"Natürlich hat Händel auch hier in Hannover seine berufliche Laufbahn angefangen, und in den letzten Jahren sind nicht so viele Barockopern hier gespielt worden, ich dachte, ich wollte langfristig das ein bisschen ankurbeln, und es ist einfach leichter, dann hat man sozusagen eine zusätzliche Produktion, es ist eigentlich eine zusätzliche Premiere zu den normalen sechs, die man da so hineinschieben kann."
Für Laura Berman gab es viele Gründe, die am Theater Basel so erfolgreiche Produktion von Händels "Alcina" in der Regie von Lydia Steier für ihre erste Spielzeit als neue Intendantin an der Staatsoper Hannover zu übernehmen. Das eröffnete zum Beispiel den Spielraum, kleine Verbesserungen in der Ausstattung vorzunehmen. Denn natürlich seien die Kosten geringer als bei einer kompletten Neuproduktion, so Laura Berman. Aber wichtiger sei ihr ein anderer Aspekt.
"Jedes mal, wenn ein Haus eine Premiere macht, ist es eine unheimliche Anspannung, vor allem weil in der Oper in den Tagen vor der Premiere sich so viel verändern kann, das ist anstrengend, und wenn es ein Team ist von Menschen, die sich noch nicht so gut kennen, wenn das eine Produktion ist, die schon gelaufen ist, die die Menschen schon mochten, ist alles n bisschen entspannter."
Laura Berman will erst mal in Hannover ankommen
Nicht, dass Laura Berman die Anstrengung scheuen würde. Ihr Spielplan für ihre erste Saison in Hannover ist mit einer guten Mischung aus Klassikern und Unbekanntem ungeheuer vielseitig. Dass bei der Übernahme einer Inszenierung in der Regel die überregionale Presse wegbleibt, ist für Laura Berman kein Problem.
"Die erste Spielzeit, ich bin wirklich darauf konzentriert erstmal in Hannover anzukommen, und Theater zu machen für die Menschen, die in Hannover und in der Region leben. Das ist meine Hauptaufgabe, bis man richtig herausgefunden hat, wie das geht, kann man nicht so viel darüber nachdenken, ob man überregionale Aufmerksamkeit bekommt."
Opernproduktion soll weiterleben
Dagegen spielt für Laura Berman bei der Übernahme von Händels "Alcina" vom Theater Basel auch die Nachhaltigkeit einer Opernproduktion eine wichtige Rolle.
"Ehrlich gesagt, wenn man die Welt betrachtet, in der wir jetzt leben, ich finde es viel schöner, dass diese Produktion weiterlebt, dass die Kostüme und das Bühnenbild hierher gekarrt worden sind, und in den nächsten Jahren, vielleicht, wenn wir erfolgreich sind, immer wieder gespielt wird, als wenn etwas weggeschmissen wird. Also eine ganze Theater-Produktion wegschmeißen, das ist schon heftig."
Dass Händels "Alcina" noch eine Weile an der Staatsoper Hannover zu sehen sein wird, ist jedenfalls nur zu wünschen. Denn Lydia Steier richtet in ihrer Regie den Fokus auf Aspekte, die bislang kaum betont wurden. Sie nimmt der Geschichte von der Männer verführenden Zauberin die Geradlinigkeit. Alcina entsorgt auf ihrer magischen Insel ihre "Ex-Lover", indem sie sie in Tiere, Steine oder Bäume verwandelt. Doch sie zerbricht an ihrer ersten wirklichen Liebe zu Ruggiero, als dieser von seiner Verlobten Bradamante befreit wird. Sie kämpft vergeblich um ihn und wird verlassen.
Gegensatz von Vernunft und Magie
Eigentlich zerschlägt Ruggiero Alcinas Zauberurne und ihre Insel versinkt im Meer. In Lydia Steiers Inszenierung zeigt Alcina Ruggiero noch einmal ihre Gefühle, sie versucht ihn zu küssen, aber er bleibt kalt. Dann verlässt sie einfach die Bühne, unspektakulär. Beim traurigen Schlusschor in Moll, als alle verwandelten Ex-Männer von ihrer Verzauberung erlöst werden, liegt Ruggiero wehmütig auf einem Felsen und scheint seiner Alcina nachzuschauen. Er hat die Welt des Sinnlichen, Farbenfrohen, Magischen verlassen.
Regisseurin Lydia Steier geht es um Antagonismen, gegensätzliche Welten, unterschiedliche Ideen von Liebe. Sie kristallisiert Bradamante, Ruggieros Verlobte, als Gegenspielerin zur Magierin heraus. Sie steht für die Vernunft, für Treue und geregeltes Leben. Als Mann verkleidet im grauen Anzug dringt Bradamante in die exotisch-bunte Zauberwelt ein. Dort hausen die Exgeliebten als indianische Wilde. Alcinas Schwester Morgana tritt als Nixe im schuppigen Kleid und mit Fischschwanz auf. Zur lieblichsten Musik wird dann aber auch schon mal ein Wilder geopfert und ihm die Eingeweide und das Herz herausgerissen.
In der Business-Welt von Bradamante geht es zwar nicht blutrünstig zu, aber kalt und herzlos. Im zweiten Teil der Oper ziehen sich die Wilden graue Jacketts an und nehmen an Bürotischen in Reih und Glied Platz, im Takt müssen sie auf Schreibmaschinen hämmern. Im engen schwarzen Kostüm und auf High Heels überwacht die strenge Chefin Bradamante ihre Angestellten. Dass Ruggiero in dieser Welt Alcina nachtrauert, ist nur zur verständlich. Welche Welt, welche Liebe die bessere ist, bleibt offen in dieser Inszenierung, und das ist ihre Stärke. Der Zuschauer kann selbst entscheiden.
Musikalisch noch Luft nach oben
Musikalisch punktet die Produktion mit starken Stimmen, die in manchen Rollen für eine Barockoper allerdings hin und wieder zu gewichtig schienen. Hailey Clark legt als Alcina mächtig dramatisches Pathos in die Sopranpartie, auch Avery Amereau als Bradamante hat einen starken Mezzo. Mehr Leichtigkeit zeigt Mercedes Acuri als Morgana.
Faszinierend der Countertenor Vince Yi mit seinem wunderbar klaren Soprantimbre als Ruggiero. Rubén Dubrovsky war am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters um frisches, historisch informiertes Spiel bemüht. Doch da in Hannover in letzter Zeit selten Barockoper gespielt wurde, ist hier noch Luft nach oben.
Diese bunte, unterhaltsame, auch mit Ironie und Witz spielende Inszenierung von Händels "Alcina" fügt sich für Hannovers Intendantin Laura Berman auch gut in das Motto, mit dem sie ihre erste Spielzeit überschrieben hat: "Begegnung mit dem Anderen". Laura Berman versucht auf brennende Fragen der modernen Gesellschaft künstlerisch eine Antwort zu finden.
"Wie wir heute leben, wie gehen wir um mit Menschen, die flüchten mussten, wie benehmen wir uns, welche Werte haben wir heute, wie handeln wir in der Gesellschaft, welche Rolle spiele ich in der Gemeinde?"