Sandra Pfister: Wissenschaftler haben eine eigene Währung: Wer wissen will, wie hoch er im Kurs ist, der schaut, wie oft er von anderen zitiert wurde. Zitiert wird aber nur, wer in einer Fachzeitschrift publiziert. Wissenschaftliche Fachzeitschriften haben deshalb eine Machtposition gegenüber den Forschern, aber auch gegenüber Unis und Forschungsinstituten, denn die müssen ihre Fachzeitschriften für ziemlich viel Geld abonnieren.
Dagegen rebelliert gerade die deutsche Wissenschaftsszene. Sie will weniger für die teuren Zeitschriften bezahlen, und manches auf Dauer komplett kostenfrei zugänglich machen. Wie dieser Streit ausgehen könnte, ist noch offen – wir berichten die ganze Woche darüber. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten die Zeitschriften ziemlich viel Erpressungspotenzial – aber haben Sie das tatsächlich?
Wir fragen einen, der sagt, nein, wir können auch ganz gut ohne diese Zeitschriften. Christian Gogolin, Quantenforscher, er forscht gerade in Barcelona – guten Tag, Herr Gogolin!
Christian Gogolin: Guten Tag!
"Das ist wirklich ein Milliardengeschäft für die Verlage"
Pfister: Herr Gogolin, Sie haben mit zwei Kollegen, Kolleginnen zusammen ein Open-Access-Journal gegründet, in dem Quantenforscher selbst veröffentlichen können, ohne Verlag. Warum haben Sie das gemacht?
Gogolin: Das fängt mit sehr banalen Dingen an wie den sehr hohen Publikationsgebühren, ein sehr einträgliches Geschäft für Verlage. Es gibt da Verlage mit Profitmargen um die 40 Prozent, das ist wirklich ein Milliardengeschäft. Es geht aber auch darum, wie Journale teilweise mit ihren Autoren und ihren Referees, also denjenigen, die die Arbeiten bewerten sollen und sicherstellen sollen, dass nur korrekte Arbeiten tatsächlich publiziert werden, umspringen.
Es ist zum Beispiel für Autoren immer wieder ein Ärgernis, wenn man am Ende die eigene Arbeit dem Journal wieder abkaufen muss, also wenn man sozusagen nach der Veröffentlichung noch Geld dafür bezahlen muss, um den fertig gesetzten, gedruckten Artikel wenigstens online als PDF von der Seite des Publishers herunterzuladen.
"Wissenschaftliche Qualität leidet unter Gewinnoptimierung"
Und ein dritter und vielleicht wichtigster Punkt ist der, dass die Gewinnoptimierung zumindest bei einigen Verlagen dazu führt, dass die wissenschaftliche Qualität leidet. Dass zum Beispiel gewisse Anforderungen daran, wie großartig oder von wie weitreichendem Interesse ein Resultat sein muss, um in so einer Zeitschrift veröffentlicht zu werden, dazu führen, dass Wissenschaftler ihre Resultate übertrieben darstellen oder Kompromisse machen bei der Lesbarkeit ihrer Arbeiten. Und das schadet natürlich der wissenschaftlichen Qualität und im Endeffekt dem wissenschaftlichen Fortschritt ungemein.
Pfister: Jetzt haben Sie Ihre eigene Zeitschrift gegründet, die ist online aufrufbar, sie heißt "Quantum". Kann man wissenschaftlich ernst genommen werden, wenn man in einer relativ unbekannten, selbstgestrickten Zeitschrift publiziert?
Gogolin: Ja, das ist natürlich ein großes Problem, wenn man als neuer Player sozusagen auf den Markt kommt. Die Art und Weise, wie wir sozusagen Vertrauen gewinnen wollen in der wissenschaftlichen Community, für die diese Zeitschrift gemacht ist, ist, dass wir die wissenschaftliche Community selbst sehr stark in den Entstehungsprozess der Zeitschrift eingebunden haben.
Da gibt es zum einen ein Gremium, das nennen wir Steering Board, mit zwölf international anerkannten Wissenschaftlern aus unserem Feld, die viel Einfluss darauf hatten, wie sozusagen die Regeln, nach dem das Journal intern funktioniert, aussehen.
"Aktuell ist die Zeitschrift tatsächlich komplett ehrenamtlich"
Pfister: Und Peer Review machen Sie aber auch, um die Spielregeln hochzuhalten?
