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Oper "Die Stumme von Portici" in Dortmund
Revolte im Schatten des Vesuvs

Liebe, ein stummes Mädchen und ein Aufstand in Neapel: Die Oper "Die Stumme von Portici" soll einst eine Revolution ausgelöst haben. In Dortmund wird der revolutionäre Furor jedoch eher leicht und mit einigen hübschen Gags inszeniert - in Zeiten von Corona als Geisterpremiere vor leerem Opernhaus.

Von Stefan Keim |
    Der Ausbruch des Vesuv am 14. Mai 1771 auf einem Gemälde von Pierre-Jacques Volaire (1729-1792) im Museum Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle.
    Auch ein Ausbruch des Vesuvs darf in "Die Stumme von Portici" nicht fehlen (picture alliance / akg)
    Der Theater ist geschlossen. Durch den Bühneneingang traben um die 30 Journalistinnen und Journalisten ins leere Foyer. Premierenstimmung gibt es nicht, das Theater Dortmund spricht von einer "Generalprobe zwei", die an diesem Abend stattfindet. Der Begriff "Geisterpremiere" trifft es besser.
    Während der Ouvertüre betritt ein Mädchen die Bühne. Ein Mann folgt ihr, bietet ihr Schokolade an, sie geht mit ihm hinter den Vorhang. Peter Konwitschny beginnt die Inszenierung mit einer hinzu gefügten Vorgeschichte. Durch sexuellen Missbrauch wird die junge Fenella zur "Stummen von Portici".
    Die Oper soll einen Volksaufstand ausgelöst haben
    Die Musik hüpft derweil heiter einher, als käme nun ein idyllisches Hirtenspiel. Das Gegenteil ist der Fall. "Die Stumme von Portici" ist eine von wenigen Opern, denen eine direkte, politisch-historische Wirkung nachgesagt wird. Nach der Uraufführung 1828 in Brüssel soll das Publikum emotionalisiert und aufgepeitscht auf die Straße gestürmt sein. So habe der Volksaufstand begonnen, an dessen Ende die belgische Unabhängigkeit stand. Auch wenn die Oper vor Publikum gespielt werden könnte, hält Regisseur Peter Konwitschny eine ähnliche Wirkung in unserer Zeit für unwahrscheinlich.
    "Die Revolution wird hier nicht ausbrechen, da können wir erst mal sicher sein. Wir wissen ja nun deutlicher als die Leute 1828, dass keine Revolution bisher siegreich war, auf die Dauer."
    Wenn sich auf der Bühne das Volk der Fischer erhebt, fahren Büsten bekannter Revolutionäre durch den Raum. Lenin, Rosa Luxemburg, Che Guevara – sie alle werden der Reihe nach von den Sockeln geballert wie in einer Schießbude. So richtig ernst nimmt Peter Konwitschny den revolutionären Furor des Stückes nicht. Es fällt auch schwer, wenn die Fischer ein zwar hartes aber auch schönes, naturverbundenes Leben führen und ihr Anführer Masaniello sie zum Tagesbeginn mit einer melodieseligen Barcarole bezaubert.
    Die Fischer stürmen den Palast
    Das Bühnenbild von Helmut Brade zeigt im Hintergrund eine halbkreisrunde Postkartenansicht eines italienischen Hafens. Hell, sonnig, in Pastellfarben. Masaniello wohnt zwar in einer engen Holzhütte, wirkt aber keinesfalls unzufrieden. Doch von einem Augenblick zum anderen ändert sich die Stimmung.
    In den fröhlichen Fischern sitzt tiefer Hass gegen die spanischen Besatzer, Auslöser ihres Aufstands ist Fenella, Masaniellos Schwester, das Mädchen aus dem Vorspiel, das inzwischen eine attraktive junge Frau geworden ist. Sie hatte eine Liebschaft mit dem Sohn des Vizekönigs von Neapel. Der hat nun standesgemäß eine Prinzessin geheiratet, was Fenella zu einem verzweifelten Auftritt bei der Hochzeitsfeier verleitet hat.
    Nun wird sie von spanischen Soldaten gesucht, die sie verhaften wollen. Die Fischer verteidigen Fenella, töten die Soldaten und stürmen den Palast. Während ihr Ex-Geliebter Alphonse mit seiner Frau Elvira durch die Schlachten irrt, um das Schlimmste zu verhindern.
