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Online-Handel
"Rückschwung zum Tante-Emma-Laden"

Amazon, eBay, Zalando: Während die Handelsgiganten im Netz steigende Umsätze vermelden, verliert der Einzelhandel. Handelsexperte Jörg Funder lehnt ein regulierendes Eingreifen der Politik dennoch ab. Im Kampf um den Kunden stünden dem stationären Handel andere Mittel und Wege offen, sagte er im Dlf.

Jörg Funder im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
    Die Anzeige eines elektronischen Warenkorbs auf einem Computerbildschirm auf der Internetseite eines Onlinehändlers, aufgenommen am 10.01.2014 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern).
    Von steigenden Umsätzen profitiert der Online-Handel überproportional. Wie kann der stationäre Handel dagegensteuern? (picture alliance / dpa / ZB / Jens Büttner)
    Jessica Sturmberg: Wir haben gerade den Ausblick des deutschen Einzelhandelsverbandes für dieses Jahr gehört, auch mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft, dass für den Handel das wichtigste ist im Jahr. Und ganz besonders für den Spielzeughandel. Dieser macht etwa 60 bis 70 Prozent des Umsatzes in den zwei Monaten vor Weihnachten.
    Wir haben es Jahr für Jahr immer wieder berichtet: Steigende Umsätze im Einzelhandel, davon profitierte der Online-Handel immer überproportional. Und da nochmal genauer hingeschaut, ist das vor allem der US-Handelsriese Amazon. Jetzt trifft es die größten US-Spielzeugkette Toys'R'Us. Sie meldete gestern Abend Insolvenz an.
    Professor Jörg Funder, Handelsexperte von der FH Worms: Ist Amazon eine Bedrohung für den Wettbewerb?
    Jörg Funder: Amazon ist eine Bedrohung insofern für den Wettbewerb, als dass sie in ganz vielen Branchen aktiv sind und den Kunden zunehmend für sich vereinnahmen, das heißt der Kunde zunehmend gar nicht mehr in den stationären Handel vordringt. In dem Sinne ist es heute eigentlich ein Phänomen, was sich nicht mehr wegdefinieren lässt, was aber nicht den Gesamthandel insofern dominiert, als dass es keine Alternative gäbe. Wir gehen langfristig davon aus, dass der Online-Handel im deutschen Einzelhandel nicht über 20 Prozent hinausgeht. Das heißt, 80 Prozent wird im stationären Einzelhandel weiter getätigt.
    "Marktbereinigung im Online-Segment"
    Sturmberg: Was lässt Sie glauben, dass immer noch 80 Prozent des Handels beim stationären Handel verbleiben werden? Die Zahlen haben doch bisher immer eine andere Richtung gesprochen.
    Funder: Die Zahlen sprechen in eine andere Richtung. Das stimmt. Der Online-Handel wächst nach wie vor. Er wächst aber nicht mehr auf den hohen Niveaus der Vorjahre. Wir sehen zunehmend auch im Online-Segment eine Konsolidierung von Anbietern. Es kristallisiert sich heraus, dass wir hier auch in ganz vielen Branchen zu einer Marktbereinigung kommen. Online wächst, ja, aber es wachsen die größten Stores im Web und es wächst sicherlich auch die Plattform wie Amazon, eBay, Zalando und andere.
    Sturmberg: Funktioniert der Spielzeugmarkt in Deutschland noch anders als in den USA?
    Funder: Der Spielzeugmarkt funktioniert ähnlich wie in den Vereinigten Staaten. Wir haben hier knapp 35 Prozent des Gesamtumsatzes, die durch den Fachhandel, der Vedes-Fachhändler, der Idee+Spiel-Fachhändler, auf jeden Fall der Mittelstand, den Sie ansonsten so kennen, gemacht wird. Darüber hinaus macht aber knapp 34 Prozent bereits der Online-Handel und liegt damit gleichauf wie der traditionelle Fachhandel, und da ist es vor allen Dingen doch zu einem großen Anteil Amazon, der diese Kategorie bereits für sich vereinnahmt hat.
