Archiv

Oper München
Schwache Premiere von Mozarts "Tito"

In München hatte an der Bayerischen Staatsoper Mozarts letzte Oper "La Clemenza di Tito" Erstaufführung. Sowohl Dirigent Kirill Petrenko als auch Regisseur Jan Bosse scheiterten an der Oper. Eine fantasielose Inszenierung und in der Dynamik gedrosselte Musik sorgten in den Augen von Kritiker Jörn Florian Fuchs für einen flauen Abend.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Seit ein paar Monaten ist Kirill Petrenko Musikchef der Bayerischen Staatsoper und schon seine ersten Dirigate stießen auf geradezu hysterische Begeisterung. Mittlerweile ist bei Publikum und Presse eine regelrechte Heiligsprechung des gut vierzigjährigen Russen erfolgt, man schwärmt und raunt und schimpft, wenn bei einer Premiere der Chef nicht selbst den Taktstock schwingt.
    Auch Petrenkos Bayreuther "Ring" vom vergangenen Sommer ist schon jetzt Kult, die Münchner sind traurig, weil er im kommenden Festspielsommer wieder in Oberfranken statt an der Isar weilt. Petrenko umgibt außerdem noch eine besonders geheimnisvolle Aura, da er sich allen Interviewwünschen strikt verweigert.
    Reduziertes Tempo lässt Mozart erlahmen
    Im Vorfeld der "Tito"-Premiere hörte man von wunderbaren Proben, von einer ganz neuen Sicht auf das Werk. Nun liegt jedoch das Endergebnis vor und leider hat Kirill der Erste ein paar erhebliche Kratzer abbekommen. Nein, weder spielt das Bayerische Staatsorchester unsauber noch patzen die Chöre, dem Dirigenten fällt zu Mozarts letztem Stück einfach nicht viel ein. Den ganzen Abend über hört man nett vor sich hin schnurrenden Schönklang, einige Stellen der Partitur werden eindrucksvoll aufpoliert, es gibt manch hübsches Solo. Doch im Ganzen dimmt Petrenko Tempi, Dynamik und Phrasierungen auf einen mittleren Pegel herunter, der vor allem im letzten Drittel nur noch lähmt.
    Unausgefüllte Rollen
    Dazu kommt ein Sängerensemble, wie es man es an der Bayerischen Staatsoper so lange nicht gehört hat. Keine Hauptpartie ist Rollen füllend besetzt. Kristīne Opolais, zweifellos eine der derzeit besten Sängerinnen fürs russische, slawische oder italienische Fach, singt die intrigante Vitellia mit Kraft und groben Linien. Das macht schon Eindruck, auf der Strecke bleiben jedoch die typisch Mozart'schen Zwischentöne, die dieser auch sehr dubiosen Gestalten in die Kehlen schrieb.
    Den zwischen heißer Liebe zu Vitellia und Ehrfurcht vor dem Kaiser hin und hergerissenen Sesto gibt Tara Erraught, eine junge Irin, die sich in München schon ein beachtliches Repertoire erarbeitet hat. Erraught gelingen etliche schöne Momente, doch sie ist für die äußerst anspruchsvolle Rolle doch noch etwas zu jung und unerfahren. An große Sesto-Diven wie Vesselina Kasarova reicht sie nicht heran. Den mildtätigen Kaiser singt Toby Spence, den man spätestens zur Pause als indisponiert hätte ankündigen müssen. In solch einem Fall erübrigt sich dann ja jede Kritik. Spence ist seiner teilweise sehr hoch liegenden Partie in keiner Weise gewachsen, besonders die Koloraturen klingen scharf und verwaschen. Immerhin gibt Angela Brower einen sehr ordentlichen Annio.
    Videos und künstliches Pathos
    Die Kernfrage der Oper lautet, wie und warum sich ein mächtiger Herrscher zur gütig milden Vaterfigur entwickelt, die aufs eigene Wohl verzichtet und sogar Verschwörer begnadigt. Regisseur Jan Bosse fällt dazu wirklich überhaupt nichts ein, zum gefühlt hunderttausendsten Mal sieht man ein Theater auf dem Theater, erst hübsch hell und rein, nach dem missglückten Mordanschlag auf Tito dann dreckig-kaputt.
    Die Musiker im fast auf Publikumshöhe empor gefahrenen Orchestergraben tragen im ersten Akt weiße Kleidung, später schwarz. Wie originell! Immer wieder zeigen Videos die Protagonisten riesenhaft vergrößert. Man trägt überwiegend grelle, überkandidelte Kostüme und steht vorwiegend an der Rampe. Tito drückt sich durch sehr künstliche Pathosgesten aus. Zweimal gibt es sehr schöne, unmittelbare Begegnungen zwischen Musikern und Sängern, ansonsten herrscht eine kalt geometrische Grundstimmung vor: Die Figuren werden im Raum ständig neu arrangiert, mit der offensichtlich wichtigsten Aufgabe, freie Sicht auf den Dirigenten zu haben.
    So flau war es in München schon lange nicht mehr.