen, aber auch die Eisoberfläche sehr stark beeinträchtigen kann, was wiederum die Sicherheit, aber auch die Fairness der Bewerbe beeinträchtigen kann. Wenn ich als 30. in ein Rennen starte an einem Regentag, dann habe ich sehr wahrscheinlich schlechtere Verhältnisse zum Abfahren als der erste. Der dritte Aspekt waren nasse Schneebedingungen, dafür braucht es nicht unbedingt Regen, sondern hier reichen schon hohe Temperaturen, da haben wir ein Tagesmaximum von mehr als fünf Grad plus angenommen als Grenzwert. Und der vierte Aspekt waren nicht akzeptable Temperaturen, entweder zu kalt, unter minus 20 Grad, oder zu warm, über plus zehn, weil es eben in beiden Fällen gesundheitliche Probleme, aber auch Probleme mit der Ausrüstung geben kann. Die Schuhe zum Beispiel werden bei zu hohen Temperaturen deutlich weicher, dadurch erhöht sich auch wieder das Verletzungsrisiko.
Kunstschnee, Überdachung, Pisten salzen?
Reuning: An diesen Außentemperaturen kann man natürlich nichts drehen, aber gibt es nicht technische Möglichkeiten, um zu gewährleisten, dass die Spiele auch in Zukunft an allen Austragungsorten stattfinden können, zum Beispiel durch sogenannten Kunstschnee, technischen Schnee?
Steiger: Die technische Beschneiung haben wir grundsätzlich berücksichtigt, weil die Frage ja ist, kann ich überhaupt die notwendige Schneemächtigkeit herstellen an einem Ort, das wird bei Veranstaltungen sowieso immer mit Kunstschnee gemacht, anders geht das gar nicht mehr. Das war also sowieso mit inkludiert bei uns, deswegen haben wir dann noch die zusätzlichen Indikatoren eigentlich verwendet. Und wenn der Kunstschneeindikator sozusagen schon nicht mehr ausreichend war, dann war der Austragungsort von Haus aus schon nicht geeignet in unserer Analyse. Man könnte natürlich dem Ganzen schon technisch entgegenwirken, was den Naturschnee betrifft, wo es wie gesagt um diese Sturzräume geht, da könnte man natürlich versuchen, diese Sturzräume auch großflächig noch weiter zu beschneien, um eben die Gefahr etwas zu reduzieren. Das bedeutet natürlich noch mal einen deutlich größeren Aufwand. Aber bei den anderen Indikatoren wie zum Beispiel Regen, den kann man nicht verhindern. Was man versuchen könnte, wäre die Wettkampfstätten zu überdachen, damit der Regen nicht auf die Eis- oder Schneeflächen kommt, das wäre natürlich auch enorm aufwendig. Und gegen die nassen Schneeverhältnisse gibt es heute schon ein Mittel, nämlich dass die Pisten gesalzen werden, damit das Wasser abfließen kann und der Schnee wieder aufhärtet, aber das geht nur bis zu einem gewissen Ausmaß, wenn es zu warm wird, hat das auch keine Wirkung mehr. Das wären natürlich alles Maßnahmen, die aber immer mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden sind und auch nur in gewissen Grenzen noch funktionieren können.
Reuning: Unter dem Strich, was bedeutet das dann, werden die Olympischen Winterspiele in 100 Jahren nur noch in Sapporo stattfinden oder gar nicht mehr?
Steiger: Man sieht, glaube ich, zwei Dinge bei diesen Ergebnissen: Zum einen macht es einen sehr großen Unterschied, welche Emissionsszenarien wir annehmen. Es macht einen Unterschied, ob die Menschheit versucht, die Emissionen weiter zu reduzieren oder nicht. Da sind die Ergebnisse schon deutlich unterschiedlich. Zum zweiten zeigt es, dass nicht mehr alle bisherigen Austragungsorte für die Olympischen Spiele geeignet sind, das heißt, man wird zunehmend Schwierigkeiten haben, neue Austragungsorte zu finden, die sich bewerben möchten, bei denen eine Austragung aufgrund der Rahmenbedingungen möglich ist. Ich brauche einigermaßen große Bevölkerungszentren, um überhaupt Olympische Spiele auszurichten. Und jetzt kommt noch der Klimaaspekt hinzu, selbst wenn alle anderen Rahmenbedingungen passen, muss ich auch noch auf die sich verändernden Klimabedingungen achten, dann nimmt eben die Zahl ab. Was wir natürlich noch nicht berücksichtigt haben, ist, dass sich auch gänzlich neue Orte bewerben könnten oder dass man an bisherigen Austragungsstätten versucht, weiter in die Höhe zu gehen. Wir haben uns ja immer nur die historischen Orte und Abfahrten und so weiter angesehen. Das Potenzial ist natürlich da und ist bei uns jetzt nicht berücksichtigt.
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