Die Bahnlinie zwischen Krasnaja Poljana und Sotschi wurde extra für die Olympischen Spiele gebaut. Die neuen Züge sind bequem, die Fahrkarten billig, der Blick aufs Meer ist wunderschön. Es gibt nur einen Wermutstropfen: Wer den Zug benutzen will, muss Zeit für die Sicherheitskontrollen mitbringen. Zum Beispiel am Bahnhof im Stadtteil Adler.
Bereits im Eingang in das Bahnhofsgebäude steht die erste Sicherheitsschleuse. Sämtliches Gepäck wird durchleuchtet. Hosentaschen leeren, Jacke ausziehen, selbst die metallene Haarspange muss herausgelöst werden. Bereits hier ein Abtasten. Die Prozedur dauert etwa zehn Minuten. Wer denkt, das sei es gewesen, irrt.
In der Schalterhalle ist eine Phalanx weiterer Sicherheitsschleusen aufgebaut. Neben jeder stehen fünf bis sechs Uniformierte. In der ganzen Halle sind deutlich mehr Polizisten als Reisende. Hier muss man auch Fragen beantworten: Wozu die viele Technik in der Tasche? Das Abtasten ist nahezu intim.
Auf dem Bahnsteig weitere Polizisten. Im Zug dann eine Polizeipatrouille und eine des bahneigenen Sicherheitsdienstes. An allen Bahnhöfen unterwegs: Polizisten am Anfang des Bahnsteigs, am Ende des Bahnsteigs, in der Mitte des Bahnsteigs. Dazu ein etwa drei Meter hoher Sicherheitszaun.
Nach den Selbstmordanschlägen in Wolgograd Ende Dezember - einer davon im Bahnhofsgebäude der Stadt – sorgen sich viele Menschen um die Sicherheit der Olympischen Spiele. Die Sicherheitsmaßnahmen in Sotschi waren aber von vorn herein äußerst aufwendig geplant. So sagte Alexander Schukow, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees Russlands, nach den Attentaten in Wolgograd: “Was die Olympischen Spiele in Sotschi betrifft, sind alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Ich denke, im nach den Anschlägen in Wolgograd werden deshalb keine zusätzlichen Maßnahmen getroffen, es ist bereits alles Nötige getan.“
30.000 Polizisten und Militärkräfte sind offiziellen Angaben zufolge während der Spiele in Sotschi im Einsatz. Das übertrifft den bisherigen Rekord von knapp 18.000 Sicherheitskräften bei den Sommerspielen in London erheblich. Rund 5.500 Überwachungskameras wurden installiert. Drohnen werden Sportstätten und Verkehrsknotenpunkte rund um die Uhr überwachen. Und die Geheimdienste werden die gesamte Kommunikation in Sotschi kontrollieren: Sie mitschneiden, abhören, filtern, speichern. Das umfasst Telefonate genauso wie Internetverkehr, E-Mails, Skype, soziale Netzwerke. Betroffen sind Sportler genauso wie Besucher. Dem Geheimdienstexperten Andrej Soldatow geht das zu weit. Er spricht von einem Missverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten.
“Die russischen Geheimdienste glauben, dass sie die Sicherheit in Sotschi nur gewährleisten können, indem sie den gesamten Raum dort komplett kontrollieren. Das ist ihre Ideologie. Nicht zufällig verweisen die Mitarbeiter des FSB ständig auf die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Da war alles kontrolliert und ruhig. Es waren dann aber auch mitnichten die fröhlichsten Spiele aller Zeiten.“
“Die russischen Geheimdienste glauben, dass sie die Sicherheit in Sotschi nur gewährleisten können, indem sie den gesamten Raum dort komplett kontrollieren. Das ist ihre Ideologie. Nicht zufällig verweisen die Mitarbeiter des FSB ständig auf die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Da war alles kontrolliert und ruhig. Es waren dann aber auch mitnichten die fröhlichsten Spiele aller Zeiten.“
Nachdem sich eine islamistische Gruppe zu den Anschlägen in Wolgograd bekannt und weitere Gewaltakte in Sotschi angedroht hat, haben die USA angeboten, Russland bei den Sicherheitsmaßnahmen zu unterstützen. Im Schwarzen Meer liegen zwei Kriegsschiffe der US-Marine bereit. Medienberichten zufolge, haben die USA einen eigenen Evakuierungsplan für ihre Sportler erarbeitet. Russlands Premierminister Dmitrij Medwedew sagte dazu in einem Interview mit dem amerikanischen Sender CNN: “Ich denke, bei den Olympischen Spielen in Sotschi gibt es nicht mehr Bedrohungen als bei Olympischen Spielen anderswo. Wir wissen, was für traurige Ereignisse an anderen Orten bei Sportveranstaltungen passiert sind, auch in den USA. Wir sind absolut davon überzeugt, dass wir alle Sportler, die zu den Spielen kommen, schützen können.“
Sicher ist indes vor allem eins: Die Sicherheitsmaßnahmen werden nicht zu übersehen sein. Der Wasserballer Majt Rijsman war bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau für die Sowjetunion am Start. Heute trainiert er eine Moskauer Mannschaft. Natürlich sei Sicherheit wichtig, meint er, das dürfe aber nicht so auffällig sein. “In Russland läuft das so: Da sitzen ein paar hundert Zuschauer auf den Tribünen und 50 Sicherheitsleute. Die folgen dir auf Schritt und Tritt. Dieses Land hat das noch genetisch in sich. Auch in Sotschi wird das wie eine schlechte Theatervorführung laufen. Natürlich wird man dort sehen, wer welche Rolle spielt. Ich jedenfalls erkenne die Leute überall und das ärgert mich.“
Auch der Journalist Vladimir Geskin vom russischen „Sport-Express“ sorgt sich um die Atmosphäre in der Olympiastadt. “Ich frage mich, wie sie es wohl hinkriegen, dass unsere Polizisten lächeln. Denn das bedeutet sehr viel.“
Geskin kann beruhigt sein. Nach der Bahnfahrt und rund zehn Sicherheitskontrollen innerhalb eines Tages fällt die Bilanz zumindest gemischt aus: Einige Sicherheitsleute pflegen einen Kasernenhofton, andere sind freundlich, einige sogar zu Scherzen aufgelegt.