    Einzelhändler sollten sich auf "lokale Stärken besinnen"
    Sturmberg: Wir haben auch im Bericht gehört: Wenn die Leute in die Innenstadt gehen und dort einkaufen, dann wollen sie zwar die Vielfalt, aber ihr Geld geben sie dann doch bei den großen Anbietern aus. Machen die Kleinen was falsch?
    Funder: Die Kleinen machen dahingehend etwas falsch, dass Einzelhandel für viele Einzelhändler immer noch bedeutet, einzeln zu handeln, auf Große zu schielen und die zu kopieren. Ich glaube aber, dass die erfolgreichen Einzelhändler genau das nicht tun, sondern sich auf lokale und eigene Stärken besinnen und besonders stark im lokalen Wettbewerb sind. Darüber hinaus sind viele dieser kleinen Einzelhändler nicht Solitäre, nicht alleinstehend, sondern sie sind Verbundgruppen angeschlossen, und diese Verbundgruppen übernehmen zunehmend die Funktion, den mittelständischen Einzelhändler in eine moderne Welt zu transformieren, also eine Infrastruktur bereitzustellen, die sie ansonsten nicht in der Lage wären, alleine zu stemmen oder zu investieren. Das bedeutet, Verbundgruppen kommt eigentlich eine Schlüsselposition zu. Die nehmen diese Rolle heute schon ein und bauen das massiv aus.
    Sturmberg: Was ist denn für Sie der moderne Einzelhandel? Was wird das sein?
    Funder: Der moderne Einzelhandel ist für uns der, den wir auch allgemein als Retail oder Handel 4.0 bezeichnen, wo Kundendaten und die Kundenschnittstelle von eklatanter Bedeutung sein wird. Wir sehen das insbesondere dahingehend, dass der moderne Einzelhandel oder der zukünftige Einzelhandel auf Kundenbeziehungen stärker aufbaut, als er das heute tut, in eins zu eins Kommunikation die Bedürfnisse des Kunden bereits erkennt, bevor er sie geäußert hat. Sie kennen das heute bereits schon und jetzt muss man fast schon einen Einzelhändler oder einen Online-Händler bemühen. Wenn Sie Reinigungstabletten für Ihre Kaffeemaschine bei Amazon kaufen, dann kriegen Sie automatisch eine Erinnerung, dass Ihre Tabletten leer seien, sollten sie neue brauchen. Amazon hat hier auch bereits einen Algorithmus in den Vereinigten Staaten patentieren lassen, die im Prinzip Bedürfnisse erkennen, bevor Sie sie geäußert haben, und das ist diese ganze Welt, allgemein hin Big Data, starkes Beziehungsmanagement und insbesondere auch eine Kommunikation zum Kunden hin, die bedürfnisorientiert ist. Im Prinzip ist der neue Handel nichts anderes als der alte Handel, den wir aus den 60er-Jahren hatten, als die Tante Emma tatsächlich noch ihre Kundschaft sehr genau kannte und deren Bedürfnisse, und genau da geht der Rückschwung hin zurück, näher an den Kunden heran, ihn an das Unternehmen zu binden. Einer der das fabelhaft macht, das ist ausgerechnet aus der Online-Händler Amazon.
    Die Zukunft des Handels – eine "offene, gläserne Beziehung"
    Sturmberg: Der zukünftige Erfolg basiert dann darauf, dass wir im Grunde gläserne Kunden werden, und da geht es nicht mehr darum, um eine persönliche Beziehung (bei Tante Emma in den 60er-Jahren war das jemand, der mich jetzt persönlich kannte), aber das wäre ja in dem Fall eine offene, gläserne Beziehung.
