Um kurz nach 17 Uhr heißt es für Claus Jacobsen und Bente Slothuus: Feierabend. Gleich werden die beiden Bibliothekare den Lesesaal in Gråsten durch eine Hintertür verlassen. Obwohl doch weiterhin Besucher da sind. Ein bisschen so wie die Eltern, die abends die Kinder allein zu Hause lassen? Die Zeiten seien vorbei, sagt Bente Slothuus:
"Vielleicht war es so am Anfang. Aber nicht länger."
"Ich glaub' auch, uns ist so daran gewöhnt, wir denken überhaupt nicht mehr darüber."
"Nein. Und alles klappt so."
"Ich glaub' auch, uns ist so daran gewöhnt, wir denken überhaupt nicht mehr darüber."
"Nein. Und alles klappt so."
Gråsten – zu deutsch Gravenstein - liegt eine halbe Autostunde nördlich von Flensburg. Nicht nur in der 4.000-Einwohner-Stadt wird das Konzept der "open library" umgesetzt. Inzwischen ist es in fast allen dänischen Bibliotheken die Regel. Das heißt: Auch ohne dass Personal anwesend ist, können Besucher die Bibliotheken nutzen und hier eigenständig ihre Bücher und Medien zum Ausleihen verbuchen.
Kostenlose Bibliotheksnutzung
In Gråsten geht das von Montag bis Sonntag zwischen 8 Uhr morgens und 22 Uhr abends. Da die Bibliotheksnutzung in Dänemark kostenlos ist und allen Bürgern offen steht, reicht es, die Sozialversicherungskarte kurz im Eingangsbereich an ein Lesegerät zu halten - schon öffnen sich lautlos die gläsernen Türen. Darüber freut sich auch Sarah Clausen, die mit ihren zwei Kindern in der Bücherei geblieben ist. Es sei so schön ruhig und man könne kommen, wann man wolle.
"I think it’s nice. So nice and quiet. And you can come at all times. It’s really good."
Doch tatsächlich bleibt es zunächst erstmal ruhig. Sehr ruhig! Gegen 19 Uhr taucht eine 42-jährige Mutter auf. Drei bis vier Mal die Woche bringt sie ihren Sohn zum Karatetraining in die Stadt und muss dann die 1,5 Stunden Wartezeit überbrücken. Und das tut sie oft und gerne in der Bibliothek. Ein Buch leiht sie allerdings nur selten aus. Stattdessen steuert sie auch heute Abend einen der öffentlich zugänglichen Computer an. Und kümmert sich um ihre Buchhaltung.
"Jetzt habe den skat – wie heißt das auf deutsch…?"
"Steuererklärung?"
"Ja. Und checke facebook und Mails. Alles so, lese eine Zeitung."
"Steuererklärung?"
"Ja. Und checke facebook und Mails. Alles so, lese eine Zeitung."
In der Kommune Sønderborg, zu der auch die Bibliothek in Gråsten gehört, ist die open library 2009 eingeführt worden. In den Bibliotheken der Kommune ist die Zahl der entliehenen Bücher zwischen 2010 und 2017 um ein Viertel gesunken. Gleichzeitig haben sich die Nutzerzahlen bei den digitalen Angeboten mehr als verdoppelt. 2010 gab es in der Kommune Sønderborg noch knapp 10.000 Zutritte zu den Bibliotheken ohne Personal. Im Jahr 2017 ist diese Zahl auf knapp 65.000 geklettert. Die Bücherei solle ein besonderer Ort sein, sagt Bibliothekar Claus Jacobsen.
"Ein öffentlicher Platz. Aber zwischen zu Hause und Arbeit oder Schule. Also, ein dritter Platz, wo man sein kann, aber ohne Verpflichtung. Man kann einfach da sein."
Bibliotheken als kultureller Treffpunkt
Tatsächlich verstehen sich die dänischen Bibliotheken als kultureller Treffpunkt. Hier gibt es nicht nur Bücher, sondern auch Lesungen, Nähkurse oder Theatergruppen. In vielen Büchereien lassen sich auch Behördengänge erledigen. Zum Beispiel die Beantragung eines neuen Passes. In Gråsten wirkt die Bibliothek dagegen noch ziemlich "klassisch".
Und tatsächlich tauchen an diesem Abend auch noch Menschen auf, die sich für das ganz normale Lesen interessieren. So wie die sechsköpfige Damengruppe, die sich einmal im Monat hier trifft, um über ein von allen gelesenes Buch zu diskutieren. Heute allerdings nur zu dritt. Jeder lese doch ein Buch anders – ganz abhängig davon, wer man sei und auch, wie es einem gerade gehe, meint Berit Hyllea.
"You read a book in so many different ways. Depending on who you are, where you are. Just at the moment where you are reading. But in the moment also were are you at your life and what is happening around you."
An diesem Abend wollen sie über den Roman "Water for elephants" der US-kanadischen Autorin Sara Gruen sprechen. Und dafür sei die Bücherei doch ein gut geeigneter Ort. Die drei Frauen haben Tee mitgebracht und es sich an einem Tisch in der Ecke bequem gemacht. Angst davor, als Gruppe oder eben ganz allein abends in der Bibliothek zu sein hat keine von ihnen.
"Ingen problem – nej!"
Tatsächlich werden im Rahmen des open-library-Konzepts auch Kameras in den Bibliotheken aufgestellt, die filmen, sobald das Personal aus dem Haus ist. Doch der Zugang dazu sei streng geregelt, das Material werde nach einer Woche gelöscht, sagt Bibliothekar Claus Jacobsen. Und die negativen Erfahrungen durch das Überlassen der Bücherei hielten sich stark in Grenzen.
Als der deutsche Reporter um 21:30 Uhr die Bücherei in Gråsten verlässt, wirkt die Straße wie leergefegt. Aber in der Bibliothek brennt immer noch Licht. Und immer noch sitzen Besucher drin.