Es dämmert. Die Straßenlaternen in der omanischen Hauptstadt Maskat leuchten bereits, der Feierabendverkehr lässt langsam nach. Mansoor Al-Shabibi packt seine Sachen zusammen. Auch er will gleich nach Hause, zu seiner Frau und seinen sechs Kindern. Gerade einmal eine halbe Stunde braucht er dafür, wenn er den Express Highway nimmt. Mansoor weiß das zu schätzen. Denn als der 47-Jährige noch ein Kind war, hätte eine solche Fahrt einen ganzen Tag gedauert. Damals gab es in dieser Gegend am Stadtrand von Maskat weder Straßen noch Häuser, und Oman gehörte zu den am wenigsten entwickelten Ländern der arabischen Welt.
"Wir haben auf dem Sand geschlafen", erinnert sich Mansoor. "Unser Haus bestand aus Palmen. Es gab nur einen Raum, und der war ziemlich leer. Meine Mutter hat draußen gekocht, in der Wüste. (...) Wir haben Schlangen und Skorpione gesehen, die um uns herumkrochen. Manchmal haben wir sie getötet, manchmal haben wir sie ignoriert – es gab in der Gegend einfach zu viele."
Ein beschwerlicher Alltag – doch der änderte sich bald. Denn 1970 übernahm Qaboos bin Said al-Said die Macht. Mit Hilfe der Briten stürzte er seinen Vater vom Thron und setzte fortan auf Entwicklung. Das gelang ihm mit den Einnahmen aus der Erdölförderung, die in Oman in den 1960er-Jahren begann. Heute verfügt das östlichste Land der arabischen Halbinsel über ein Straßennetz, das bis in den letzten Winkel reicht, außerdem gibt es Schulen und Krankenhäuser. Das Verdienst von Sultan Qaboos, meint Jürgen Werner, akademischer Prorektor an der Deutschen Universität in Maskat: "Er hat mit Sicherheit geschafft, den Reichtum, der über das Land gekommen ist, so gut als möglich zu verteilen. Also er hat immer wohl darauf geachtet, dass irgendwie immer alle mehr oder weniger irgendwie was davon haben. Allerdings muss man natürlich sagen, dass es hier Superreiche gibt, allen voran der Sultan selbst, diese Leute sind ja fast unschätzbar reich, aber dennoch wirkliche Armut ist sehr, sehr selten in diesem Land."
Trotzdem: Der Arabische Frühling ist auch an Oman nicht spurlos vorübergezogen. Als die Menschen 2011 in Tunesien, Ägypten und Syrien gegen ihre Regierungen demonstrierten, gingen auch Tausende Omaner auf die Straße. Sie protestierten aber nicht direkt gegen den Sultan, sondern gegen die verbreitete Korruption im Land und forderten bessere Lebensbedingungen. Denn die Arbeitslosigkeit in Oman ist hoch – und das sei vor allem für die jungen Menschen ein Problem, sagt der Unternehmer Murtadha Hassan Ali. "Früher hat die Regierung versucht, so viele Leute wie möglich im öffentlichen Sektor unterzubringen. Aber die Verwaltung ist zu groß geworden, um noch mehr Leute aufzunehmen."
Hinzu kommen die sinkenden Einnahmen aus der Erdölförderung. Wegen des niedrigen Ölpreises fallen sie längst nicht mehr so üppig sind wie früher. Trotzdem versprach der Sultan als Reaktion auf die Proteste, 50.000 neue Jobs im öffentlichen Dienst zu schaffen, zusätzliche Stipendien für Studenten bereitzustellen und Arbeitssuchende mit umgerechnet knapp 300 Euro im Monat zu unterstützen. Die Protestwelle verebbte – doch die Belastung des Staatshaushaltes stieg. Jürgen Werner sieht in der Reaktion des Sultans ein falsches Signal: "Man kann sagen, dass er vielleicht gewisse Entwicklungen verschlafen hat, dass er die Leute nicht früh genug auf eine größere Beteiligung am Wohlstand oder am Erarbeiten des Wohlstands eingeschworen hat. Also hier steht ja die Welt auf dem Kopf. Hier verdient man als Staatsdiener definitiv mehr als in der Privatindustrie. Und hat noch dazu keine Risiken, und das kann natürlich auf Dauer nicht gut sein."
Bereits in den 1980er Jahren hatte die Regierung angekündigt, die omanische Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen und die Privatwirtschaft zu stärken. Die Fischerei sollte gefördert werden und die Landwirtschaft, die Kleinindustrie und der Tourismus. Obwohl Oman viel weniger Reserven hat als die Nachbaremirate Abu Dhabi und Katar, machen die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft auch heute noch knapp 80 Prozent der Staatseinnahmen aus. Hinzu kommt, dass viele Arbeitsplätze mit Fachkräften aus dem Ausland besetzt werden – weil sie besser qualifiziert seien als die Omaner, sagt der Unternehmer Murtadha Hassan Ali: "Verglichen mit der Bildungsrevolution im Rest der Welt hinken wir hinterher. Unsere Bildung hat sich nicht groß verändert. Und das hat zur Folge, dass wir nicht vom Fleck kommen, während sich alle anderen weiterentwickeln."
Kaum ein Omaner stellt die Errungenschaften von Sultan Qaboos infrage. Doch nach 45 Jahren unter seiner Herrschaft fragen sich viele, wer in Zukunft die Weichen stellt. Bis heute ist nicht bekannt, wer dem kinderlosen Monarchen einmal nachfolgt – und die Herausforderungen angeht, die sich seit einigen Jahren abzeichnen. Doch Mansoor Al-Shabibi bleibt gelassen. Er sieht vor allem die Fortschritte und ist dankbar dafür, dass seine Kinder in einem richtigen Schulgebäude unterrichtet werden – und nicht wie er selbst in einem improvisierten Zelt.
"Meine alte Schule ist heute klimatisiert, hat ein Computerlabor und Internet – es gibt alles. Wenn ich mit meinen Kindern dort vorbeikomme, erzähle ich ihnen: Dies ist meine alte Schule. Sie sagen dann: Die ist ja richtig schön! Und ich sage: Ja, heute ist sie schön. Früher gab es nur ein Zelt mit ein paar Palmen."