Gianni, singt die Frau im mäandergemusterten Goldkleid. Gianni. Mit ausgebreiteten Armen steht die Sopranistin Claron McFadden auf der Bühne der Tischlerei, dem Raum für experimentelle Musik neben der Deutschen Oper. Über ihr prangt das Bild eines Medusenhauptes. Denn es geht um Gianni Versace, den italienischen Modedesigner, der den Kopf der Medusa als Logo wählte. Dessen exzeptionelle Entwürfe oft mit Mäanderornamenten bedruckt waren. Der 1997 von einem Callboy und Serienmörder erschossen wurde. Und dessen Leiche man auf der Treppe vor seiner Villa fand.
Kooperation mit Berliner Musikprojekt Brandt Brauer Frick
Auf jener Treppe und einer angeschlossenen Voguing-Bühne spielt sich das Stück "Gianni" ab. Die Texte des Werks stammen vom englischen Performancekünstler Martin Butler. Und die Musik nicht von einem klassischen Orchesterensemble, sondern vom Berliner Musikprojekt Brandt Brauer Frick. Drei Männer, die mit Oper bislang wenig am Hut hatten, wie Paul Frick und Jan Brauer unumwunden zugeben:
"Ich persönlich bin noch nicht in so vielen Opern gewesen. Und ich kann mich auch erinnern, dass ich in der Pause gegangen bin. Weil die ja so extrem lang sind. Unsere Oper soll schon eher zugänglich sein - auch für ein anderes Publikum, was sonst überhaupt nichts damit zu tun hat. Und ich glaube, das klappt ganz gut."
Mode, Schönheit und Vergänglichkeit
"Wir haben natürlich auch die Aura und das Pathos, was man aus vielen Opern kennt, schon ernst genommen. Aber es gibt sicherlich auch einige, die sagen würden: Nee, das ist gar keine Oper."
Ob Oper, zeitgemäßes Musiktheater oder Voguing-Ball - "Gianni", das man auch als Moodboard zum Thema Mode, Schönheit und Vergänglichkeit ansehen kann, hält von der ersten Sekunde an eine musikalische Spannung. Die vor allem aus der für Brandt Brauer Frick typischen Instrumentierung resultiert:
Die drei Komponisten und Multiinstrumentalisten spielen gemeinsam mit einem Schlagzeuger größtenteils auf analogen Instrumenten, die sie technisch verändern, um einen ganz eigenen, elektronischen Sound herauszukitzeln. Und über allem thront, kommentiert und agitiert die so genannte House Mother das Geschehen, die Tänzerin, Choreografin und Voguing-Expertin Amber Vineyard.
"Ladies and Gentleman it’s time for my favorite category, the sex siren category I wanna see body, sexy, body, sexy male figure honey!"
Die Jugend schert sich nicht um den Tod
Die Kernaussage des Stücks, bei dem neben mehreren Tänzern und Amber Vineyard auch der Elektropop-Sänger Alexander Geist und der Bassbariton Setz Carico mitwirken, darf jedoch die Sopranistin Claron McFadden treffen. Sie bringt das Drama der Modeszene wiederholt auf den Punkt:
"Youth knows no death!"
Youth knows no death, die Jugend schert sich nicht um den Tod. Vielleicht wurde dem das Leben in vollen Zügen genießenden Versace genau das zum Verhängnis. Und Themen wie Hedonismus, Ausverkauf und Jugendlichkeitswahn in einer Oper zu verarbeiten, könnte das Genre modernisieren. Wie McFadden vorschlägt:
"Zu Verdis und auch Mozarts Zeiten waren Opern modern, hatten den Finger am Puls, und das muss meiner Ansicht nach auch im 21. Jahrhundert passieren, wir haben Social Media, YouTube, Computer – also müssen wir uns auch verändern. Sonst werden wir zu einem Relikt."
Ein Opernrelikt ist "Gianni" mit seinen vielen Anleihen aus der Voguing-Szene, den Clubsounds und den sich einstellenden Klaus-Nomi-Assoziationen keinesfalls. Dass die Modeindustrie mitunter Opfer fordert, ist vielleicht nicht die neueste Erkenntnis, Und die Konzentration auf das beeindruckende musikalische Spektakel kann nur an der Oberfläche eines Dramas kratzen. Vielleicht sind das aber auch Vorurteile, wie sie der Mode oft entgegenschlagen. Denn wie oberflächlich etwas wirklich ist, liegt im Auge des Betrachters.