Susann El Kassar: "Das Schloß Dürande" ist eine romantische Novelle von Joseph von Eichendorff, sie erzählt von einer Liebesgeschichte über Standesgrenzen hinweg und wie sie im Privaten und auch von den revolutionären Aufständen in Frankreich zerrieben wird. Das Paar, das nicht sein kann, Graf Armand und Gabriele sterben beide auf dem Schlachtfeld, Gabrieles Bruder Renald trägt Schuld an ihrem Tod, auch er will dann sterben, weil er merkt - leider zu spät - dass der Graf und Gabriele sich wirklich geliebt haben?, und so sprengt Renald am Ende das ganze Schloss Dürande in die Luft. Opfertod, Kampfszenen, eine große Explosion; das alles vom deutschen Dichter Eichendorff. Eigentlich ein Stoff aus der Romantik, der aber im 20. Jahrhundert einen nationalsozialistischen Anstrich bekam - nämlich, als der Schweizer Komponist Othmar Schoeck ihn für seine letzte Oper ausgesucht hat und Hermann Burte das Libretto dazu geschrieben hat. 1943 wurde "Das Schloss Dürande" in Berlin an der Staatsoper uraufgeführt wurdeund sie war kein Erfolg, weder während der letzten Nazi-Jahre noch danach; aber: es ist ein bedeutendes Werk, sagt heute der Dirigent Mario Venzago. Und darum hat er zusammen mit dem Schriftsteller Francesco Micieli eine neue Fassung erarbeitet. Wie die beiden hier vorgegangen sind und inwieweit man diese Oper überhaupt von ihrer Nazi-Geschichte befreien kann, das hat Mario Venzago im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt. Ich habe ihn zunächst gefragt, inwieweit das ursprüngliche Libretto von Hermann Burte diese Oper für uns heute unaufführbar macht.
Mario Venzago: Das Libretto von Hermann Burte ist kein großer Wurf. Es ist in Reimen geschrieben, primitiv, einfach, simpel und es bedient auch Nazi-Propaganda-Kriterien. Also so kann man das Stück gar nicht lesen ohne von Grauen erfasst zu werden! Deswegen lag die Partitur auch lange auf meinem Klavier, ich habe immer wieder darin herumgestöbert und gefunden, dass es tolle Musik ist, aber was kann man mit so einem stigmatisierten Werk anfangen...?
El Kassar: Bei dem Libretto ist das klar, wenn man sich da bestimmte Passagen anguckt, dass man das heute nicht mehr spielen kann, bei Musik – kann man ihr das eindeutig ansehen, dass das nicht NS-ideologisierte Musik ist?
Eine naive, aber auch rückwärtsgewandte Musik
Venzago: Das ist eine gute Frage, weil inwiefern ist Musik politisch? Ich denke, dass es tatsächlich Kriterien gibt, wo man sagen muss, das ist Musik, die will manipulieren, die will etwas über die Musik heraus erreichen, die hat ein Ziel, das ist in dieser Musik nicht zu finden gewesen. Sie hat eine Reinheit, eine Naivität, eine Rückwärtsgewandtheit zwar auch, weil Othmar Schoeck am Ende seines Lebens eher wieder zurückgegangen ist und fast sehnsüchtig noch einmal nach Harmonien gesucht hat, die man kennt, aber der Musik sind keine Märsche, Propaganda-Märsche drin, es sind keine ideologisch verbrämten Musiken zitiert, also man muss dieser Musik die Reinheit attestieren.
El Kassar: Wie sind Sie da dann jetzt vorgegangen, um diese Oper sag ich mal zu entnazifizieren?
Venzago: Den Text haben wir einfach weggemacht mit Tipp-Ex und dann nur noch die Musik gespielt und mit dem Dichter Francesco Micieli, in Zusammenarbeit haben wir, oder hat er in erster Linie Texte gefunden, die die Emotionalität abbilden, die an diesen Stellen der Oper verlangt wird, die die Geschichte irgendwo erzählen, so dass man den Plot nicht verändern muss, denn der Plot ist ja von Eichendorff und der Plot, also die Handlung ist großartig, wie sie von Eichendorff dargelegt wird; also wir haben Gedichte gesucht, wir haben aus der Novelle Stellen gesucht, die man dieser Musik beigesellen kann. Sie dann zu unterlegen, sie zu rhythmisieren, sie der originalen Gesangslinie anzupassen, das war dann meine Aufgabe.
El Kassar: Und wie viel Freiheit gab es dann da für Sie, diese neu gefundenen Verse auch an die Musik anzupassen?
Musik entstand vor dem Libretto
Venzago: Es gab sehr viel Freiheit, weil Schoeck selbst so vorgegangen ist. Schoeck hat bekanntermaßen die Musik zuerst geschrieben, er hat zwar den Handlungsstrang verfolgt und die Szenen eingeteilt und so weiter, aber dann hat er drauflos komponiert. Und man sieht auch wo er dranstückeln musste, weil er zu wenig Musik hatte oder wo er kürzen musste, weil er zu viel Musik hatte, je nachdem man sieht diese Scharniere, die konnte man ganz leicht öffnen und dann bin ich vorgegangen wie Schoeck selbst. Ich habe den neuen Text einfach unter die Musik oder über die Musik gelegt und dann die Gesangsstimmen möglichst dem originalen Verlauf, der auch im Orchester abgebildet ist, nachgeschaffen und das ging ganz bemerkenswert einfach. Also, diese neuen Texte, diese wunderbaren Dichtungen von Eichendorff oder die Prosa aus den Novellen, die hat sich eigentlich viel mehr an die Musik angeschmiegt als der originale stabgereimte doch hölzerne Text von Hermann Burte.
