Benedikt Schulz: Als zum ersten Mal der Begriff Open Access aufkam, da hatte diese Möglichkeit zur digitalen Publikation beinahe was Revolutionäres. Offener Zugang, das klang irgendwie demokratisch, nach Fortschritt - jeder kann veröffentlichen, jeder kann zugreifen, ohne dass die etablierten Verlage Geld daran verdienen. Denn schließlich ist die Forschung in der Regel ja öffentlich finanziert, da müsste sie ja eigentlich auch frei zugänglich sein. Seit Jahren schreitet also der Aufbau von Open Access voran, dass sich die Hoffnungen allerdings erfüllt hätten, das kann man nicht behaupten. Dass Forschung restlos frei zugänglich ist, davon ist man noch weit entfernt. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat dazu eine eigene Expertengruppe gegründet, die sich auseinandersetzen sollte mit diesem Thema, und diese Gruppe hat nun Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems ausgesprochen. Der Bielefelder Soziologe Peter Weingart ist Sprecher der Gruppe, ich habe mit ihm vor dieser Sendung gesprochen, und meine erste Frage: Woran krankt denn die Open-Access-Bewegung derzeit?
Peter Weingart: Das Problem von Open Access ist die unmittelbare Zugänglichkeit am ersten Ort des Erscheinens. Also die Artikel, die gewissermaßen von den Wissenschaftlern jetzt veröffentlicht werden, die werden in der Regel nach wie vor von Verlagen verlegt, in Zeitschriften, die die Verlage betreiben, und dort werden nach wie vor Gebühren erhoben. Sei es jetzt wie mit dem Subkriptionsmodell bisher, da zahlen dann die Bibliotheken beziehungsweise die Universitäten dafür, oder aber die Verlage stellen um auf Open Access, das nennt sich dann auch Open Access, und erheben aber die sogenannten "Article Processing Charges". Also da zahlt der Wissenschaftler und letztlich natürlich auch wieder die Universität oder die Einrichtung, an der er beschäftigt ist, bezahlen die Gebühren an die Verlage, sodass sich für die Verlage selbst im Grunde genommen nichts ändert. Sie verdienen nach wie vor, und der Zugang ist dann zwar - das ist ja die Möglichkeit, die damit geschaffen wird -, der ist dann zwar offen, aber nach wie vor sehr kostenträchtig.
"Auch die Publikation im Open Access kostet Geld"
Schulz: Aber was ist denn dann Open Access wert, wenn es eigentlich gar nicht so open ist?
Weingart: Ja, gut, das ist genau das Problem, um das es geht. Man darf jetzt natürlich nicht unterschätzen, also auch die Publikation im Open Access kostet Geld. Es geht im Grunde genommen darum, wie hoch die Gebühren sind, die da erhoben werden - sind diese Gebühren in ihrer Höhe gerechtfertigt, ja oder nein.
Schulz: Das andere Modell wäre ja oder denkbar wäre ja Open Access in Reinform, jeder publiziert. Wäre das nicht eine Option, oder ist es dann zu schwierig, die wissenschaftlichen Qualitätsstandards aufrechtzuerhalten?
Weingart: Na ja, es gibt ja Formate, es gibt ja auch Journale, die eben Open Access sind, wo es in der Tat ... die Kontrolle, also die Art der Qualitätssicherung da sicherlich auch ein Problem daran, damit wird ja experimentiert, also soll es vollkommen frei sein und sich gewissermaßen erst im Nachhinein herausstellen, welche Artikel die Zustimmung der Wissenschaft finden. Das ist eine Variante, die erprobt wird. Die haben alle ihr Problem, wie man sich denken kann. Also es ist ja auch nicht ohne Weiteres wünschbar, dass die Flut der Publikationen noch größer wird, als sie ohnehin schon ist, vor allem wenn es sich um redundante Publikationen handelt. Also Qualitätskontrolle ist schon wichtig.
Schulz: Ja, fragen wir doch mal ganz praktisch: Wie könnte denn Qualitätskontrolle jenseits der etablierten Verlage aussehen?
Weingart: Die Verlage selbst sozusagen organisieren ja diese Qualitätskontrolle nicht anders, als es die Wissenschaft selbst tut, sie bedient sich ja der Wissenschaftler. Daran ändert sich gar nichts, das kann auch so bleiben im Prinzip. Man darf ja auch nicht verwechseln, die Open Access bedeutet ja im Prinzip nicht unbedingt, dass jeder alles veröffentlichen kann, sondern nur der Zugang soll frei sein.
Schulz: Sie fordern jetzt, dass Artikel durch die Hochschulen öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen durch eben eine Zweitverwertung, und das ist ja jetzt auch schon erlaubt, allerdings erst nach zwölf Monaten. Wenn jeder jetzt aber seine Artikel öffentlich zugänglich machen darf oder die Hochschule das darf, entzieht man dann nicht trotzdem den Verlagen die wirtschaftliche Grundlage?
Weingart: Na ja, das befürchten sie, manche natürlich auch zu Recht. Es muss oder es kann gewährleistet sein, dass die Verlage nach wie vor ein Geschäftsmodell dabei haben. Die Empfehlungen richten sich eigentlich nur dagegen, dass einige Großverlage in der Lage sind, Preise zu diktieren, die weit über dem liegen, was unbedingt erforderlich ist.
"Zugänglichkeit von Daten ist enorm gesteigert worden"
Schulz: Vielleicht mal mit Blick in die Zukunft: Wird denn digitale Publikation das wissenschaftliche Arbeiten an sich verändern?
Weingart: Ja, das hat sie ja schon. Der Einfluss ist erheblich, denken Sie nur an die Zugänglichkeit von Informationen über das Internet - nehmen wir meinetwegen Historiker oder auch Archäologen, die früher weite Reisen unternehmen mussten, um in irgendwelche Archive zu kommen, die können sich heute die Informationen aus dem Netz holen. Die Zugänglichkeit von Daten ist enorm gesteigert worden und hat das Arbeiten erleichtert. Auch die Manipulationen, die Sie mit den Daten vornehmen können, das sind alles Dinge, die durch die Digitalisierung fundamental verändert worden sind, und das wird auch sicherlich noch weitergehen, also diese Entwicklung ist nicht am Ende.
Schulz: Sagt Peter Weingart, er ist Sprecher der Arbeitsgruppe zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Herzlichen Dank!
Weingart: Bitte schön!
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