Operation ja oder nein? Das ist eine Frage, die sich Chirurgen grundsätzlich immer stellen. Zurzeit aber noch einmal mehr als sonst. Dem Intensiv-Register des Robert Koch-Instituts zufolge sind in Deutschland derzeit gut viertausend Intensivbetten von Covid-19 Infizierten belegt. Das ist ein Drittel mehr als zu Spitzenzeiten der ersten Welle im Frühjahr. Die Lage in den Krankenhäusern werde immer angespannter, meint Thomas Schmitz-Rixen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
"Das bedeutet für eine andere große Patientengruppe, dass sie nicht direkt oder nur verzögert operiert werden kann. Wir versuchen die Notfallversorgung aufrechtzuerhalten und das gelingt auch. Aber darüber hinaus wird's doch sehr, sehr knapp."
Kompletter OP-Stopp ist nicht möglich
Das Einsetzen einer Knieprothese oder eine Krampfader-OP kann gefahrlos um drei Monate geschoben werden. Um die Intensivstationen nicht noch mehr zu belasten als sie es sowieso schon sind, hat die Ärzteorganisation Marburger Bund einen OP-Stopp für solche verschiebbaren Eingriffe gefordert. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Operationen, die zwar kein Notfall sind, aber trotzdem nicht auf die lange Bank geschoben werden können. Es sind diese Patienten, die Thomas Schmitz-Rixen die meisten Sorgen machen:
"Das betrifft vor allen Dingen die Tumorchirurgie. Das betrifft die Herz-Kreislauf-Chirurgie. Ja, und da bedeutet es dann, dass für diese Patienten dann eine gewisse Wartezeit da ist. Oder der Patient muss sich darauf einstellen, dass wenn die Operation eigentlich für morgen geplant ist, dass das dann nicht stattfinden kann und möglicherweise ein, zweimal verschoben wird. Das passiert jetzt häufiger, als das vorher der Fall war."
Pflegepersonal-Bedarf Corona-bedingt gestiegen
Das Hauptproblem liegt dabei nicht in mangelnden Betten. Die Krankenhäuser haben noch nicht angetastete Notreserven, die innerhalb von sieben Tagen bereitgestellt werden könnten. Anders sieht es beim Pflegepersonal aus. Das war schon vor der Pandemie knapp und durch Corona ist der Personalbedarf noch mehr gestiegen. Die verschärften Hygieneregeln sorgen dafür, dass einige Arbeiten die vorher zu zweit erledigt wurden, jetzt von vier Pflegekräften ausgeführt werden müssen. Wer auf einer Covid-Station arbeitet, darf nicht zusätzlich für anderweitige Intensivpflegearbeiten eingeteilt werden. Und dann kommen auch noch die häufiger gewordenen Covid-Fälle beim Krankenhauspersonal dazu.
"Im Gegensatz zu der ersten Welle, wo Krankenhauspersonal weniger erkrankt war als die Normalbevölkerung, das haben wir jetzt nicht mehr. Das Krankenhauspersonal ist genauso erkrankt wie die normale Bevölkerung."
Arztbesuche nicht aufschieben
Eine Brutstätte des Virus sind Krankenhäuser trotzdem nicht: In der Regel hätten die Erkrankten sich außerhalb der Klinik und nicht auf der Arbeit angesteckt. Angst ins Krankenhaus zu gehen sollen Patienten nicht haben, betont Thomas Schmitz-Rixen:
"Das ist, soviel ich weiß, für Deutschland in keinem Fall passiert, dass sich jemand im Krankenhaus dann die Covid-Infektion geholt hat. Das Krankenhaus, kann man immer noch sagen, ist der sicherste Ort, wo man das nicht bekommt, weil die Hygiene-Maßnahmen dort sehr, sehr hoch sind."
Mehr Amputationen bei Diabetikern wegen verzögerter Behandlung
Einen Arztbesuch aus Angst vor Ansteckung zu vermeiden kann dagegen durchaus Folgen haben. Das zeigen Erfahrungen aus dem Lockdown im Frühjahr. So ist etwa die Zahl der Amputationen bei Diabetikern in diesem Sommer deutlich höher gewesen als normal. Gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und oder Krebs kann ein verzögerter Behandlungsbeginn fatal sein.
"Es gilt nicht nur den einen Opa und die Oma vor der Covid-Infektion zu schützen, sondern es gilt auch den Opa und die Oma zu schützen, wenn sie einen Herzinfarkt bekommen. Dass wir dafür noch genügend Kapazität haben, sie dann auch zu behandeln."
In dem Sinne appellieren die Deutschen Chirurgen an alle, die keinen wichtigen Arzttermin haben, die kommenden Feiertage zu nutzen und zu Hause zu bleiben.