El Kassar: Ich möchte auf eine Rolle der Oper noch zu sprechen kommen, nämlich die Gräfin Morvaille. Die von Hermann Burte und Othmar Schoeck neu hinzuerfunden wurde, also die es bei Eichendorff so nicht gibt und die dann in dem ursprünglichen Libretto etwas Führerkult reinbringen kann. Sie singt dann sowas: "Es muss ein Mann erscheinen / die ganze Welt ist verrenkt / Ich grüße den kommenden Einen / der sie verachtet und lenkt!" Jetzt frage ich mich, da wird doch sicher schon Othmar Schoeck eine Musik gefunden haben, die in gewisser Weise dieses Fanatische untermalt. Geht das mit dem neuen Text verloren? Fliegt das einfach weg?
Versteckte Kritik am Nazi-Regime
Venzago: Es hat sich ins Gegenteil verkehrt. Das ist eine furchtbare Figur in der Oper, die da dazuerfunden wurde ursprünglich, die Musik von allem Anfang an sagt etwas Anderes. Diese Gräfin Morvaille zusammen mit dem alten Grafen stellen ja das Ancien Regime dar also das sind die Traditionalisten. Nun normalerweise in allen Opern oder Geschichten liegt die Sympathie bei den Revolutionären, bei den Menschen, die was Neues wollen, die die Revolution mit ihrem Leben bezahlen und vorwärtsbringen. Hier ist es anders; die Revolutionäre sind eigentlich wilde, primitive Gestalten, es ist eine Horde es ist eigentlich ganz negativ gezeichnet diese Aufständischen, die ohne Disziplin einfach nur morden und brandschatzen wollen. Auf der anderen Seite ist eben diese Figur der Gräfin und des alten Grafen, die das Alte bewahren wollen und das kippt in dem Fall hier. Das sind nicht konventionelle Figuren, Bewahrer, sondern sie sind eigentlich der Widerstand. Hier liegt meiner Meinung nach die Kritik am Nazi-Regime, soweit sie Schoeck verstecken und dennoch formulieren konnte. Das sind zwei Personen, die unbedingt nicht diesen Führer eigentlich wollen, so wie es in der Originalgestalt der Morvaille von Burte skizziert ist, oder auch ausgeführt worden ist. Schoeck kehrt diese Figur ins Gegenteil und es war ein Fest diese beiden Figuren neu zu bedienen mit Texten, die eben etwas ganz Anderes sagen als die Huldigung ans Nazi-Reich. Denn so wäre es nicht gegangen! So hätte es dem Eichendorff’schen Text widersprochen und der Musik und eigentlich auch dem Unternehmen, was wir vorhatten. Wir wollten nichts reinwaschen, auf das kann man vielleicht noch kommen, sondern wir wollten etwas wieder zugänglich machen.
El Kassar: In dem Sinne haben wir jetzt eine Oper, die 1943 uraufgeführt wurde und die jetzt eine zweite Geburt erlebt hat, ohne diesen ganzen Nazikram, den sie eigentlich mit sich rumgeschleppt hat. Im März wird es in Meiningen am Staatstheater eine erste szenische Aufführung geben nach der konzertanten die Sie mit dem Berner Symphonieorchester gemacht haben, was erwarten Sie sich von dieser Inszenierung?
Venzago: Als wir mit der Rekonstruktion oder Restitution der Partitur fertig waren, war für mich der Fall Dürande erledigt. Ich wollte es gar nicht aufführen! Ich habe gedacht, das ist eine ganz großartige Partitur und es ist ein Dienst an dem Komponisten ihn von dieser schrecklichen Stigmatisierung zu befreien und jetzt können wir das Werk in Ruhe und anständig begraben. Und meine Mitarbeiter an der Universität, die wollten das Stück jetzt aber hören, das muss jetzt bekannt gemacht werden und so habe ich mich dazu bereit erklärt und dann auch begeistert mitorganisiert, dass wir eine konzertante Aufführung davon bekommen. Das ist ein erster Schritt. Den zweiten Schritt, es auf der Bühne darzustellen, den hätte ich jetzt noch nicht gewagt, ohne diese konzertante Aufführung und die Erfahrung daraus zu kennen. Ich bin wahnsinnig gespannt, wie das jetzt in Meiningen auf der Bühne aussieht. Und wenn das klappt, wenn das neue Stück, das neue Gewand, es ist mehr als ein Gewand, es ist eine neue Gestalt, wenn diese neue Gestalt das aushält, oder sogar das verlangt, dann bin ich auch bereit, es vielleicht selber noch einmal auf der Bühne aufzuführen. Wichtig ist mir nur, dass man es von dem Vorwurf befreit, oder unsere Arbeit von dem Vorwurf befreit, wir hätten Nazi-Kunst weißgewaschen. Weißwaschen ist ein krimineller Akt und alles, was wir getan haben an Veränderungen, an Umdeutungen, an Neu-Schaffen ist minutiös akribisch dokumentiert. Es gibt zwei Bücher über diese Arbeit, es ist also total transparent, das ist nichts im Verborgenen. Weißwaschen geschieht im Verborgenen, das ist das Gegenteil, das wir gemacht haben, es kann es jeder einsehen, es kann es jeder bewerten und es kann auch jeder sein Urteil darüber fällen.
Das Schloß Dürande von Othmar Schoeck
Berner Symphonieorchester
Leitung: Mario Venzago
Claves
Berner Symphonieorchester
Leitung: Mario Venzago
Claves