    Das Mädchen Fenella bleibt stumm
    Die Oper Dortmund zeigt eine besondere Fassung der "Stummen von Portici". Einige Orchesterzwischenspiele, die im 19. Jahrhundert für aufwändige Bühnenumbauten nötig waren, sind gestrichen. Außerdem singt das Ensemble in zwei Sprachen. Peter Konwitschny:
    "Es sind ja in der Oper Besatzer, Spanier, in Süditalien und Fischer, das ist die Bevölkerung. Also Leute mit zwei Sprachen begegnen sich da. Und dann lassen wir die Spanier im französischen Original singen und haben die Fischer ins Deutsche übersetzt."
    Eine weitere Besonderheit dieser Oper ist die stumme Titelfigur. Fenella singt nicht und wird von der Musicaldarstellerin Sarah Wilken mit großem Körpereinsatz überzeugend gespielt.
    "Wir müssen für sie was aussprechen, anstatt dass sie was singt", sagt Dirigent Motonori Kobayashi. Die Instrumentalpartien, die Fenellas Gesang ersetzen, wirken wie ein Vorgriff auf die viel später entstandenen sinfonischen Dichtungen.
    "Ich habe versucht, bei jeder Phrase dem Orchester zu erklären, was gerade passiert, weil sie sehen das selbst nicht, leider. Das ist in Noten genau beschrieben, was sie denkt und was sie tut, und haben wir versucht, das so klar wie möglich darzustellen."
    Leitmotive wie bei Wagner - und doch ganz anders
    "Die Stumme von Portici" läuft im Rahmen des Projekts "Kosmos Wagner", in dem die Oper Dortmund Richard Wagners Werke mit Stücken konfrontiert, die ihn auf verschiedene Weise beeinflusst haben. Musikalisch scheint die eher harmlose, dem Belcanto ihrer Zeit verpflichtete Komposition Aubers, wenig mit Wagner zu verbinden. Motonori Kobayashi widerspricht.
    "Man hört interessanterweise sehr viele Leitmotive. Also nicht Leitmotive in dem Sinne, was Wagner geschafft hat. Auber hat versucht, eine Situation oder eine Persönlichkeit mit einem Instrument zu verbinden. Also zum Beispiel Elvira, diese Prinzessin, ist dann meistens von Oboe begleitet, also einem großen Oboensolo. Da hört man meistens, wer jetzt kommt, bevor sie überhaupt auftaucht."
    Peter Konwitschny äußert sich distanzierter über Aubers Musik.
    "Es ist die erste große französische Oper. Die Franzosen lieben das Ballett. Sie lieben auch die Klingelei im Orchester und die Trällerei bei den Sängern. Wer die Stumme von Portici nicht hört, kann gar nicht ermessen, wie gut Wagner ist."
    Die Musik bleibt maßvoll, das Opernhaus leer
    Zum Trällern und Klingeln sind Konwitschny einige hübsche Gags eingefallen. Sunnyboy Dladla als Alphonse und die überragend koloraturensichere Anna Sohn als Elvira singen und spielen ein hinreißendes Beischlafduett.
    Während Mirko Roschkowski als Masaniello in den lyrischen Passagen mit seinem hellen Tenor überzeugt, allerdings Probleme hat, wenn es dramatisch wird. Motonori Kobayashi dirigiert mit leichter Hand, eher der Klassik verpflichtet, als die Entwicklungen der Romantik voraus ahnend. Auch drastische Szenen wie Kämpfe, Wahnsinn und ein Vulkanausbruch bleiben musikalisch auf mittlerer Temperatur.
    Eine Neuentdeckung Aubers findet an diesem Abend nicht statt. Handlung und Musik fallen für heutige Hörgewohnheiten weit auseinander. Was die Zeitgenossen, die Verdi, Wagner und Meyerbeer noch nicht kannten, mitgerissen hat, wirkt heute eher putzig. Peter Konwitschny geht in seiner Inszenierung nicht dagegen an, im Gegenteil, er stellt es noch aus, dass uns dieses Stück inhaltlich wenig zu sagen hat. Unvergesslich hingegen war die Atmosphäre im weitgehend leeren Dortmunder Opernhaus.
    Die Journalistinnen und Journalisten verloren sich im Parkett, man hatte fast den Eindruck, einer Privatvorstellung beizuwohnen. Peter Konwitschny fand es dennoch positiv, dass trotz Corona so etwas Ähnliches wie eine Premiere statt gefunden hat.
    "Die Arbeit mit diesen Solisten, mit dem Chor und diesem ganzen Apparat war einfach toll. Gott sei Dank kann heute Abend der Abschluss der Arbeit auch stattfinden, dass wir nicht so rausgehen und nicht wissen, wann das nun mal zu Ende geht. Das ist heute abgeschlossen und wird irgendwann aufgenommen, je nachdem, wann es möglich ist."