Von Anfang an geht es in dieser Oper abgründig melancholisch zu, in schwärzester Wiener Tradition. Wenn die Gäste mit der frisch verlobten Marianne ihr Lieblingslied vom "Mädel in der Wachau" anstimmen, dann mischt sich in diese schäbig-schrägen Walzerklänge ein Ton von Vergeblichkeit und bodenloser Trauer. Das Glück, das hier besungen wird, ist schon dahin, noch ehe es begonnen hat. Der Komponist HK Gruber hat eine Musik geschaffen, die es an Schärfe und an Vielschichtigkeit durchaus aufnehmen kann mit der grandiosen Sprache der dramatischen Vorlage von Ödön von Horvath. Sie changiert artistisch zwischen allen Genres, mixt ein an Alban Berg erinnerndes Idiom mit manischen Repetitionsmustern und brachialen Schlagzeugwirkungen á la Strawinsky und lässt den Songstil Kurt Weills ebenso anklingen, wie sie sich vom Jazz und von der Gebrauchsmusik inspirieren lässt. Wer genau hinhört, kann im Fluss dieses heterogenen Stilgebräus allerlei Zitate entdecken, vom "Willkommen, bienvenue" aus John Kanders "Cabaret"-Musical über Henry Mancinis Filmhit "Moon River" bis hin zu Puccinis "Wie eiskalt ist dies Händchen", das hier aus dem Gettoblaster scheppert. Vor allem aber schwappen im dunklen Strom der Musik immer wieder die Schlagermelodien des Wiener Walzerkönigs hoch, der wie eine Donauleiche mitgetrieben wird.
Der polnische Regisseur Michal Zadara lässt die Handlung nicht im Wien der Dreißigerjahre spielen, sondern im heutigen Berlin. Die Verlobungsfeier Mariannes findet als prolliges Grillfest auf einem Parkplatz an der Spree statt. Mit viel Mut zur Hässlichkeit reckt man hier seine Tattoos in die Sonne, säuft, raucht und treibt es in den geparkten Autos miteinander. Mariannes Vater, der "Zauberkönig", tritt als Alt-Rocker auf, der Rest der Party-Bagage im Neuköllner Aldi-Freizeit-Look. Ein Golf, ein alter Mercedes und ein grellgelber Manta dienen als Statussymbole. Von hier aus geht es über die Berliner Stadtautobahn mit kleiner Rast an der Tanke immer steil bergab, bis zum bitterbösen Ende: Nackttanz an der Rampe, Vergewaltigung auf der Kühlerhaube, die Großmutter ermordet das uneheliche Kind. Dann bricht Marianne in einer brandenburgischen Schrebergartenhölle zusammen.
Brutaler Naturalismus wird ironisch gebrochen
Zadaras Inszenierung gelingt eine temporeiche Interaktion von Videobildern und einer szenischen Aktion, deren trashiger, stellenweise auch drastisch-brutaler Naturalismus immer wieder ironisch gebrochen wird. Solche Brechungen erscheinen auch notwendig. Denn Gruber hat all die heterogenen Stilmomente seiner Musik zwar zu einem geradezu ausdruckssüchtigen, eigenständigen Ton verschmolzen, der unmittelbar unter die Haut geht. Ein paar Male schlingert seine Musik aber auch haarscharf am allzu dicken Pathos vorbei. Gesungen und gespielt wird mit bewundernswerter Rückhaltlosigkeit und Intensität. Cornelia Zink verausgabt sich eindrucksvoll in der Partie der Marianne, die von einer durch und durch zynischen Gesellschaft grausam dafür bestraft wird, dass sie ein einziges Mal in ihrem Leben auf ihr Herz gehört hat. Die Inszenierung zeigt sie als eine moderne Lulu. Mariannes verzweifelte Suche nach Gott kurz vor dem Ende der Oper rückt sie zugleich in die Nähe der Marie aus Bergs "Wozzeck". In allen drei Opern geht es um die Entwürdigung und die Ausbeutung der menschlichen Natur. Und dieses Thema hat auch heute noch eine traurige Aktualität.