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Open-Air-Event der Wiener Festwochen

In Wien hat Carlus Padrissa, Gründer und Motor der katalanischen Bewegungskünstlergruppe "La Fura dels Baus" einen musikdramatischen Auftrag übernommen. Mit "Oresteia" nahm er sich der griechischen Mythologie an - mit mäßigem Erfolg.

Von Frieder Reininghaus |
    Von der breiten Treppe vor der Karlskirche führt ein Steg durch das flache Wasser des riesigen Brunnentrogs. Bei fortgeschrittener Dämmerung setzt sich eine Prozession von Fackelträgern in Bewegung von der Fassade des gegenreformatorischen Prachtbaus in Richtung des Baldachins, unter dem die Musiker des Remix Ensembles Casa da Musica postiert wurden. Sie schweben dort gleichsam über den brackigen Wassern. Ein Kahn zieht an ihnen vorbei durch den Teich, dessen hinterer Teil trocken gelegt und mit einem Erdwall aufgeschüttet wurde, auf dem sich später gesteigerter Feuerzauber zeigt. Auch in die untersten Regionen der Lüfte steigen im Laufe des Abends einzelne Mitwirkende auf – nicht anders als bei der Realisation von Stockhausens "Sonntag" in Köln. Des weiteren lässt der Konzeptkünstler Carlus Padrissa gelegentlich noch Erde in die Höhe werfen oder Asche ins Wasser streuen.

    Es geht also in einer gewissen Ausführlichkeit um das, was von alters her als die vier Grundelemente angesehen wurde. Die akustischen Verhältnisse lassen freilich nicht zu, dass die Zuschauer, die zunächst noch in dichten Reihen rings herum stehen, von den womöglich altgriechischen Texten etwas verstehen, die der Webern Kammerchor und drei Schulchöre beisteuern. Die schlichte Botschaft der Raum- und Klanginstallation auf dem weiten Platz ist: Hier wird ein atavistisches Ritual beschworen! Und ab und zu lärmt im Hintergrund die Rettung von der Wienzeile her die Lothringerstraße entlang. Tatütata.

    Die Erwägungen, die zur Wahl dieses Spielorts führten, waren wohl keineswegs künstlerischer Urnatur. Der Karlsplatz ist eine der Hauptumschlagsplätze des öffentlichen Nahverkehrs in der österreichischen Hauptstadt. Er war lange Zeit Schwerpunkt des Drogenkleinhandels und der Straßenkriminalität. Letztere wurden durch massive Polizeipräsenz eingedämmt (bevorzugt kommen hier, so hört man, die Beamten zum Einsatz, die als schwarze Schafe auffielen). Die kommunale Kulturbewirtschaftung hat das einst auf der ehemaligen Stadtbefestigung angelegte, stadtplanerisch allerdings nicht sonderlich gelungene riesige Areal ins Visier genommen. Nachdem dort von Zeit zu Zeit bereits Rock- und Pop-Konzerte den Lärm- und Alkoholpegel heben, wird das Gelände nun von dem vereinnahmt, was im Namen der "Musikstadt Wien" allemal so stolz auf sich ist.

    Doch was da vom Winde verweht wird – eine Musikfolge aus verschiedenen, zwischen 1965 und 1992 entstandenen Arbeiten von Iannis Xenakis mit einigen dazwischengestreuten Aischylos-Zitaten – kann an einem akustisch derart ungeeigneten Ort kaum sinnvoll zur Geltung kommen. Der Dirigent Peter Rundel kümmert sich sichtlich engagiert in mehreren Runden um das Zusammenwirken der teilweise elend weit von den Instrumentalisten entfernten Choristen. Die kräftiger strukturierten Perkussionseinlagen zum flackernden Fackelschein oder zum ansehnlich brennenden Feuerseil erscheinen plausibler. Eine gewisse Suggestionskraft entwickelte eine Bestattungs-Szene, bei welcher wohl der von Orest niedergestreckte Ägisth, der Liebheber der Mutter Klytemnästra und Helfer beim Mord am Vater Agamemnon, den Flammen übergeben wird. Ganz offensichtlich streikte dann aber die Verstärkeranlage, was ein weiteres Handicap bescherte. Doch waren zu diesem Zeitpunkt die meisten Zuschauer des Gratis-Events schon abgewandert.

    Gelegentlich gaben das Recken einer Waffe oder die lauernden Furien Hinweise zu dem auf Comic-Dimension abgespeckten Text und dem womöglich intendierten Theatersinn. Immerhin geht es mit dem Fall des Orest ja um die Erörterung der Anfänge von Rechtsstaatlichkeit, die an Stelle von Vatermord und Blutrache trat. Das wäre übrigens etwas, was wieder argumentativ herauspräpariert werden dürfte und sich nicht in einem feuerfrohen Ritual verstecken sollte – auch wenn ein Regisseur dem Wort gegenüber höchst skeptisch gestimmt ist und auf stellvertretende Bewegung setzt.