Gogolin: Ja, definitiv. "Quantum" ist ein Peer-reviewed Journal, um Qualitätssicherung zu betreiben, und das ist auch ungemein wichtig.
Pfister: Sie sagen, Sie wollen keine Gewinne machen, aber Sie brauchen ja trotzdem Geld. Oder ist es bei Ihnen so, dass alles ehrenamtlich erbracht wird an Leistungen?
Gogolin: Aktuell ist die Zeitschrift tatsächlich komplett ehrenamtlich. Alle Mitglieder, die tatsächliche Tagesarbeit erledigen, wie auch diese Adviser im Steering Board wie auch unsere Editoren arbeiten alle kostenlos für das Journal, so wie auch die Referees. Je nachdem, wie schnell das Journal jetzt wachsen wird, und aktuell wächst es ziemlich schnell, wie wir an den Einreichungszahlen sehen können, wird es möglicherweise nötig sein, mittelfristig eine Person als Administrator einzustellen. Aber solange das nicht nötig ist, sind die Kosten, um das Journal zu betreiben, absolut minimal.
Wir haben Kosten pro Artikel von etwa zehn Euro. Und selbst wenn wir jemanden einstellen müssen, sind wir sehr sicher, dass wir mit – obwohl wir Open-Access publizieren - mit Publikationskosten für die Autoren rauskommen, die mindestens eine Größenordnung unter dem liegen, was die meisten etablierten Publisher von ihren Autoren verlangen.
Oversellen ist "ein mögliches Ausschlusskriterium für eine Publikation"
Pfister: Was verlangen die meisten, und was glauben Sie, was Sie verlangen werden?
Gogolin: Die Publikationsgebühren bei einigen der wichtigen Publisher in unserem Feld, in denen viele Papiere erscheinen, liegen zwischen 1.500 und 3.500 Euro pro Artikel.
Pfister: Sie sprechen von höheren moralischen Standards, die Sie haben wollen im Vergleich zu den traditionellen Zeitschriften. Inwiefern sind Ihre Standards höher als die der großen Verlage?
Gogolin: Wir verlangen, dass editorielle Entscheidungen nur gefällt werden, wenn ausreichend hochqualitative Referee-Reports eingegangen sind. Wir halten insbesondere Autoren davon ab, ihre Resultate zu, wie es bei uns so schön heißt, zu "oversellen", also als mehr zu verkaufen, als sie eigentlich sind. Das ist ein mögliches Ausschlusskriterium für eine Publikation in unserer Zeitschrift.
Und es hört auf damit, dass wir uns zum Beispiel einen sehr ausführlichen Code of Conduct gegeben haben, in dem sehr genau festgelegt ist, wie die Interaktionen zwischen Editoren, Autoren, Referees und so weiter aussehen darf und was eben in einem professionellen wissenschaftlichen Kontext als Umgangsform okay ist und was nicht.
"Einige Leute sind bereit, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen"
Pfister: Abschlussfrage, Herr Gogolin: Wie heiß sind Ihre Fachkollegen darauf, bei Ihnen zu publizieren, oder anders gefragt, gehen die dicken Fische woanders hin? Die Alteingesessenen bleiben bei den traditionellen Verlagen?
Gogolin: Wir haben jetzt geöffnet für Einreichungen erst im November letzten Jahres, sind jetzt seit etwas mehr als zwei Monaten offen für Einreichungen, und haben inzwischen um die 45 Einreichungen von Artikeln bekommen, und da sind einige hochkarätige Resultate dabei, die durchaus auch in sehr gut angesehenen etablierten Journalen hätten publiziert werden können. Was, denke ich, auch zeigt, dass eben einige Leute in der Community unzufrieden sind und eben bereit sind, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, etwas mit uns zu publizieren, obwohl wir noch nicht zum Establishment gehören, noch keinen Ruf haben.
Pfister: Sagt Christian Gogolin, Quantenforscher, der mit Kollegen zusammen eine eigene Fachzeitschrift gegründet hat, um die großen Zeitschriften zu umgehen. "Quantum" heißt sie, und sie kann eine Alternative sein zu den teuren renommierten Fachzeitschriften. Danke Ihnen, Herr Gogolin!
Gogolin: Danke Ihnen!
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