    Funder: Ja, da geht das tatsächlich hin, eine offene, gläserne Beziehung, in der der Kunde bereitwillig seine Bedürfnisse und auch Informationen teilt, weil er daraus einen Mehrwert erfährt. Da sind wir heute in vielen Dimensionen bereits, ohne dass Ihnen oder uns das bewusst ist. Aber diese sehr stark datengetriebene Orientierung, das wird die Zukunft des Handels sein, ja.
    Sturmberg: Das ist sozusagen die Zeit nach den Kundenkarten?
    Funder: Das ist die Zeit nach den Kundenkarten. Heute haben Sie Kundenkarten wie Payback, die transaktionsbasiert sind. Digitale Kundenbindungssysteme, wie sie im Moment entwickelt werden, ziehen ganz, ganz viele Informationen heran, was Sie im Internet suchen, was Sie zuletzt gekauft haben, wo Sie sich befinden, wo Sie einkaufen waren, in welchen Geschäften, welches Auto Sie fahren, welche Medien Sie nutzen, und all diese Informationen lassen sich zusammenziehen. Das wesentliche Element ist dabei Ihr Smartphone, was Sie benutzen, und letztendlich die Applikation, die sich darauf befindet.
    Sturmberg: Ist das datenschutzrechtlich überhaupt wünschenswert?
    Funder: Es ist aktuell in dieser Ausbaustufe datenschutzrechtlich noch nicht zulässig, aber wir befinden uns ja in einer andauernden Novellierung des Datenschutzrechtes. Wir haben dieses Jahr erst eine neue europäische Datenschutznovelle gesehen und es arbeiten bereits die nächsten daran für die nächsten. Ich denke, solange Sie selbst auswählen können, ob Sie Informationen teilen und mit wem, muss man an den mündigen Bürger glauben und ist das auch okay. Wenn es diese Grenze überschreitet, dann ist es sicherlich eine ethische Frage und dann auch sicherlich nicht mehr okay, ja.
    "Nicht regulierend eingreifen - den Einzelhandel stärken"
    Sturmberg: Sollte die Politik etwas unternehmen, auch angesichts der von Ihnen selber wiederum zitierten Marktmacht von Amazon?
    Funder: Man kann, was die Marktmacht von Amazon angeht und die Dominanz von Amazon in einzelnen Warenkategorien, regulierend eigentlich nicht eingreifen. Und das ist auch nicht richtig. Wir müssen eigentlich dahin gehen, dass wir den lokalen Einzelhandel stärken und eigentlich die tradierten Einzelhandelskonzepte von Städten und Innenstädten und Ansiedlungspolitiken überdenken.
    Sturmberg: Wie?
    Funder: Heute haben wir sehr häufig den Fall, dass insbesondere in Innenstädten oder auch in randstädtigen Gebieten sich Einzelhändler nicht niederlassen dürfen, weil sie sogenanntes innenstadtrelevantes Sortiment anbieten, Glas- und Porzellanwaren zum Beispiel, Spielwaren gehören auch dazu. Das heißt, sie müssen entweder in die Innenstadt, oder sie dürfen sich nicht ansiedeln. Das ist anders in den europäischen Staaten. Das ist anders, was auch die Flächen angeht und in zulässigen Einzelhandelsflächen in der Innenstadt oder in Peripheriegebieten. Das ist sicherlich etwas, da wird die Politik eingreifen müssen.
    Wir haben aber im Einzelhandel ein anderes Problem, was gar nicht primär darum geht, den Einzelhandel zu schützen. Das sind alles Unternehmer, die müssen agil sein, um letztendlich eine Daseinsberechtigung zu schaffen. Wichtiger wird sein für die Politik, im insbesondere ländlichen Raum eine Versorgungssicherheit herzustellen, also nicht in den Ballungszentren, sondern in den schwach besiedelten Räumen, wo sich die Einzelhändler zurückziehen, wo eine Versorgungssicherheit immer weniger gewährleistet ist, wo wir aber auch eine Versorgung durch den Online-Handel nicht in dem Maße kennen und auch nicht mit den Leistungs- und Dienstleistungsangeboten, die Sie aus den Städten kennen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.