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"One Love" und Menschenrechtsverletzungen
Wann Medien über queere Themen berichten - und wann nicht

Über (k)eine "One Love"-Armbinde bei der Fußball-WM wird rauf und runter berichtet, über die Verfolgung Homosexueller in Katar oder die Anschläge auf queere Menschen in Europa und den USA hingegen kaum. Der Autor Johannes Kram sieht darin ein kollektives Medienversagen.

Text: Isabelle Klein | Johannes Kram im Gespräch mit Anh Tran |
Torwart Manuel Neuer trägt am 21.11.2022 eine Armbinde mit der Aufschrift "One Love" und einem Herz in Regenbogenfarben.
Die "One Love"-Armbinde wird Torwart Manuel Neuer bei den WM-Spielen in Katar nicht mehr tragen (IMAGO / Teamfoto / Markus Ulmer)
Zum Start der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar ist das Thema Queerfeindlichkeit in den Fokus gerückt. In vielen Medienberichten wird aber weniger die Situation für queere Menschen im Wüstenstaat thematisiert, in dem u.a. Homosexualität strafbar ist. Vielmehr geht es um Bilder, Symbole und Medienaktionen, wie das Tragen einer "One Love"-Armbinde durch die Mannschaftskapitäne sieben europäischer Länder, was nach Drohungen der FIFA wieder abgesagt wurde.
Schon im Vorfeld war viel über oftmals als "weichgespült" und "zahnlos" wahrgenommene Gesten diskutiert worden - vom besagten Tragen der Regenbogenfarben auf einer Kapitänsbinde bis hin zu Trikot-Aufdrucken, wie "Human Rights" (Dänemark) oder "Love" (Belgien), die ebenfalls von der FIFA verboten wurden.
Dass kurz vor und während des WM-Starts in westlichen Metropolen gleich zwei mutmaßlich queerfeindliche Anschläge stattfanden, war in kaum einem Medium ein großes Thema. In einem queeren Nachtclub in Colorado Springs im US-Bundesstaat Colorado sind am 20.11.2022 fünf Menschen getötet worden. Rund einen Monat zuvor hatte ein 19-Jähriger vor einer Queer-Bar in Bratislava zwei junge Männer erschossen. Und auch über die Situation queerer Menschen in Katar ist während der WM kaum etwas zu hören. Warum finden diese Themen in deutschen Medien kaum statt?

"Jetzt sind wir plötzlich die Guten"

"Über queere Menschen wird vor allem dann berichtet, wenn sie nerven", meint Johannes Kram, Autor des queerpolitschen und medienkritischen „Nollendorfblog“  und des Buches "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber". Das sehe man vor allem in der Diskussion über das geplante Selbstbestimmungsgesetz, mit dem die Bundesregierung das Leben für trans- und intergeschlechtliche Menschen verbessern und das Transexuellengesetz ablösen will. Hier werde der LGBTQIA+-Community oft vorgeworfen sich zu wichtig zu nehmen und "Identitätspolitik" zu betreiben. "Oft heißt es, wir wollen eine Extrawurst. Nein, wollen wir nicht. Wir wollen einfach nur gleiche Rechte, wir wollen einfach nur Sicherheit".
In der Debatte um Regenbogenfarben bei der Fußball-WM sei es anders. "Jetzt sind wir plötzlich die Guten", so Kram - aber nur weil die FIFA "noch mehr nervt".

"Kollektives Medienversagen" - aber nichts Neues

In der Debatte darum werde zudem viel mit Floskeln gearbeitet: Alle seien natürlich für "Toleranz" und "Diversity" - diese Begriffe würden aber auch von Seiten der Medien nicht mit Inhalt gefüllt. Damit schade diese Diskussion der LGBTQIA+-Community sogar. Denn über die Situation der queeren Arbeitsmigrantinnen und -migranten etwa, die in Katar der Verfolgung ausgesetzt seien, werde währenddessen nicht gesprochen.
Für Kram ist das ein kollektives Medienversagen - aber nichts Neues. Es gebe auch in Deutschland dauernd Übergriffe auf LGBTQIA+-Personen, auch darüber werde nicht berichtet. "Wir haben ein Sicherheitsproblem, wir haben ein Problem am Arbeitsplatz. Es wird so getan, als ob wir in Deutschland schon alles erreicht hätten. Die Medien hätten die Aufgabe dort genauer hinzuschauen."